Gesundheitspolitik

Unpraktikables Scheinvorhaben?

ks | Apotheken sollen nicht verfügbare essenzielle Kinderarzneimittel künftig flexibler austauschen können. Doch die ABDA hält die Regelung für unpraktikabel.

Mit dem Lieferengpassgesetz (ALBVVG) hat der Gesetzgeber bereits zum 1. August dieses Jahres im Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) flexiblere Regelungen für die Arzneimittelabgabe geschaffen, die dauerhaft gelten sollen, wenn das eigentlich abzugebende Arzneimittel nicht verfügbar ist (§ 129 Abs. 2a SGB V). Der ABDA gingen diese Freiheiten allerdings von Anfang an nicht weit genug, unter anderem hatte sie immer wieder darauf gepocht, dass Apotheken auch bei der Wahl der Darreichungsform flexibler sein müssten.

Dringlichkeitsliste des BfArM als Basis?

Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass auch in der kommenden kalten Jahreszeit viele Arzneimittel fehlen werden – vor allem für Kinder – versprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), mit Blick auf diese speziellen Medikamente nochmals nachzubessern. Geschehen ist dies nun über einen Änderungsantrag zum Pflegestudiumstärkungsgesetz, das der Deutsche Bundestag am vergangenen Donnerstag abschließend beraten und verabschiedet hat – und zwar in der Fassung, wie es der Gesundheitsausschuss des Bundestags empfohlen hat.

Konkret geht es um einen weiteren neuen Absatz für den immer länger werdenden § 129 SGB V – dem für die Arzneimittelversorgung durch Apotheken zentralen Paragrafen. In der ersten Version des Änderungsantrags war vor­gesehen, dass nicht verfügbare Arzneimittel der „Dringlichkeitsliste Kinderarzneimittel“ (in der jeweils geltenden Fassung, veröffentlicht auf der BfArM-Web­seite) abweichend von den allgemeinen gesetzlichen und rahmenvertraglichen Austauschregeln ausgetauscht werden können gegen ein wirkstoffgleiches Rezeptur/Defektur- oder Fertigarzneimittel – auch in anderer Darreichungsform ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt bzw. der Ärztin.

ABDA-Kritik im Stellung­nahmeverfahren

Die ABDA hatte in ihrer Stellungnahme die Bezugnahme auf diese bereits existierende Dringlichkeitsliste scharf kritisiert. Diese Liste enthält derzeit knapp 20 Wirkstoffe sowie die Darreichungsformangabe. Allein damit sei eine eindeutige, rechtssichere Zuordnung und Umsetzung der Austausch- und Bevorratungsempfehlungen auf Fertigarznei­mittel­ebene unmöglich. Ein weiteres Problem sei, dass die Liste ständig verändert werden könne.

Fraktionen schleifen Änderungsantrag nach

Die Ampel-Fraktionen haben daraufhin zwar an der Formulierung nachjustiert. Inhaltlich ändert sich dadurch allerdings wohl nicht viel. Der neue § 129 Abs. 2b SGB V bestimmt demnach künftig, dass das BfArM nach Anhörung des Bundesministeriums für Gesundheit eine Liste für Kinderarzneimittel erstellen kann, die essenzielle Arzneimittel für die Pädiatrie enthält, die möglicherweise einer angespannten Versorgungssituation unterliegen. Diese Liste – und Änderungen hieran – hat das BfArM auf seiner Internetseite zu veröffentlichen. Ist in der Apotheke ein Arzneimittel dieser Liste abzugeben, kann diese das Mittel abweichend von den sonstigen gesetzlichen und rahmenvertraglichen Vorgaben „gegen ein wirkstoffgleiches in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, oder gegen ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel in einer anderen Darreichungsform ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt austauschen“.

Wie bei anderen auszutauschenden nicht lieferbaren Arzneimitteln nach den neuen ALBVVG-­Vorgaben gilt: Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn das Arzneimittel trotz zwei Anfragen beim Großhandel nicht in angemessener Zeit zu beschaffen ist (ein Großhandel reicht, wenn die Apotheke nur von einem vollversorgenden Großhändler beliefert wird). Und: Eine Retaxation wird für diese Fälle des Austauschs ausgeschlossen. Entsprechende Regelungen werden überdies in der Apothekenbetriebsordnung für Privatpatienten, Selbstzahler und Beihilfeempfänger verankert.

Die jetzt beschlossene Fassung spricht also nicht mehr von der „Dringlichkeitsliste“. In den Anmerkungen zu den Änderungsanträgen heißt es in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Gesundheitsausschusses des Bundestags zum Pflegestudiumstärkungsgesetz, das BfArM werde mit dem neuen Absatz 2b „ermächtigt, eine Liste mit Kinderarzneimitteln zu veröffentlichen, die für die pädiatrische Arzneimittelversorgung essenziell sind und nach fachlicher Einschätzung des BfArM möglicherweise einer an­gespannten Versorgungssituation, insbesondere im Hinblick auf bevorstehende Infektionssaisons und die deshalb zu erwartende erhöhte Nachfrage, unterliegen.“ Ob diese Liste anders ausfallen wird und der ABDA mehr zusagt? Jedenfalls wird auch sie einem steten Wandel unterzogen sein.

Overwiening: Guter Ansatz ...

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erklärte nach dem Bundestagsbeschluss, dass es zwar zu begrüßen sei, „dass der Bundestag erkannt hat, dass die Liefersituation bei Kinderarzneimitteln unbedingt verbessert werden muss“. Daher habe die Apothekerschaft vor einigen Wochen im Bundesgesundheitsministerium an einer Lösung mitgearbeitet, die gute Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Versorgung versprochen habe: Apothekenteams sollten mehr Entscheidungskompetenzen erhalten, um bei Nicht-Lieferbarkeit eines Kinderarzneimittels schnell und flexibel helfen zu können – beispielsweise durch einen Austausch oder die Herstellung eines Fiebersaftes.

... aber „absolut unpraktikabel“

Doch ein guter Ansatz führt nicht immer zu einem guten Ergebnis: Die jetzt vom Bundestag beschlossene Regelung sei aus Sicht der Apotheken „absolut unpraktikabel“, sagt Overwiening. Da die neuen Entscheidungsbefugnisse an eine BfArM-Liste knüpfen, die es noch gar nicht gebe, werde es in den kommenden Erkältungs­wochen auch keine kurzfristigen positiven Effekte geben können. „Für die geplanten Erleichterungen werden dann stets neue Rezepte von den Arztpraxen ange­fordert werden müssen.“

Selbst wenn es die Liste gebe, werde es den Apothekenteams nicht leicht gemacht: Vor jedem Austausch und vor jeder Rezeptur müssten sie erst auf der Internetseite des BfArM recherchieren, ob sie die neuen Austauschfreiheiten überhaupt anwenden dürfen. „Diese komplizierte und bürokratische Vorgehensweise ist insbesondere in der sehr sensiblen Versorgung von Kindern nicht zu gebrauchen“, unterstreicht Overwiening. Viel sinnvoller wäre es gewesen, den Apotheken die neuen Entscheidungskompetenzen grundsätzlich für alle ärztlich verordneten und nicht-verfügbaren Kinderarzneimittel einzuräumen. „Es ist sehr schade, dass eine eigentlich zielführende Diskussion mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach und den anderen Berufsgruppen somit im Nachhinein zu einem Scheinvorhaben wird, das die Versorgung nicht verbessert“, so die ABDA-Präsidentin abschließend.

Wann die neue Regelung in Kraft tritt, ist noch unklar. Das Bundesratsplenum kann sich frühestens bei seiner nächsten Sitzung am 24. November mit dem Gesetzentwurf befassen. Erst wenn auch die Länder es haben passieren lassen, könnte das Gesetz verkündet und damit wirksam werden. |

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