Arzneimittel und Therapie

Noradrenalin könnte Alzheimer-Patienten helfen

Alternativer Ansatz rückt wieder in den Fokus – viele Fragen ungeklärt

Auf der Suche nach weiteren Ansätzen zur Therapie der Alzheimer-Erkrankung wird zunehmend wieder die Rolle der noradrenergen Neurotransmission diskutiert. Eine neue Metaanalyse fasst die Effekte verschiedener adrenerg wirksamer Wirkstoffe zusammen und stellt eine nachweisliche Wirkung auf die Kognition und Apathie der Patienten fest. Bei der Umsetzung in die Praxis lauern aber Hindernisse.

Bei der Suche nach neuen Alzheimer-Therapeutika sind es vor allem Plaque- und tau-Antikörper, die für Schlagzeilen sorgen. Abseits dieser Biologicals wird aber noch eine ganze Reihe weiterer Behandlungsansätze verfolgt. Zunehmend gerät dabei der Neurotransmitter Noradrenalin in den Blick, der Prozesse der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Exekutivfunktion steuert. Gebildet wird der Botenstoff vor allem von noradrenergen Neuronen im Locus coeruleus, die weit in alle Bereiche des Gehirns projizieren. Schon früh im Verlauf der Alzheimer-Erkrankung ist dieses wichtige Areal von den neurodegenerativen Prozessen betroffen [1]. Die Rolle der noradrenergen Neurotransmission in der Krankheitspathogenese – aber auch als therapeutisches Target – wird deshalb zuletzt wieder intensiv diskutiert. Neu ist die Idee indes nicht, schon vor dreißig Jahren wurde dieser Zusammenhang vermutet. Studien mit dem Alpha-2-Agonisten Guanfacin (Intuniv®, zugelassen bei ADHS) blieben aber erfolglos [2].

Foto: oneinchpunch/AdobeStock

Noradrenerge Wirkstoffe bis hin zu Methylphenidat zeigen bei Alzheimer-Patienten positive Effekte auf die Kognition und wirken der Apathie entgegen.

In einer Metaanalyse wurden nun die Ergebnisse sämtlicher Studien zusammengefasst, die adrenerge und anti­adrenerge Wirkstoffe an Patienten mit Alzheimer oder leichter kognitiver Beeinträchtigung untersuchten [3]. Die Spannweite der getesteten Substanzen reichte von Alpha-2-Agonisten (z. B. Guanfacin) über den Betablocker Propranolol, Alpha-1-Antagonisten (z. B. Prazosin) und Alpha-2-Antagonisten (z. B. Mirtazapin) bis hin zu Wiederaufnahmehemmern (z. B. Methylphenidat). Da Untersuchungen an Alzheimer-Patienten oft verschiedene Skalen nutzen, um die kognitive Beeinträchtigung und andere Symptome zu messen, errechneten die Autoren zur besseren Vergleichbarkeit die standardisierte mittlere Differenz (SMD). Der Messwert drückt aus, um welche Standardabweichungen sich die Effekte von Wirkstoff und Placebo unterschieden.

Der auf diese Weise gepoolte Effekt aller untersuchter Substanzen auf die globale Kognition von 1300 Alzheimer-Patienten aus zehn Studien erwies sich mit einer SMD von 0,14 zwar als gering, aber signifikant (p = 0,01). Verschiedene kognitive Submarker für bspw. das Arbeitsgedächtnis wurden hingegen nicht beeinflusst. Zum Vergleich: Die derzeit gängigen Cholin­esterase-Inhibitoren erzielen Werte zwischen 0,06 (bei Patienten mit minimaler kognitiver Beeinträchtigung) und 0,38 (bei Alzheimer-Patienten) [4, 5].

Alzheimer-Patienten leiden neben den kognitiven Einschränkungen oft unter neuropsychiatrischen Symptomen, bspw. Apathie und Agitation, die auch im Rahmen der Metaanalyse evaluiert wurden. Während die (anti-)adrenergen Wirkstoffe keinen Effekt auf die Gesamtscores für neuropsychiatrische Symptome ausübten, verbesserten sie die gemessenen Apathie-Endpunkte deutlich. Die gepoolten Ergebnisse von 425 Patienten aus acht Studien offenbarten eine standardisierte mittlere Differenz von 0,45 (p = 0,002). Die in diesem Zusammenhang am häufigsten untersuchte Substanz war Methylphenidat, sodass möglicherweise auch dopaminerge Effekte eine Rolle spielen.

Einsatz mit Hindernissen

Eine unkomplizierte Implementation dieser Wirkstoffe in die Praxis scheint jedoch schwierig. Die Rolle des Botenstoffs in der Krankheitsgenese müsse den Autoren zufolge noch besser verstanden werden, denn auch förderliche Effekte des Botenstoffs auf die tau- und Amyloid-Aggregation werden diskutiert [6]. Schwierig werden könnte auch die Dosisfindung, da sowohl eine noradrenerge Über- als auch Unter­stimulation die Kognition den Autoren zufolge negativ beeinflussen. Ausdruck verleiht dieser Komplexität die Tatsache, dass sowohl Agonisten als auch Antagonisten im Rahmen der Metaanalyse wirksam waren. |

 

Literatur

[1] Jacobs HIL et al. In vivo and neuropathology data support locus coeruleus integrity as indicator of Alzheimer’s disease pathology and cognitive decline. Sci Transl Med 2021;13: eabj251

[2] Crook T et al. Noradrenergic intervention in Alzheimer‘s disease. Psychopharmacol Bull 1992;28:67-70

[3] David MCB et al. Cognitive and neuropsychiatric effects of noradrenergic treatment in Alzheimer‘s disease: systematic review and meta-analysis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2022;jnnp-2022-329136 (Online-Veröffentlichung vor Print-Ausgabe)

[4] Blanco-Silvente L et al. Discontinuation, efficacy, and safety of cholinesterase inhibitors for Alzheimer‘s disease: a meta-analysis and meta-regression of 43 randomized clinical trials Enrolling 16 106 patients. Int J Neuropsychopharmacol 2017;20:519-528

[5] Matsunaga S et al. Efficacy and Safety of Cholinesterase Inhibitors for Mild Cognitive Impairment:A Systematic Review and Meta-Analysis. J Alzheimer’s Dis 2019;71:513-523

[6] Mather M. Noradrenaline in the aging brain: promoting cognitive reserve or accelerating Alzheimer‘s disease? Semin Cell Dev Biol 2021;116:108-124

Apotheker Dr. Tony Daubitz

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