COVID-19

Mit den Mutationen Schritt halten

Die schwierige Suche nach hochpotenten SARS-CoV-2-Antikörpern – Ein Interview

Im Beitrag „Schattendasein der SARS-CoV-2-Antikörper“ in dieser DAZ wird über den Einsatz der monoklonalen Antikörper im Laufe der Corona-Pandemie berichtet. In welche Richtung geht die Forschung bei neutralisierenden monoklonalen Antikörpern gegen SARS-CoV-2? Und wie findet man überhaupt potente Kandidaten? Die DAZ sprach mit dem Antikörper-Spezialisten Prof. Dr. med. Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Köln. | Verena Stahl
Foto: Michael Wodak, MedizinFotoKöln

Prof. Dr. med. Florian Klein

DAZ: Die fortlaufende Evolution von SARS-CoV-2 gleicht einem Albtraum einer jeden Forschungs- und Entwicklungsabteilung der pharmazeutischen Industrie. Abseits der Impfstoffdebatte: Welche Strategien werden denn bei neutralisierenden monoklonalen Antikörpern verfolgt, um mit den Mutationen Schritt zu halten?
Klein: Die genetischen Veränderungen bei SARS-CoV-2 sind in der Tat eine Herausforderung. Um bei zukünftigen Virusvarianten möglichst sicher die Aktivität beizubehalten, werden verschiedenen Strategien kombiniert. Zum einen werden Antikörper eingesetzt, die das breite Spektrum aktueller SARS-CoV-2-Varianten sehr gut neutralisieren können und das Virus an Zielstrukturen angreifen, bei denen weniger Mutationen erwartet werden. Zum anderen werden Kombinationen entwickelt, bei denen die einzelnen Antikörper mögliche Schwachstellen gegenseitig ausgleichen können. Um besser zu erkennen bei welchen Mutationen ein Antikörper seine Wirkung verliert, werden auch Zellkulturexperimente durchgeführt, bei denen die Antikörper mit SARS-CoV-2 zusammengebracht werden und so potenzielle Fluchtmutationen erkannt werden können.

DAZ: Der gegenwärtige mAb-Fokus richtet sich auf die rezeptorbindende Domäne. Welche Regionen von SARS-CoV-2 sind noch interessant für die Forschung, um Wirksamkeitsverluste zu vermeiden?
Klein: Weitere relevante Zielstrukturen liegen unter anderem auf der N-terminalen Domäne (NTD) oder der S2-Untereinheit des SARS-CoV-2-Spike-Proteins. Dazu zählt auch die Region des Fusionspeptids. Hiergegen wurden kürzlich breit neutralisierende Antikörper entdeckt. Die Regionen außerhalb der rezeptorbindenden Domäne (RBD) können stärker konserviert sein, aber hochpotente Antikörper wurden wesentlich seltener gefunden.

DAZ: Wie findet man eigentlich besonders potente, breit neutralisierende ­Antikörper?
Klein: Hauptsächlich werden Anti­körper aus COVID-19 genesenen oder geimpften Personen isoliert. Zudem hat man „humanisierte Mäuse“ herangezogen, die menschliche Antikörper-Gene tragen und nach Kontakt mit SARS-CoV-2 ebenfalls Antikörper bilden. Um nun besonders potente Antikörper zu isolieren, können Sie zum Beispiel genesene oder geimpfte Menschen auf das Vorliegen einer sehr hohen Neutralisationsaktivität im Serum screenen. Diese Personen bezeichnen wir als sogenannte „Elite-Neutralisierer“, welche besonders potente Antikörper gebildet haben. Bei der molekularen Analyse der Antikörperantwort dieser Personen kann es gelingen, besonders gute Antikörperkandidaten zu erkennen und als therapeutische Antikörper zu entwickeln.

DAZ: Die betrachteten Immunglobuline sollen nicht nur das Virus neutralisieren, sie interagieren auch mit anderen Immunzellen über Fc-vermittelte Effektorfunktionen. Inwieweit werden Modifikationen an der Fc-Domäne vorgenommen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen?
Klein: Viele der heute entwickelten Antikörper werden am Fc-Teil modifiziert. Dabei werden häufig Mutationen eingefügt, die die Halbwertszeit verlängern. Dadurch können diese Antikörper eine deutlich längere Schutzwirkung im Vergleich zu natürlichen Antikörpern entfalten. Zudem ist es möglich, Veränderungen einzuführen, die eine Interaktion mit verschiedenen Fc-Rezeptoren verstärken oder auch bewusst vermindern können. Hier geht es hauptsächlich darum, die zusätzlichen immunologischen Effekte besser zu nutzen oder die Verträglichkeit zu erhöhen.

DAZ: In Studien schaut man sich an, wie gut der zu untersuchende Antikörper oder eine Kombination aus Antikörpern eine Infektion von Zellkulturen durch Pseudoviren verhindern kann. Könnten diese In-vitro-Assays theoretisch für eine Zulassung ausreichen oder wie viel klinische Prüfung ist Ihrer Meinung nach erforderlich?
Klein: In einem Bereich, in dem sich ein Virus so schnell verändert, wie es bei SARS-CoV-2 der Fall ist, sind informative In-vitro-Analysen und Korre­late von großer Bedeutung. Diese müssen aktuell weiter entwickelt und eingesetzt werden. Natürlich steht aber die Sicherheit und Verträglichkeit eines Produktes weiterhin an oberster Stelle. Ich denke, dass wir in Zukunft durch die Kombination von aussagekräftigen In-vitro-Analysen und klugen Studien- und Zulassungsstrategien schneller auf Veränderungen im Virus reagieren können und dies, ohne die Sicherheit eines Produktes zu reduzieren.

DAZ: Von der Möglichkeit, neutralisierende monoklonale Antikörper zur Prophylaxe und Therapie von COVID-19 einzusetzen, wurde nur spärlich Gebrauch gemacht. Wie könnte es zukünftig besser laufen, falls wirksame Optionen verfügbar sind?
Klein: Sie haben recht, dass der Einsatz zu Beginn sehr zögerlich verlief. Das hatte verschiedene Gründe. Unter anderem, weil eine Antikörperinfusion nicht so einfach zu verabreichen ist wie eine Tablette und die Therapie daher am Anfang auf Zentren und Schwerpunktpraxen beschränkt war. Zudem hatten die ersten Antikörperpräparate in Deutschland noch keine formale Zulassung, wodurch die Gabe mit einem größeren Aufwand verbunden war und bei einigen Behandlern zu einer Unsicherheit geführt hat. Mit der Zeit haben sich diese Probleme etwas gebessert. Dennoch ist hier noch viel zu tun. Besonders wichtig ist dabei, dass zum einen ein gutes Wissen über den Einsatz und die Indikationen von Antikörpern besteht und zum anderen eine Infrastruktur aufgebaut wird, die eine Verwendung von Antikörpern auf breiter Basis ermöglicht.

DAZ: Wie gut steht es aus Ihrer Sicht im Falle weiterer Pandemien mit Coronaviren oder anderen Viren um unsere „pandemic preparedness“?
Klein: Ich denke, wir haben in allen Bereichen sehr viel dazu gelernt und Erkenntnisse gewonnen, die uns in der Zukunft helfen werden. Diese Erkenntnisse nun aber für einen besseren Schutz vor neuen Erregern umzusetzen, erfordert viel Energie, politischen Willen und leider auch finanzielle Mittel. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, um uns vor zukünftigen Infektionserregern optimal zu schützen.

DAZ: Herr Professor Klein, herzlichen Dank für Ihre Einschätzung! |

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