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Lieferdienste
Angriff auf das Apothekenwesen
Lieferdienst-Plattformen sind juristisch höchst fragwürdig
Das Thema „Expresskurierdienste für Apotheken“ muss in der Berufsöffentlichkeit transparent diskutiert werden, vor allem hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen. Dieses Thema wird gerade verschiedentlich auf den juristischen Prüfstand gestellt.
Da wäre zunächst ein möglicher irreführender werblicher Auftritt zu nennen. Die Lieferdienst-Apps stellen ein Arzneimittel-Angebot bereit, das durch Partner-Apotheken bedient wird. Das Landgericht Berlin hat in seiner einstweiligen Verfügung (Az: 91 O 98/21 vom 11. November 2021) klargestellt, dass ein solches Start-up nicht den Eindruck erwecken darf, es betreibe selbst eine Apotheke – und früh im Bestellprozess deutlich machen muss, von welchem Partner die Lieferung kommt. Hieraus haben die Anbieter offenbar bereits gewisse Lehren gezogen.
Ein weiterer Aspekt ist die Frage, inwiefern ein Botendienst durch Logistiker mit der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) zu vereinbaren ist. Die Anbieter wollen den Apotheken die schnelle Belieferung abnehmen. Für eine lokale Apotheke, die nicht genügend Boten hat, könnten die Angebote demnach betriebswirtschaftlich verlockend sein, vor allem die unschlagbar schnelle Zustellung. Aber: Die ApBetrO spricht von „Zustellung durch Boten der Apotheke“. Boten im Sinne der ApBetrO sind die Kurierfahrer nicht, sie sind nicht bei der Apotheke angestellt. Da diese Zustelldienste außenstehende Logistiker sind, bräuchte die Apotheke eine Versandhandelserlaubnis, um sie einzusetzen. Vonseiten des Bundesgesundheitsministeriums heißt es dem Vernehmen nach, die Boten müssten der Weisungsbefugnis der Apothekenleitung unterstehen. Offenbar soll dann die Einzelfallprüfung durch die ortsnahen unteren Aufsichtsbehörden vorgenommen werden, die das Recht haben, sich von beteiligten Apotheken entsprechende Kooperationsverträge zur Prüfung vorlegen zu lassen.
Minutenschnelle (Nicht-)Beratung
Wie steht es um die Beratung? Die Start-ups holen die Arzneimittel bei Apotheken ab. Die Beratung wollen sie sicherstellen, indem sie Telefonate zwischen Kunden und approbiertem Apothekenpersonal zumindest theoretisch ermöglichen. Der Kunde kann sogar wählen, ob er beraten werden will oder nicht. Zu bedenken ist weiter: Wenn auch Arzneien geliefert werden, stellt sich natürlich die Frage, wie denn bei einem Zeitfenster von 30 Minuten und weniger qualifiziert im Sinne des § 20 ApBetrO beraten werden soll.
Eine Begleitfrage: Ist ein Zeitfenster von 30 Minuten oder weniger zwischen Bestellung und Lieferung, vorgegeben durch die Plattform, mit der Unabhängigkeit der Apotheke und insbesondere der Beratungsobliegenheit vereinbar?
Solche Lieferdienst-Apps geben den Kunden die Auswahl der Plattform in ihrem Postleitzahlenbereich vor – greifen also in das freie Apothekenwahlrecht ein. § 11 Abs. 1 Apothekengesetz (ApoG) wurde in der seit dem 20. Oktober 2020 geltenden Fassung im Hinblick auf das Aufkommen entsprechender Plattformen – entweder aus der Mitte der Apothekerschaft oder von apotheken- oder nicht apothekennahen Mitstreitern – der Anwendungsbereich dahingehend erweitert, dass nunmehr nicht alleine Absprachen zwischen Erlaubnisinhabern und Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, in den Anwendungsbereich fallen, sondern auch solche Vereinbarungen, die mit Dritten geschlossen werden. Insoweit liegt mithin eine Vereinbarung zwischen den Erlaubnisinhabern der Apotheken sowie den Lieferunternehmen vor, die die Zuführung von Patienten zum Gegenstand hat.
Zu beachten sind bezüglich dieses Aspektes auch die apothekerlichen Berufsordnungen, die bundesweit einheitlich vorsehen, dass gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassene Vereinbarungen, Absprachen und schlüssige Handlungen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Abgabe von Arzneimitteln zur Folge haben können, unzulässig sind. Ferner ist stets vorgesehen, dass gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassene Verträge, Absprachen und Maßnahmen, die bezwecken oder zur Folge haben können, andere Apotheken von der Belieferung oder Abgabe von Arzneimitteln ganz oder teilweise auszuschließen, verboten sind.
Zwar richtet sich die Berufsordnung nicht unmittelbar an die Lieferunternehmen; indem diese jedoch Apotheken entsprechende Vereinbarungen, die gegen berufsrechtliche Verbote verstoßen, anbieten, liegt eine Anstiftung der Apotheken zu einem Verstoß gegen diese Vorschriften seitens der Unternehmen vor.
Anbieter verdienen umsatzbezogen
Im Rahmen der zwischen den Lieferunternehmen und den niedergelassenen Apotheken geschlossenen Vertragsverhältnisse ist regelmäßig vorgesehen, dass eine Pauschale von ca. 15 Prozent des Wertes der gelieferten Arzneimittel sowie sonstigen Produkten von der vertraglich mit dem Unternehmen verbundenen Apotheke an das Unternehmen gezahlt wird. Es werden verschiedene Vergütungsmodelle angeboten, denen aber die prozentuale Umsatzbeteiligung gemein ist.
Diese Gestaltung verstößt gegen § 8 S. 2 ApoG. Dieser sieht vor:
„Beteiligungen an einer Apotheke in Form einer stillen Gesellschaft und Vereinbarung, bei denen die Vergütung für den Erlaubnisinhaber gewährte Darlehen oder sonst überlassene Vermögenswerte am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet ist, insbesondere auch am Umsatz oder Gewinn ausgerichtete Mietverträge sind unzulässig.“
Vorliegend handelt es sich bei der Gestaltung um eine Vereinbarung, bei der die Vergütung für einen sonst überlassenen Vermögenswert, nämlich die Möglichkeit, mithilfe des betreffenden Lieferdienstes sich am Markt zusätzlich zu präsentieren und Kunden zu generieren, am Umsatz der Apotheke ausgerichtet ist.
Bei Schaffung des § 8 ApoG gab es noch keine Plattformen, jedoch ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift und der sich ändernden Verbrauchergewohnheiten der Anwendungsbereich auch insoweit eröffnet. Denn § 8 S. 2 ApoG weist ausdrücklich auf Mietverträge hin, bei denen eine Vergütung, die sich am Umsatz oder Gewinn der Apotheke ausrichtet, unzulässig sein soll. Während für die klassische Apotheke allein die Lage des Ladenlokals von grundlegender Bedeutung für Umsatz und Ertrag war, haben sich im digitalen Zeitalter die Schwerpunkte verschoben. Wie auch in anderen Branchen gewinnt der Vertrieb über das Internet, unabhängig davon, ob es sich um klassischen Versandhandel handelt oder aber um den mittlerweile als Regelleistung akzeptierten Botendienst, an Bedeutung. Wenn somit in der Vergangenheit es für erforderlich erachtet war, gewinnabhängige Mietverträge für Ladenlokale auszuschließen, darf nichts anderes dann gelten, wenn es um eine umsatzabhängige Beteiligung für ein erweitertes virtuelles Schaufenster, nämlich über die Anbieterplattform bzw. Anbieter-App geht. Die Expresslieferdienste und damit die kooperierenden Apotheken sind teilweise im Netz auffallend stark präsent.
„Bloße“ Warenkorbprovision bedenklich
Es kann auch nicht darauf ankommen, ob die Vergütung am Gesamtumsatz oder Gesamtgewinn oder lediglich ans Transaktionsvolumen, also an den „Warenkorb“, gekoppelt ist. Genau auf diese Argumentationsschiene scheinen die Anbieter skeptischen Apothekern gegenüber eingeschwenkt zu sein.
Regelungsziel des § 8 S. 2 ApoG ist die Erhaltung der Eigenverantwortlichkeit des Apothekers, die voraussetzt, dass der Apotheker das rechtliche und wirtschaftliche Risiko der Apotheke trägt. Wenn nun ein Apotheker Investitionen in seinen eigenen Auftritt tätigt, so kommt ihm dies auch unmittelbar zugute. Bei den Portalen ist es jedoch genau umgekehrt, nämlich dass der Bekanntheitszuwachs, für den auch noch mittels der umsatzabhängigen Pauschale bezahlt wird, in der Hauptsache dem Portal zugutekommt.
Auch die Höhe der Gebühr spielt keine Rolle
Die einzelne Apotheke wird – wie etwa bei einem Hotelbuchungsportal die einzelne Unterkunft - „unsichtbar“, wenn der Kunde nur das Portal ansteuert, und genau hieraus ergibt sich die Abhängigkeit, insbesondere in wirtschaftlicher Weise von dem Portal. Hier muss auch das Risiko einer nachträglichen Anpassung der Gebühren mitbedacht werden. Dies umso mehr, wenn eine Apotheke sich gleich bei mehreren Dienstleistern listen und abschöpfen lässt, was das deutlich erhöhte Risiko zutage fördert.
Die Anbieter verteidigen sich weiter damit, dass die Höhe der Gebühr schon abstrakt nicht geeignet sei, Einfluss auf den Betrieb der Apotheke nehmen zu können.
Hier wird diskutiert, ab wann denn dann die umsatzbezogene Transaktionsgebühr geeignet ist, Einfluss auf den Betrieb der Apotheke nehmen zu können. Das erklärte Ziel der Plattform ist es, sich so zu präsentieren, dass möglichst viel Umsatz über die Plattform generiert wird. Es kann nicht sein, dass es letztlich vom Erfolg der Plattform abhängt, ob die umsatzbezogene Transaktionsgebühr dann plötzlich unzulässig wird oder ob diese von Beginn an unzulässig ist.
Unter Berücksichtigung auch des Schutzgedankens des § 7 ApoG, wonach der Apotheker wirtschaftlich vollständig unabhängig agieren soll, ist eben gerade nicht gewollt, dass irgendwelche Verträge, unabhängig von deren Umfang, sich auf den Umsatz der Apotheke beziehen, da nur so die Unabhängigkeit der Apotheke vollständig gewahrt wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Apotheke – anders als dies bei anderen Gewerbetreibenden gilt – nur in eingeschränktem Maße die Möglichkeit besitzt, sich anderweitig zu refinanzieren. Dem Apotheker obliegt die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Umgekehrt ist die Apotheke hinsichtlich ihres Leistungsspektrums rechtlich reglementiert. Dies bedeutet, dass die Apotheke nur einen bestimmten Leistungskatalog besitzt und eben nur beschränkt die Möglichkeit hat, durch eine Ausweitung des Sortiments die Vergütungen, die an die Plattform zu leisten sind, dann durch einen Ausbau des Geschäftes zu erwirtschaften. Dies führt dazu, dass unabhängig von der Höhe ein Beteiligungsmodell, bei dem die Beteiligung am Umsatz sich orientiert, unzulässig ist.
Es ist zu erwarten, dass die Situation dieser Dienste zeitnah weitere gerichtliche Klärung erfahren wird, da eine scheinbar triviale „Schnellstlieferung“ fundamentale Grundsätze des Apothekenwesens betrifft. |
ApothekenRechtTag online am 18. März 2022
09.15 Uhr Einführung & Begrüßung, Dr. Christian Rotta, Mediengruppe Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart
09.30 Uhr Die Ampel und die Apotheken – Was plant der Gesetzgeber? Thiemo Steinrücken, Bundesministerium für Gesundheit
10.30 Uhr Wertreklame in- und ausländischer Apotheken – Zulässigkeit und Grenzen, Dr. Elmar Mand, LL.M. (Yale), Marburg
11.30 Uhr Vertriebsplattformen für Apotheken: Was müssen Anbieter und Apotheker beachten? Dr. Timo Kieser, Kanzlei Oppenländer Stuttgart
12.30 Uhr Pause
13.30 Uhr Corona infinita? Das Wettbewerbsrecht und die Pandemie,Christiane Köber, Wettbewerbszentrale, Bad Homburg
14.30 Uhr Der Apotheker als Großhändler – Was ist erlaubt, was ist verboten? Dr. Valentin Saalfrank, Kanzlei Saalfrank, Köln
15.30 Uhr Echt, unecht und überhaupt – Der ewige Skonti-Streit, Dr. Morton Douglas, Friedrich Graf von Westphalen Rechtsanwälte, Freiburg
16.30 Uhr Brauchen wir eine Telepharmazieverordnung? Dr. Bettina Mecking, stellv. Geschäftsführerin, Apothekerkammer Nordrhein, Düsseldorf
17.30 Uhr Verabschiedung
Wir freuen uns darauf, Sie am Freitag, den 18. März beim ApothekenRechtTag online 2022 live auf interpharm.de zu begrüßen.
Alle Teilnehmenden sind eingeladen, sich per Chat an der Diskussion zu beteiligen! Sichern Sie sich jetzt Ihre Tickets auf interpharm.de
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