Aus der Hochschule

Von der Arzneipflanze zum pflanzlichen Arzneimittel

Frankfurter Pharmazie-Studierende besuchen Dr. Willmar Schwabe

Im Rahmen des Praktikums Pharmazeutische Biologie III besuchten am 2. August 2023 Pharmaziestudierende des 7. Semesters der Goethe-Universität Frankfurt Deutschlands größten Hersteller pflanzlicher Arzneimittel in Karlsruhe. Auf Einladung der Firma Dr. Willmar Schwabe konnten knapp 40 Studierende einen Eindruck gewinnen, wie Forschung und Entwicklung bei Phytopharmaka ablaufen und wie aus dem Rohstoff „Arzneipflanze“ hochwertige Arzneimittel werden.

Arzneipflanzen begleiten die Studierenden ihr ganzes Studium. Von der Morphologie und Anatomie über Systematik bis hin zu Inhaltsstoffen, Analytik und natürlich Pharmakologie und Anwendung. Immer wieder wird von verschiedenen Seiten behauptet, dass diese Inhalte nicht mehr in ein modernes Pharmaziestudium passen oder zumindest reduziert werden sollten. Der therapeutische Alltag sieht allerdings ganz anders aus: Jede siebte der rezeptfrei in einer Apotheke abgegebenen Arzneimittelpackungen ist ein Phytopharmakon! Ein profundes Wissen über pflanzliche Arzneimittel ist für die Beratung in der Apotheke unverzichtbar.

Einer größeren Gruppe von Studierenden die Entwicklung und Produktion von Phytopharmaka zu zeigen, ist eine logistische Herausforderung, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma Schwabe – nach einer Corona-bedingten Pause, in der keine Besuche stattfinden konnten – wieder routiniert und mit sehr großem Engagement umsetzten. Das Programm bot eine Abwechslung zwischen theoretischen Inhalten, die natürlich perfekt in das Praktikum Pharmazeutische Biologie III passen, und Führungen durch pharmazeutisch relevanten Bereiche. Dabei konnte auch das im ge­rade absolvierten Praktikum Pharmazeutische Technologie erworbene Wissen in der praktischen Umsetzung rekapituliert werden. Welchen Stellenwert die Veranstaltung innerhalb der Firma hat, sah man daran, dass die Vorträge und Führungen von den jeweiligen Abteilungsleitern gehalten wurden, die mit großer Begeisterung und natürlich enormen Know-how ihr Arbeitsgebiet vorstellten.

Foto: Goethe-Universität Frankfurt

Die Studierenden konnten sich bei der Firma Schwabe über die Forschung und Entwicklung von Phytopharmaka informieren.

Alle Schritte unter eigener (Qualitäts-)Kontrolle

2016 feierte das Unternehmen sein 150-jähriges Bestehen. Geführt wird es, wie Apothekerin Dr. Nora Beutelmann (Director Medical Affairs) er­läuterte, bereits in fünfter Generation durch die Familie Schwabe. Der Erfolg der Firma – immerhin verzeichnet sie eine kontinuierliche Wachstumsrate von 5% – ist laut Beutelmann zum einen auf die Strategie zurückzuführen, alle Schritte der Wertschöpfungskette, vom Anbau der Arzneipflanzen bis zum Vertrieb des Arzneimittels, in eigener Hand und damit unter eigener (Qualitäts-)Kontrolle zu haben. Im Falle von Ginkgo betreibt Schwabe eigene Plantagen – so in den USA (North Carolina) und in Frankreich (Bordeaux) – auf einer Gesamtfläche von rund 1000 ha, um den Rohstoff für den Extrakt EGb 761® anzubauen. Zum anderen wird darauf Wert gelegt, die Wirksamkeit und Sicherheit der Präparate in eigenen klinischen Studien zu be­legen, also einen evidenzbasierten Ansatz zu verfolgen.

Hohe Standards bei der Qualitätssicherung

Die komplexen europäischen Regeln des Marktzugangs pflanzlicher Arzneimittel erläuterte Apotheker Dr. ­Stefan Germer (Director Analytical ­Development). Es macht einen großen Unterschied, ob man ein Phytopharmakon über eine Vollzulassung, eine Well-established-use(WEU)-Zulassung oder über eine Registrierung als Traditional-use(TU)-Arzneimittel auf den Markt bringt: Während die Kosten für eine Vollzulassung mit deutlich über einer Milliarde Euro angegeben werden, belaufen sie sich bei einer WEU-Zulassung bei ca. 5 bis 20 Millionen, während eine TU-Registrierung bereits für etwa 500.000 Euro „zu haben“ ist. Ein weiteres Thema seines Vortrags war die Qualitätssicherung von Phytopharmaka – von der Droge über den Extrakt bis hin zur Galenik. Er verdeutlichte den Studierenden, dass eine gleichbleibende Wirksamkeit und Sicherheit nur durch eine verlässliche Qualität des Vielstoffgemisches erreicht werden kann. Erhebliche Unterschiede gibt es hier zum großen und kaum regulierten Feld der Nahrungsergänzungsmittel, die zum Bereich der Lebensmittel gehören. Nahrungsergänzungsmittel werden nicht beim BfArM zugelassen oder registriert, sondern müssen nur beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angemeldet werden. Früher gab es ca. 5000 Anmeldungen pro Jahr, inzwischen sind es bereits ca. 20.000! Für den Verbraucher/Patienten sind die Unterschiede zwischen Nahrungsergänzungsmitteln, TU- oder WEU-Phytopharmaka nur sehr schwer zu erkennen, weshalb Germer die besondere Verantwortung der Apothekerinnen und Apotheker in der Beratung zu pflanzlichen Arzneimitteln betonte. Auch auf die mittlerweile sehr umfangreiche Problematik der Verfälschungen von Phytopharmaka wurde eingegangen: Bei einer Analyse verschiedener Ginkgo-Präparate wurde festgestellt, dass ca. 75% verfälscht waren! Dabei werden häufig Extrakte des flavonoid­reichen Japanischen Schnurbaums eingesetzt, was nur durch Massenspektrometrie detektierbar ist.

Dr. Martin Lehner (Director Preclinical R&D) stellte die Aufgaben und Funktionen der Abteilung Präklinische Forschung vor. Mit den Gebieten Phytochemie und Pharmakologie gehört sie genauso wie die Pharmazeutische und Analytische Entwicklung zur Abteilung Research and Development, in der ca. 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind. Klassische Aufgaben der Phytochemie sind (natürlich) die chemische Charakterisierung der Extrakte, Isolierung und Strukturaufklärung bioaktiver Komponenten und, nach deren Verabreichung, die Untersuchung biologischer Matrizes (Blut, Urin, etc.) auf diese Komponenten und deren Metabolite. Ob und wie die Vielstoffgemische und die aktiven Inhaltsstoffe wirken, versuchen die Mitarbeiter aus der Pharmakologie zu beantworten. Drei große Indikationsgebiete werden bei Schwabe adressiert: mentale Gesundheit, Erkältungskrankheiten sowie gastrointestinale Beschwerden. Neben der Entwicklung neuer Produkte ge­hören das Drug Repurposing und die Optimierung bestehender Produkte und Herstellungsprozesse zu den Aufgaben der Abteilung. Als prominentes Beispiel für eine mögliche neue Indikation für Umckaloabo® nannte Lehner COVID-19. In einer wissenschaftlichen Kooperation konnte gezeigt werden, dass eine Fraktion des Pelargonium-­sidoides-Wurzelextrakts die Vermehrung von SARS-CoV-2 in Lungenzell-Kulturen hemmt.

Besondere Highlights waren natürlich die Führungen: Äußerst beeindruckend war es zu verfolgen, wie bei der Extraktion aus den bis zu 5 Tonnen getrockneter Ginkgo-Blätter, die täglich verarbeitet werden, etwa 100 Kilogramm EGb 761® werden. Die Herstellung des Spezialextraktes erfordert gigantische Anlagen, die über ein komplexes Rohrleitungssystem miteinander verbunden sind. Besonders war die Erfahrung, dass die an der Universität gelehrten Methoden und benutzten Geräte tatsächlich auch im industriellen Alltag verwendet werden: Nach wie vor ist z. B. die Dünnschichtchromatografie ein essenzieller Bestandteil der Analytik. Natürlich werden aber auch andere Methoden, wie die 600-MHz-NMR- und die Massenspektrometrie, eingesetzt. Weiteres Highlight war die Abteilung Galenische Entwicklung: Hier beschäftigt man sich z. B. intensiv mit Ersatzmöglichkeiten für Titandioxid.

Am Ende des informationsreichen Tages wurden von Dr. Uta Wanner (Director Corporate Communications), Dr. Stefan Germer, Dr. Nora Beutelmann, Dr. Joachim Herrmann (Director Pharmaceutical Formulation), Julia Lutz (Pharmaziepraktikantin) in der Abschlussdiskussion vielfältige Karrieremöglichkeiten für Apothekerinnen und Apotheker bei Schwabe und generell in der (Phyto-)Pharmazeutischen Industrie vorgestellt. Sie beantworteten nicht nur die Fragen der Studierenden zu den Themen Recruiting, Praktisches Jahr und Promotion, sondern schwärmten auch von den Vorzügen eines mittelständischen Familienunternehmens. Außerdem bestärkten sie die Studierenden nachdrücklich in ihrer Wahl des Studiengangs: Durch die breite naturwissenschaftliche Ausbildung, die im Pharmaziestudium geboten wird, sind sie bestens für die unterschiedlichen Aufgaben (nicht nur) in der Industrie gerüstet.

Semestersprecher Aaron Kurbacher bedankte sich im Namen aller Kommilitoninnen und Kommilitonen ganz herzlich für die Einladung zur Betriebsbesichtigung und für den perfekt organisierten Tag, der einen Einblick in die komplexe Entwicklung und Produktion eines Phytopharmakons und die Tätigkeitsbereiche von Pharmazeuten ermöglichte. |

Dr. Ilse Zündorf, Prof. Dr. Robert Fürst

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