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Praxis
Kontinuierlich die Medikation überprüfen
Erfahrungen mit dem Athina-Konzept zu apothekenzentrierten Medikationsanalysen
In Deutschland konnten in den vergangenen Jahren in verschiedenen Projekten Erfahrungen mit Medikationsanalysen gesammelt werden. Über das Athina-Konzept (s. Kasten) bieten Apothekerinnen und Apotheker nun seit bald zehn Jahren Medikationsanalysen Typ 2a in der öffentlichen Apotheke an. 2012 von der Apothekerkammer Nordrhein initiiert, wird das Athina-Konzept heute von elf Apothekerkammern gemeinsam umgesetzt. Um eine gleichbleibende Qualität der Intervention auch in der Fläche zu gewährleisten, stimmen sich die Kammern untereinander eng ab. Durch einheitliche Schulungen und standardisierte Dokumentationsmaterialien ist die Athina-Intervention in allen teilnehmenden Kammerbereichen ähnlich: Zunächst führen die Apothekerinnen und Apotheker mit den teilnehmenden Patientinnen und Patienten einen Brown-Bag-Review durch (erster Athina-Besuch). Anschließend wird eine Medikationsanalyse durchgeführt mit einem abschließenden Patientengespräch (zweiter Athina-Besuch) nach circa zwei bis vier Wochen. Im Idealfall mündet die Intervention bei Bedarf in regelmäßigen Follow-ups.
Das Athina-Konzept
Athina steht für „Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken“. Das Projekt wurde von der Apothekerkammer Nordrhein 2012 mit dem Ziel gestartet, mit der Medikationsanalyse Typ 2a arzneimittelbezogene Probleme nachhaltig zu lösen und die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten mit der Information zu ihrer Arzneimitteltherapie zu steigern. Medikationsanalyse Typ 2a beinhaltet neben den Daten aus einer Medikationsdatei sowie Basispatientendaten immer Informationen aus einem strukturierten Patientengespräch. Mit der Typ-2a-Analyse sollen sich Anwendungs- und Adhärenzprobleme, Interaktionen von Arzneimitteln unter anderem auch mit Nahrungsmitteln, Probleme mit Dosierungsintervallen und Einnahmezeitpunkten sowie Nebenwirkungen detektieren lassen.
Heute gibt es das Athina-Konzept in elf Apothekerkammern, in denen grundlegende Kenntnisse im Bereich Arzneimitteltherapiesicherheit ebenso wie eine strukturierte Vorgehensweise zur Durchführung einer erweiterten Medikationsanalyse vermittelt werden. Diese erfolgt analog zur Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung der Medikationsanalyse. Die Arbeitsmethodik wird praktisch anhand eines Brown-Bag-Reviews durch Bearbeitung von individuellen Patientenfällen aus dem Apothekenalltag geübt und vertieft. Weiterführende Informationen erhalten Sie auf den Homepages der teilnehmenden Kammern.
Retrospektive Auswertung
Vor ca. fünf Jahren wurde ein erster Datensatz von Athina-Medikationsanalysen ausgewertet. Anhand von ca. 1000 Patientenfällen konnte gezeigt werden, dass in der Apotheke sehr gut Patienten identifiziert werden können, die von einer Athina-Medikationsanalyse profitieren könnten – also eine hohe Anzahl an arzneimittelbezogenen Problemen haben. Tatsächlich gelang es dann auch im Rahmen des Athina-Konzeptes, den Anteil von Arzneimitteln mit arzneimittelbezogenen Problemen pro Medikationsregime nahezu zu halbieren. Allerdings zeigte die retrospektive Auswertung auch, dass bis zum Abschlussgespräch eben nicht alle arzneimittelbezogenen Probleme gelöst werden konnten – bei etwa einem Drittel der Arzneimittel bestand auch nach dem Abschlussgespräch weiterhin ein arzneimittelbezogenes Problem. Dabei blieben vor allem jene Probleme offen, deren Lösung wohl mehr Zeit in Anspruch nahm, weil der Lösungsansatz komplizierter war oder weil eine längerfristige Abstimmung mit dem Arzt bzw. der Ärztin erforderlich war.
Prospektive Auswertung
2015 entschieden sich die damals am Athina-Konzept beteiligten Apothekerkammern (Nordrhein, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hessen), gemeinsam mit der Universität Heidelberg eine prospektive Studie zu starten, in der unter anderem untersucht werden sollte, wie sich die entdeckten arzneimittelbezogenen Probleme im weiteren Verlauf entwickeln. Hierfür wurden alle damals registrierten Apothekerinnen und Apotheker mit einem Athina-Zertifikat von ihren jeweiligen Kammern zur Studienteilnahme eingeladen. Die Studie sah vor, dass die Apothekerinnen und Apotheker Patienten, die bereits im Rahmen von Athina betreut wurden, einluden, an einer weitergehenden Datenerhebung teilzunehmen. Diese Datenerhebung umfasste das Ausfüllen von zwei Fragebögen zur Zufriedenheit mit der Arzneimittelinformation und zur arzneimittelbezogenen Lebensqualität während des ersten und zweiten Athina-Besuchs sowie im Rahmen eines weiteren, anlässlich der Studie durchgeführten Follow-up-Besuchs circa drei bis sechs Monate nach dem zweiten Athina-Besuch, in dem auch nochmals die Medikation der Patienten hinsichtlich potenzieller arzneimittelbezogener Probleme geprüft wurde. Letztlich nahmen 41 Apotheker an der Studie teil und rekrutierten insgesamt 132 Patienten – durchschnittlich also 3,2 ± 1,99 Patientinnen und Patienten (Spanne: 1 bis 10). Insgesamt schlossen 115 Patienten die Studie mit dem Follow-up-Besuch ab.
Reduktion der arzneimittelbezogenen Probleme
Vergleicht man die Daten zu den arzneimittelbezogenen Problemen, so hatten – wie auch schon bei der retrospektiven Auswertung – fast alle Patientinnen und Patienten mindestens ein arzneimittelbezogenes Problem (99%), beim zweiten Athina-Besuch sank dieser Anteil auf knapp 63%. Auch die Rate der Arzneimittel mit arzneimittelbezogenen Problemen nahm signifikant ab – und sogar noch ausgeprägter als in den retrospektiven Auswertungen – von knapp 62% zu Beginn auf etwa 15% beim zweiten Besuch. Der Trend setzte sich auch nach drei bis sechs Monaten fort. Dann hatten nur noch etwa 57% der Patienten ein arzneimittelbezogenes Problem, bzw. wiesen nur noch etwa 12% der Arzneimittel ein arzneimittelbezogenes Problem auf. Diese Abnahme war immer noch deutlich, obwohl in der Zeit nach dem zweiten Athina-Besuch auch wieder neue Arzneimittel verordnet wurden, die potenziell fehlerbehaftet in der Anwendung waren oder auch neue Probleme in der bereits bestehenden Medikation festgestellt wurden, die so zuvor noch nicht manifest waren. Dies zeigt deutlich, wie wichtig eine kontinuierliche Überprüfung der Medikation ist – sowohl, um begonnene Maßnahmen weiterzuverfolgen, aber auch, um neue Fehler zu verhindern.
Dabei zeigt sich auch, dass solche Follow-up-Interventionen wesentlich weniger zeit- und ressourcenintensiv sind als Erstinterventionen. Die Athina-Apothekerinnen und -Apotheker gaben an, für die eigentliche Medikationsanalyse einschließlich der beiden Athina-Gespräche mit den Patienten im Median 95 Minuten gebraucht zu haben, zum Teil auch wesentlich länger (Q1 = 80 Minuten, Q3 = 150 Minuten). Im Vergleich dazu benötigten sie für die Follow-up-Besuche im Median nur 30 Minuten (Q1 = 30 Minuten, Q3 = 70 Minuten).
Auf Patientenebene zeigte sich schon beim zweiten Athina-Besuch eine signifikante Zunahme in der Zufriedenheit mit der Menge an Informationen zur jeweiligen Arzneimitteltherapie: Durchschnittlich 85% der Patienten gaben hier an, mit den zur Verfügung gestellten Informationen so zufrieden zu sein bzw. keine Information zu benötigen (im Vergleich zu 60% vor Beginn des Brown-Bag-Reviews).
Auch auf Ebene der arzneimittelbezogenen Lebensqualität gaben die Patientinnen und Patienten positive Effekte an – allerdings war hier ein signifikanter Unterschied erst beim Follow-up-Besuch zu bemerken. Hier gaben etwa zwei von drei Patienten an, keine oder nur leichte Beeinträchtigungen im Alltag durch ihre Arzneimitteltherapie zu haben, im Vergleich zu 54% zu Beginn des Projektes.
Diese prospektive Studie unterstützt also die bereits aus der internationalen Literatur bekannten Ergebnisse für apothekenzentrierte Medikationsanalysen und zeigt, dass die Apotheke ein geeigneter Ort ist, um Patientinnen und Patienten mit Verbesserungspotenzial in der Medikation zu erkennen und auch entsprechende Maßnahmen zu initiieren, um die potenziellen Probleme in der Medikation zu lösen. Es zeigt auch, dass es einen erheblichen Anteil an Problemen gibt, die Apothekerinnen und Apotheker durch Beratung und das Gespräch mit den Patienten direkt lösen können – es daneben aber eben auch einen Teil an Problemen gibt, die nur in Kooperation mit den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen gelöst werden können. Für diese Zusammenarbeit ist Zeit und eine strukturierte Nachverfolgung der (interprofessionellen) Interventionen notwendig. Das unterstreicht, wie sinnvoll das kontinuierliche Follow-up der Patientinnen und Patienten nach einer Erstintervention ist und dass wir ein kontinuierliches Medikationsmanagement interprofessionell denken sollten. |
Literatur
Seidling HM, Send AF, Bittmann J, Renner K, Dewald B, Lange D, Bruckner T, Haefeli WE. Medication review in German community pharmacies – Post-hoc analysis of documented drug-related problems and subsequent interventions in the Athina-project. Res Social Adm Pharm 2016 (Epub), doi: 10.1016/j.sapharm.2016.10.016
Seidling HM, Wien K, Fabricius J, John C, Hauser J, Renner K, Schäfer P, Krisam J, Haefeli WE. Short and mid-term impact of community pharmacy-based medication reviews on medication- and patient-related outcomes in Germany. Int J Clin Pharmacol Ther 2021;59:188-197
Autoren
Hanna M. Seidling und Walter E. Haefeli (Universität Heidelberg, Abt. Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, Kooperationseinheit Klinische Pharmazie), Carina John und Katja Renner (AK Nordrhein, Julia Fabricius (AK Niedersachsen), Johanna Hauser (LAK Hessen), Patrick Schäfer (LAK Baden-Württemberg), Bernd Dewald, Wera Holthaus, Johannes Krisam, Simone Küpping, Dörte Lange, Birgit Neuhold, Dr. Ulrich Weißenborn, Katharina Wien und Isabelle Wendel (Athina-Study-Team)
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