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„Wir alle müssen unsere Rollen neu denken“
AOK Plus-Chef Rainer Striebel im Interview mit der DAZ
DAZ: Herr Striebel, Sie haben das Modellprojekt ARMIN von der ersten Stunde an begleitet. Was war die Motivation der AOK Plus, sich daran zu beteiligen?
Striebel: Die Projektidee hat uns überzeugt. Wir hatten mit den beteiligten Ärzte- und Apothekerorganisationen schon über viele Jahre hinweg ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut und haben die Chance gesehen, die Betreuung unserer Kunden mit Polymedikation zu verbessern. Alle Initiatoren waren sich einig, dass man ein solches Projekt aus Patientensicht denken muss, damit das Medikationsmanagement am Ende wirklich den Menschen nutzt. Dieses gemeinsame Ziel hat uns geeint und war stets unser Antrieb. Bisher haben die Akteure im Gesundheitswesen zwar einen guten Job gemacht, aber nicht regelhaft Hand in Hand gearbeitet. Da haben alle Beteiligten hier in Sachsen und Thüringen sowie die ABDA und die KBV Verbesserungspotenzial gesehen, das man heben muss.
DAZ: Mit welchen konkreten Hoffnungen und Zielen sind Sie angetreten?
Striebel: Die AOK Plus hatte zu diesem Zeitpunkt mehr als 300.000 Kunden, die täglich fünf oder mehr Arzneimittel anwenden mussten. Unsere These war, dass es zu ihrem Wohl sein würde, wenn medizinischer und pharmazeutischer Sachverstand bei der Betreuung zusammenspielen. Ein Ziel war, die Betreuung der Patienten zu verbessern. Mit Blick auf die Evaluationsergebnisse ist dies auch gelungen. Die Sterblichkeit wurde reduziert. Außerdem waren wir davon ausgegangen, dass sich durch die strukturierte Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker die Zahl der Krankenhauseinweisungen reduzieren lässt und wir sowohl die Therapietreue der Patienten verbessern als auch den Umfang der Medikation verringern können. Und mit den Wirkstoffverordnungen hatten wir darüber hinaus die Hoffnung verbunden, auch einen wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen.
DAZ: Nicht alle dieser Erwartungen haben sich erfüllt – auf die Zahl der Krankenhauseinweisungen hat sich das Medikationsmanagement wider Erwarten nicht ausgewirkt. Wie lautet vor diesem Hintergrund ihr Fazit aus wirtschaftlicher Sicht?
Striebel: Zunächst möchte ich mich gegen den Eindruck wehren, die Krankenkassen hätten immer nur das Sparen im Sinn. Wir als AOK Plus sehen uns nicht als Kostenreduzierer, sondern als Vertragspartner. Dazu gehört, dass man auch Vertrauen in die anderen Akteure hat und einem Projekt wie ARMIN die Chance gibt, über einen gewissen Zeitraum zu wachsen und sich zu entwickeln. Auf diesem Weg haben wir gemeinsam tolle Resultate erzielt: Die Sterblichkeit konnten wir zum Beispiel um 16% senken und die Therapietreue deutlich verbessern. Das ist im Sinne unserer Kunden sehr wertvoll und muss in ökonomischen Betrachtungen unbedingt eine Rolle spielen. Gleichzeitig ist es unser Auftrag, sorgsam mit den Beitragsgeldern – dem was Versicherte und Arbeitgeber für die Krankenversicherung einzahlen – umzugehen. Die AOK Plus hat in ARMIN einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag investiert, davon aber auch einen erheblichen Teil zurückbekommen. Wir wollten Wirtschaftlichkeitspotenziale heben, aber nicht durch Druck und Androhung von Sanktionen, sondern mithilfe eines Anreizsystems. Das ist uns gelungen.
DAZ: Lassen sich die Einsparungen beziffern?
Striebel: Genaue Zahlen kann ich nicht nennen, denn die Auswirkungen sind vielschichtig. Es ließ sich zum Beispiel beobachten, dass durch die klaren Regeln bei der Wirkstoffverordnung weniger Rückfragen von Apothekerinnen und Apothekern in den Praxen nötig wurden und auf beiden Seiten Arbeitszeit effektiver genutzt werden konnte. Zudem stieg die Erfüllungsquote bei den Rabattverträgen. Und gleichzeitig mussten sich unsere Kunden seltener an ein neues Präparat gewöhnen. Es wäre natürlich zusätzlich gut gewesen, wenn die Zahl der Krankenhauseinweisungen gesunken wäre. Aber auch so sind wir sehr zufrieden mit den Ergebnissen.
DAZ: Teilen Sie ihre Erkenntnisse auch im AOK-Verbund? Und wenn ja, welche Reaktionen erleben Sie?
Striebel: Natürlich. Der AOK-Verbund zeichnet sich durch eine hohe Transparenz aus. Wir müssen nicht ständig das Rad neu erfinden, sondern können von den Erfahrungen der anderen AOKen profitieren. Das Interesse an ARMIN war und ist groß, ebenso der Respekt vor der Leistung, die wir erbracht haben. Im Laufe des Projekts gab es auch Kritik, insbesondere an der Höhe der Honorare, die wir Ärzten und Apothekern gezahlt haben. Wir waren aber stets davon überzeugt, dass man die Leistungen adäquat vergüten muss, um echte Erfolge zu erzielen.
DAZ: Erklärtes Ziel der ARMIN-Initiatoren ist es, das Medikationsmanagement auch bundesweit möglich zu machen. Was gilt es dabei zu beachten?
Striebel: Ich würde bei der Einführung in kleineren Schritten vorgehen, als wir es in ARMIN getan haben. Wir haben uns gleich an eine richtig große Nummer rangetraut, dadurch hat es gedauert, bis wir Erfolge vorweisen konnten. Um die Motivation aufrechtzuerhalten, sollte man bei einer bundesweiten Einführung dafür sorgen, dass der Nutzen für die Beteiligten schnell spürbar wird. Wichtig ist auch, die Patientenperspektive immer im Blick zu haben, damit man nicht Lösungen entwickelt, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen. Zudem sollte der Gesetzgeber Spielraum für die Ausgestaltung vor Ort lassen. Es braucht vernünftige Rahmenbedingungen und eine ordentliche Finanzierung, aber der Bund sollte auch auf die Kraft der Akteure in den Regionen vertrauen. Nur im intensiven Austausch miteinander kann man vor Ort Lösungen finden, die unter den jeweils herrschenden Bedingungen wirklich funktionieren.
DAZ: Einzelne Elemente, die in ARMIN eine wesentliche Rolle gespielt haben, finden sich bereits in der Regelversorgung wieder, etwa die Medikationsanalyse, die im Wesentlichen der Startintervention in ARMIN entspricht. Sind wir damit auf einem guten Weg?
Striebel: Der Ansatz der pharmazeutischen Dienstleistungen, auf die Sie anspielen, ist gut und richtig. Was aber fehlt, ist die Verzahnung mit anderen Versorgern. Die Erkenntnisse, die der Apotheker bei der Medikationsanalyse gewinnt, müssen anderen Sektoren lückenlos bereitgestellt werden, sonst ergibt sich daraus kein Gewinn für die behandelnden Ärzte und letztlich die Patienten. Ziel ist es ja, solche Erhebungen nicht doppelt und dreifach zu machen, sondern dem Arzt die Information so zugänglich zu machen, dass er unmittelbar damit arbeiten und seine Zeit effektiv einsetzen kann. Dafür braucht es auch geeignete digitale Übertragungswege.
DAZ: Warum brauchen wir das Medikationsmanagement in Deutschland?
Striebel: Weil sich die Versorgungsrealität insbesondere in eher ländlich geprägten Gebieten hierzulande immer stärker wandelt. Der Fachkräftemangel macht uns schwer zu schaffen und wir müssen schauen, wie wir Abläufe effektiv gestalten können. Dafür brauchen wir auch die Präsenzapotheken, die ihre Patienten kennen und eng begleiten. Das Vertrauen, das die Menschen in ihre Heilberufler vor Ort haben, lässt sich nicht allein durch digitale Angebote ersetzen. Das Medikationsmanagement trägt wesentlich dazu bei, die medikamentöse Versorgung der Versicherten zu verbessern, ebenso die Kooperation zwischen Arzt und Apotheker. Wir alle müssen unsere Rollen neu denken und uns vernetzen. Auch Heime und Krankenhäuser gilt es dabei mit ins Boot zu holen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden wir nur im Zusammenspiel in den Griff bekommen. Wir brauchen solche gemeinsamen Konzepte, um auch in Zukunft noch die Gesundheitsversorgung in der Fläche sicherzustellen. Dafür werben wir auch explizit in Gesprächen mit der Politik und den Bundesministerien.
DAZ: Herr Striebel, vielen Dank für das Gespräch! |
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