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Fixum rauf? Lindemann sieht Gesprächsbedarf
FDP-Apothekenberichterstatter im Interview mit der DAZ
DAZ: Vor mehr als zehn Jahren hörte man von Ihnen Aussagen wie: „Es muss nicht an jeder Straßenecke eine Apotheke geben“. 2019 strebten Sie als Geschäftsführer des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands eine Kooperation mit DocMorris an. Welche Bedeutung hat die Apotheke vor Ort für Sie heute?
Lindemann: Es geht darum, dass wir in Deutschland in der Lage sein müssen, bedarfsangemessen zu versorgen. Und zwar jeden, egal wo er wohnt. Ob das immer durch eine Apotheke in Sichtweite geschehen muss, das habe ich seinerzeit gewagt zu bezweifeln. Für eine bedarfsangemessene Versorgung braucht man leistungsfähige Apotheken, die in der Lage sind, alle Menschen in ihrem Einzugsgebiet zu erreichen – auch durch Botendienste. Dass wir da einen Unterschied zwischen Stadt und Land haben, darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Wir haben in Berlin zum Beispiel eine hohe Apothekendichte.
DAZ: Allerdings auch eine hohe Einwohnerdichte …
Lindemann: Ja, aber ich habe mehr dafür übrig, wenn Apotheken durch einen genügend großen Personalstamm sehr leistungsfähig sind, als dass wir überall Kleinstapotheken in prekären Zuständen haben. Auf dem Land hat das Überwinden von Entfernungen natürlich eine andere Bedeutung. Aber auch hier kann es in Zeiten, in denen die finanziellen Spielräume immer enger werden, nicht richtig sein, solche Strukturen per se zu schützen. Wir brauchen eine kostendeckende Preisbildung für die Arzneimittelabgabe und andere Dienste. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge blicken, dass es klüger und wirtschaftlicher sein kann, etwa in einer Kreisstadt eine sehr leistungsfähige Apotheke zu haben, die einen Umkreis von 15 oder 18 Kilometern vernünftig mit abdecken kann, als in jedem kleinen Ort eine Apotheke.
DAZ: Auch vor diesem Hintergrund: Wie stehen Sie zur Forderung der Apotheken nach einem höheren Fixhonorar?
Lindemann: Ich bin grundsätzlich dafür, dass wir diejenigen, die Leistungen im System erbringen, auskömmlich bezahlen. Das ist auch die Position meiner Partei. Und wenn etwas über lange Zeit nicht angepasst wurde, muss man schon einen Blick drauf werfen. Damit sage ich keine Zahl, aber das ist eine berechtigte Forderung, über die man sprechen muss. Ob man sie dann erfüllen kann, ist eine zweite Sache.
DAZ: Stichwort leistungsgerechte Bezahlung: Was halten Sie von den 50 Cent, die im Entwurf für das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) für das Lieferengpassmanagement vorgesehen sind? Wird sich da im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch etwas bewegen?
Lindemann: Ohne zu viel zu verraten: Im Kreise der Berichterstatter haben wir uns schon ausgetauscht, dass die 50 Cent keine angemessene Vergütung sind für das, was da geleistet wird. Ob die von der ABDA geforderten 21 Euro es sind, sei dahingestellt. Nach meinem Dafürhalten ist es besser, am Ende gar keine Vergütung vorzusehen, als dass man hingeht und jemandem eine Vergütung anzubieten, die mit dem Aufwand in der Realität nichts zu tun hat.
„Um es klar zu sagen: 50 Cent sind indiskutabel.“
DAZ: Steht eine Streichung der 50 Cent zur Debatte?
Lindemann: Zunächst werden wir diskutieren, ob man die Vergütung vernünftig erhöhen kann. Aber wenn das nicht gelingt, wäre ich dafür, sie ganz rauszunehmen und den Apotheken stattdessen mehr Flexibilität einzuräumen. Das ist ein Wert, der das vielleicht aufwiegt. Ich glaube, es ist wichtiger, dass Apotheker sich flexibel bewegen können, als dass sie 50 Cent bekommen und dazu aberwitzige Abrechnungsregeln, die alles noch schwieriger machen. Um es klar zu sagen: 50 Cent sind indiskutabel.
DAZ: Sie wollen also die derzeitigen erleichterten Abgaberegeln umfassend ins ALBVVG einbringen?
Lindemann: Darüber werden wir in der Koalition noch sprechen müssen. Ich bin ganz klar für eine vollumfängliche Verstetigung der derzeit bestehenden Regelungen.
DAZ: Ende Februar hat der ABDA-Gesamtvorstand einen zehn Punkte umfassenden Forderungskatalog beschlossen. Wie ist dieser in der Politik aufgenommen worden?
Lindemann: Es ist völlig in Ordnung, dass jeder sagt, wo er steht und was er sich vorstellt. Ich glaube auch, dass das eine deutliche, aber moderate Beschreibung ist. Die Politik wird sicher nicht auf jeden einzelnen Punkt so eingehen können, wie es sich die Apothekerschaft wünscht. Aber der Katalog ist auf jeden Fall erst einmal eine Grundlage für Gespräche.
DAZ: Wo sehen Sie Möglichkeiten, der Apothekerschaft entgegenzukommen?
Lindemann: Ich kann dem Gesetzgebungsverfahren nicht vorweggreifen. Aber zum Beispiel die Forderung, Retaxationen zurückzufahren, stößt auf große Gegenliebe bei uns. Obwohl es eine Vereinbarung zwischen Kassen und Deutschem Apothekerverband gibt, retaxieren die Kassen immer wieder Kleinigkeiten. Das ist ein typisches Verhalten der Kassen, das ich grundsätzlich nicht gut finde. Deshalb bin ich persönlich für einen weitgehenden Ausschluss von Retaxationen. Und mit dieser Auffassung werde ich auch in die Verhandlungen gehen. Ich weiß, dass das mein Kollege Dirk Heidenblut von der SPD ähnlich sieht. Daher können wir hier ein deutliches Signal an die Apothekerschaft senden, dass ihre Forderung in diesem Punkt sehr berechtigt ist.
DAZ: Beunruhigen Sie die rapide sinkenden Apothekenzahlen?
Lindemann: Hinter diesen Sterbezahlen stehen vielerlei Gründe, zum Beispiel Zusammenlegungen. Da bin ich zurückhaltend, das als Signal für einen akuten Handlungsbedarf zu sehen. Meine Kernüberlegung ist, dass wir Entbürokratisieren müssen. Zudem müssen wir stärker digitalisieren – das ganze Thema E-Rezept muss man voranbringen.
DAZ: Wie kann man das Ihrer Meinung nach beschleunigen?
Lindemann: Ich wäre dafür gewesen, dass man das auch per SMS oder E-Mail übertragen kann. Wir schrauben unsere Datenschutzvorstellungen da zu hoch. Wir denken zu viel an mögliche Fehler und verhindern damit am Ende eine effektive und bedarfsangemessene Versorgung. Wir haben noch nicht die richtige Gewichtung zwischen einer verbesserten Versorgung und dem – durchaus berechtigten – Datenschutz gefunden. Man muss die Dinge ausprobieren – das muss auch nicht immer alles einheitlich und flächendeckend sein. Von vorneherein die eierlegende Wollmilchsau erfinden zu wollen, die am Ende nie kommt, ist aus meiner Sicht nicht richtig. Digitalisierung muss auch mit dem Ziel vorangetrieben werden, die Kernkompetenzen von Apothekern zu stärken und in den Versorgungsprozess zu bringen – nämlich die Beurteilung von Arzneimittelwechselwirkungen. Da sehe ich auch die wesentliche Zukunftsaufgabe der Apotheken. Wechselwirkungen sind einer der großen Kostentreiber im System. Um hier effektiv zu arbeiten, braucht es auch die Informationen der elektronischen Patientenakte und digitale Kommunikationswege zwischen Apotheker, Arzt und Patient.
DAZ: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Zukunft der EU-Versandapotheken?
Lindemann: Ich glaube, dass die Versender ein Akteur sind, der seine Berechtigung hat, aber nicht, dass sie die Dimensionen erreichen werden, die oft befürchtet werden. Ich hole meine Medikamente jedenfalls noch immer in der Apotheke vor Ort – ich will mit Menschen reden. Und ich glaube, so ist es für die meisten, dieser Versorgungsweg wird immer die dominierende Rolle spielen. Damit erübrigen sich einige hysterische Debatten über Versender aus den Niederlanden.
DAZ: Angeblich plant die Ampelkoalition ein zweites Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. Was gehört da aus Ihrer Sicht rein?
Lindemann: Das müssen wir noch sehen. Erst mal beschäftigen wir uns mit dem Engpassgesetz. Da stecken auch schon Regelungen drin, die was damit zu tun haben. Wie genau wir uns die Funktionalitäten der Vor-Ort-Apotheke vorstellen, ist in dieser Koalition noch nicht ausreichend besprochen. Für mich persönlich ist es wie gesagt wichtig, dass wir eine leistungsfähige Apothekenstruktur haben. Und Inhaber müssen einen Anreiz haben, das nicht nur heute zu tun, sondern auch noch in zehn Jahren. Neue Aufgaben ohne Vergütung – das geht nicht. Leistungen, die wir haben wollen, müssen auch angemessen vergütet werden. |
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