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Noch tragbar?

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Lange Zeit hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach behauptet, die Impfung gegen COVID-19 sei nebenwirkungsfrei. Eine Aussage, die er heute so nicht mehr trifft, die aber schon damals so gar nicht zu dem passte, was im Medizin- und Pharmaziestudium gelehrt wird: „Keine Wirkung ohne Nebenwirkung!“

Kurz nach dem Start der Massenimpfungen mit den Vektor- und mRNA-Impfstoffen kristallisierte sich heraus, dass durchaus mit Impfkomplikationen gerechnet werden muss, also mit Nebenwirkungen, die über eine normale Impfreaktion hinausgehen. Auch bei Impfstoffen können seltene Nebenwirkungen erst erkannt werden, wenn eine große Zahl von Menschen den Impfstoff erhalten haben. Jetzt, nach knapp 200 Millionen COVID-Impfungen in Deutschland, überrascht es nicht, dass es eine stattliche Zahl von Verdachtsmeldungen auch zu schwerwiegenden Impfkomplikationen gibt. Vor allem das Post-Vac-Syndrom, das in seiner Vielfalt von unspezifischen Symptomen große Ähnlichkeiten mit Long-COVID aufweist, rückt als Impfschaden immer mehr in den Fokus. Es ist schwer zu diagnostizieren und von Long-COVID kaum abzugrenzen. Es tritt zwar deutlich seltener auf als Long-COVID, doch belastbare Zahlen fehlen (s. S. 38).

Glaubt man den Äußerungen von Karl Lauterbach, mit denen er in der ARD-Sendung Fakt vom 21. März 2023 zitiert wurde, dann sind „schwere Impfschäden“ nach Corona-Impfung extrem selten, sie sollen bei weniger als einem Fall pro 10.000 Impfungen liegen. Was er damit meint – Impfschäden oder schwere Impfkomplikationen – und woher diese Zahlen stammen, das konnte auch in der Sendung Fakt nicht geklärt werden.

In 13 von 16 Bundesländern sind nach Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis Mitte März bei den Versorgungsämtern 6600 Anträge auf Versorgungsleistung nach einem möglichen COVID-19-Impfschaden eingegangen. Davon sollen 284 Fälle als gesundheitliche Schädigung durch die Impfung anerkannt worden sein, was einem Schadensfall pro 214.000 Impfungen entspreche (FAZ 13. März 2023). Ob sich Lauterbach auf solche Daten bezieht? Das wäre höchst unseriös, denn viele Verfahren laufen noch. Zudem wird noch immer nach belastbaren Kriterien für die Diagnose „Post-Vac-Syndrom“ gesucht, Tausende Verdachtsfälle warten auf Überprüfung.

Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) liegt die Melderate für Verdachtsfälle von Impfkomplikationen bei 1,78 pro 1000 Impfdosen, für schwerwiegende Impfkomplikationen bei 0,27 pro 1000 Impfdosen, das sind 2,7 pro 10.000 Impfungen. Dabei geht selbst das PEI von einer hohen Dunkelziffer aus (s. S. 41).

Sollte Lauterbach diese Zahlen nicht kennen? Das wäre für einen Gesundheitsminister schon mehr als blamabel. In jedem Fall muss er sich wieder einmal den Vorwurf gefallen lassen, zu verharmlosen. Ein Desaster für die Betroffenen, die auf Anerkennung ihres Impfschadens warten und dringend finanzielle wie medizinische Hilfe benötigen. Wie im Umgang mit Apotheken wird Lauterbach auch hier seiner politischen Verantwortung nicht gerecht und befeuert einmal mehr die Frage, ob er als Gesundheitsminister noch tragbar ist.

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