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Management

Öfter mal die Brille tauschen

Warum Sie Ihre Apotheke immer wieder aufs Neue mit den Augen Ihrer Kunden sehen sollten

Jeder von uns hat eine ganz individuelle Wahrnehmung, denn wir sehen die Welt gefärbt durch die Brille unserer Erfahrungen und unserer Programme (Glaubensmuster). Ein und dieselbe Situation kann von unterschiedlichen Menschen vollkommen anders empfunden und interpretiert werden. Was steckt dahinter und wie hilft uns dieses Wissen für den täg­lichen Umgang mit den Kunden in der Apotheke?

Der aus Österreich stammende US-amerikanische Ökonom Peter Drucker sagte einmal: „Marketing heißt, das ganze Geschäft mit den Augen der Kunden zu sehen.“ In diesem Sinne ist auch die Überschrift gemeint und bezieht sich nicht auf das Austauschen einer Sehhilfe oder gar des Toiletten­sitzes.

Oft haben wir vor lauter Vorschriften, Überprüfungspflichten und Dokumentationsaufgaben in der Apotheke den Blick auf unsere Kunden verloren und sehen die Menschen dahinter nicht mehr. Das Marketing will Gewinnoptimierung im OTC- und Rx-Markt, will Produktsortimente und Lieferketten optimieren – doch manchmal vergessen wir dabei die Bedürfnisse unserer Kunden. Wie empfinden sie ihren Einkauf in der Apotheke? Was wünschen sich die Kunden bei ihrem per­sönlichen Besuch in der Offizin?

Das Wissen im Online-Geschäft …

Online-Unternehmen kennen oft ihren Kunden weit besser als wir im stationären Einzelhandel der Apotheke. Sie wissen gut Bescheid über sein Lese- und Betrachtungsverhalten auf den einzelnen Seiten, über seine Vor­lieben, für welche Produkte und Dienstleistungen er sich interessiert, und werten seine Bestell­historie sehr genau für weitere Empfehlungen aus. Auch Google hat das Resonanz-Gesetz erkannt und liefert uns immer das, wofür wir uns interessieren. All diese ausgefeilten Methoden fehlen uns in der Apotheke.

… und die Stärke der Präsenz-Apotheke

Der große Nutzen in den Vor-Ort-Apotheken ist der persönliche, freundliche oder sogar herzliche Kontakt zu unseren Kunden, der eine besondere Art der Verbindung schafft. Die Pandemie hat vieles verändert. Aus dem (sicherlich erforderlichen) Social Distancing ist auch Emotional Distancing geworden, wir sind uns in den Teams und mit den Kunden über lange Zeit nur „maskenhaft“ begegnet und haben unser „Antlitz versteckt“. Wir waren hinter Plexiglasscheiben verborgen und womöglich noch mit Absperrungen vor den HV-Tischen vom Kunden ferngehalten. Dies soll keine Kritik an den Maßnahmen sein, sondern eine Aufforderung, jetzt wieder zu einer sozialen Nachhaltigkeit in der Kundenbeziehung zu wechseln.

Wir brauchen wieder menschliche Verbundenheit

Wir müssen uns wieder mit gegenseitigem Respekt und vollem Vertrauen begegnen. In der Pyramide der Grundbedürfnisse nach Abraham Maslow können wir zwei Bereiche gut bedienen: das Bedürfnis nach Sicherheit, denn hierzu zählen Gesundheit und Vorsorge, und die sozialen Bedürfnisse, bei denen es um zwischenmenschliche Beziehungen, die Gruppen­zugehörigkeit, den sozialen Austausch und die Gemeinschaft geht.

In unserem limbischen System im Gehirn gibt es ein kleines Areal, die Amygdala, den Mandelkern. In diesem Mandelkern werden emotionale Erlebnisse gespeichert und erhalten dort ein positives oder negatives Häkchen. Dies passiert auch, wenn ein Kunde zum Einkauf in die Apotheke kommt, er wird manche Punkte als angenehm erleben und andere wieder als unangenehm. Entscheidend dafür, ob ein Kunde erfreut die Apotheke verlässt und gern wiederkommt, ist die Tatsache, dass er wesentlich mehr positive Eindrücke als negative Eindrücke abgespeichert hat. Deshalb wird es zu unserer Aufgabe, stets dafür zu sorgen, dass genügend dieser positiven Häkchen während des Verkaufsgespräches im limbischen System entstanden sind.

Die innere Landkarte

Stellen Sie sich vor: Sie sind in einem Hotel, öffnen abends die Tür Ihres Zimmers und riechen Rauch. Schlagartig nehmen Sie diesen Geruch als gefährliche Situation eines möglichen Hotelbrandes wahr, da Ihr Gehirn bereits Erfahrungen gespeichert hat, die mög­licherweise irgendwann wieder gebraucht werden können. Und dies gilt nicht nur für gefährliche Situationen, bei denen es ums Überleben geht. Alle Erlebnisse werden abgespeichert, Freud und Leid, viele Menschen und Situationen, sowie Eindrücke, Bewertungen und Erfahrungen, auch die Strategien, wie Sie in bestimmten Situationen reagiert haben und ob dies erfolgreich oder nicht erfolgreich war.

Daraus ist eine Art innere Landkarte entstanden, sie stellt eine riesengroße Sammlung aus Er­innerungen, Prägungen und Bewertungen dar. Neue Sinneswahrnehmungen in bestimmten Situationen werden ständig mit bekannten Mustern abgeglichen – dies geschieht, ohne dass wir es merken, fast in Nullzeit im limbischen System. So baut jeder Mensch seine eigene Realität auf, die von der Wirklichkeit durchaus abweichen kann.

Jeder Mensch nimmt seine eigene Realität wahr: Zwei Personen sitzen sich an einem Tisch gegenüber, auf dem ein Blatt mit einer Ziffer liegt. Die eine Person wird sie als „6“ wahrnehmen, die andere Person als „9“ – und interessanter­weise haben beide Recht.

Übertragung auf die Apotheke

Es kommt nicht darauf an, wie wir bestimmte Ausdrücke oder auch Situationen meinen, sondern wie sie der Kunde wahrnimmt und einordnet.

Beispiele:

  • Ein Kunde betritt die Apotheke und wird nicht sofort beachtet, da alle fleißig am Arbeiten und Bedienen sind. Im Gehirn dieses Kunden speichert sich kaum ab: „Oh, alle Teammitglieder sind so konzentriert und fleißig, dass sie mich gar nicht bemerken können“, sondern eher „Ich werde nicht wahrgenommen“ oder „Ich bin nicht wichtig“.
  • Ein Kunde betritt die Apotheke und sieht, dass zwei Mitarbeiter Kunden bedienen, zwei weitere Mitarbeiter irgendetwas an den Regalen erledigen und vor ihm noch drei Kunden warten. Da er wahrscheinlich nicht weiß, dass an den Regalen die Back­office-Kräfte arbeiten, könnte er sich denken: „Sind wir es nicht wert, bedient zu werden?“ oder „Die haben es wohl nicht mehr nötig!“.
  • Gleiche Situation wie eben, zwei Mitarbeiter bedienen, fünf Kunden warten und aus dem Hintergrund sind Stimmen zu hören, vielleicht sogar noch, dass sich Teammitglieder über das Wochenende oder einen Urlaub unterhalten. Natürlich ist dies von den Teamkollegen nicht unhöflich oder abwertend gemeint, doch darum geht es nicht, sondern einzig und allein darum, wie es der Kunde bewertet.
  • Eine Mitarbeiterin ist im Eingangsbereich der Apotheke mit dem Einräumen von Ware beschäftigt. Sie arbeitet ganz konzentriert und merkt gar nicht, dass einige Kunden an ihr vorbei zum HV gehen. Von ihr aus ist das nicht unhöflich gemeint, für den Kunden könnte es schon gleich mal die „Höchststrafe“ bedeuten: „Der erste Repräsentant eines Unternehmens nimmt mich nicht mal wahr.“ Denken Sie an mögliche eigene Erfahrungen im Supermarkt, Baumarkt oder Kaufhaus.
  • Selbst die oben beschriebene Situation während der Pandemiezeit mit Masken, Plexiglasscheibe und Absperrband ist eine Aus­sage, die im Kunden ein Abgelehnt-Sein, Ausgeschlossen-Sein oder sogar Unerwünscht-Sein bewirken könnte.

Tipps für die Praxis

Versuchen Sie, die Kunden so früh wie möglich wahrzunehmen, der erste Eindruck ist besonders wichtig und soll ein angenehmer Start ins Verkaufsgespräch sein. Vermeiden Sie störende Geräusche oder Stimmen aus dem Hintergrund. Es kann sinnvoll sein, wenn die Backoffice-Mitarbeiter eine andere Berufskleidung tragen als die HV-Mitarbeiter.

Auch die Sprache ist ein wichtiges Thema, das wir immer wieder in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken sollten. Denn sowohl der Inhalt des Gesagten als auch die Art und Weise des Sprechens können sehr unterschiedliche Empfindungen aus­lösen. Eine belehrende Art in der Beratung katapultiert manche Menschen sofort wieder emotional in ihre Schulzeit zurück und ruft möglicherweise negatives Empfinden hervor.

Vermeiden Sie das Wort „muss“: Ein Mitarbeiter einer großen Firma, der den ganzen Tag von seinem Chef Befehle hört wie „Das Angebot an die Fa. XY müssen Sie heute noch fertig machen …, der Investitionsplan muss in dieser Woche vorliegen…, die neuen Richtlinien müssen schnellstmöglich umgesetzt sein…“, wird in der Apotheke nicht sehr erfreut reagieren, wenn ihm erklärt wird: „Da müssen Sie aufpassen, dass …, Sie müssen morgen wiederkommen …, Sie müssen die Medikamente schon regelmäßig nehmen …“ Bessere Formulierungen sind: „Bitte denken Sie daran, dass …, bitte schauen Sie doch morgen noch mal vorbei …, bitte nehmen Sie die Medikamente sehr regelmäßig ein …“

Dasselbe gilt für das Wort „muss“ im Zusammenhang mit einer Bestellung oder Anfertigung: „Das muss ich Ihnen erst bestellen“ klingt nach Zwang und vermittelt, dass es einen unangenehmen Aufwand für das Team darstellt. Besser: „Das Medikament ist für Sie bereits bestellt. Um 14 Uhr können Sie es schon abholen.“ Oder etwas vorsichtiger „Darf ich das Medikament für Sie bestellen? Schon um 14 Uhr ist es bei uns vorrätig.“ Oder auch: „Darf ich Ihnen Ihr Medikament um 13 Uhr mit dem Lieferdienst bringen lassen?“ Fangen Sie an, Vorteile zu verkaufen. In kaum einer anderen Branche kann ein Produkt so schnell besorgt werden wie in der Apotheke. Natürlich kommt es sehr auf die Art und Weise an, wie Sie den Satz sagen. Lieber ein freundlich ausgedrücktes „muss“ als ein unhöflich gesprochener Satz, bei dem das Wort „muss“ zwanghaft vermieden wird.

„Die Sprache ist die Kleidung der Seele.“ Über die Art und Weise des Sprechens lässt sich Höflichkeit und Respekt vermitteln. Nehmen Sie positive Worte verstärkt in Ihren Sprachschatz auf: „Ja gern“, „sicherlich“, „selbstverständlich“ ... Der Kunde soll bei Ihnen in der Apotheke das Gefühl haben, dass er herzlich willkommen ist und dass Sie mehr für ihn tun, als nur einige Medikamente über den Ladentisch zu reichen. Durch eine positive Sprechweise unterstreichen Sie diese Einstellung.

Wenn es um eine Rezeptur geht, könnten Sie formulieren: „Da hat Ihnen der Arzt etwas ganz Individuelles verordnet. Wir stellen es frisch für Sie her, in einer Stunde können Sie es schon abholen.“ Oder wie oben: „Dürfen wir Ihnen das Medikament heute noch nach Hause bringen oder kommen Sie wieder vorbei?“

Sprechen Sie bitte nicht von Rabattverträgen, sondern von Vertragsarzneimitteln, Ersteres kann schnell abwertend wahrgenommen werden, denn: Wer bekommt denn da einen Rabatt? Der Kunde, die Apotheke, die Firma, die Kasse? Bei einem Seminar erzählte einmal eine Kollegin, sie würden in der Apotheke den Kunden stets erklären: „Das sind Exklusiv-Verträge, die Ihre Krankenkasse mit der Pharmaindustrie vereinbart“ – toll!

Worte im Verkauf wie „möchte, dürfte, würde, vielleicht“ sind schwach: „Da würde ich Ihnen vielleicht noch empfehlen, dass Sie unter Umständen ...“. Pflegen Sie eine verbindliche Kommunikation: „Ich empfehle Ihnen noch ..., damit sind Sie bald wieder fit.“

Das Wort „aber“ kann schnell zu einer „parfümierten Keule“ werden, denn es dreht alles ins Gegenteil um, was eben gesagt wurde:

  • „… da haben Sie schon Recht, aber …“ – hat er nun Recht oder nicht?
  • „… das machen Sie sehr gut, aber …“ – na ja, da wird es schon recht deutlich.
  • „… Schatz ich liebe dich, aber …“ – braucht nicht mehr kommentiert werden.

Fazit

Die Augenblicke der Wahrheit sind die Momente, in denen Kunden sich innerlich entscheiden, ob sie wiederkommen und unsere Kunden bleiben wollen oder nicht. Sowohl durch unser Verhalten, durch ein gezieltes Einsetzen von Mimik, Gestik und Blick­kontakt sowie durch die Sprache können wir Kunden positiv beeinflussen und angenehme Emotionen vermitteln.

Ein Kunde wird seinen Gesamt­eindruck immer am schwächsten Glied der gesamten Servicekette festmachen. Deshalb ist es so wichtig, dass alle im Team gut sind und sich jeden Tag aufs Neue darauf besinnen, möglichst viele positive Häkchen im limbischen System des Kunden zu setzen.

Haben Sie den Mut, sich immer wieder durch die Brille des Kunden kritisch zu betrachten! |

Emanuel Winklhofer, Apotheker, 93197 Zeitlarn, Agentur für Kommunikation, www.winklho.de

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