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- DAZ 34/2023
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Arzneimittel und Therapie
Penicillin-Allergie „wegtesten“
Fehldiagnosen durch vereinfachtes Testverfahren aufdecken
Unter den Arzneimittelallergien wird die Penicillin-Allergie von Patienten am häufigsten genannt [1]. Je nach Land und Region geben bis zu 28% der Bevölkerung an, eine solche Allergie zu haben. Tatsächlich allergisch sind hingegen nur 1 bis 3% der Bevölkerung [2]. Unbedeutend für die individuelle und öffentliche Gesundheit ist diese hohe Zahl an falschen (Eigen-)Diagnosen nicht: Diese Patienten erhalten häufiger Second-Line- oder Breitspektrumantibiotika, was mit gesteigerten Kosten, einem höheren Risiko für Nebenwirkungen und der vermehrten Bildung von Arzneimittelresistenzen einhergeht [3].
Ob in einem spezifischen Fall tatsächlich eine Allergie vorliegt oder ob in der Vergangenheit eine unerwünschte Arzneimittelwirkung oder aber ein Symptom der therapierten Erkrankung fehlgedeutet wurde, lässt sich diagnostisch überprüfen. Zur Verfügung stehen hierbei Hauttests (Epikutantest, Pricktest), Labortests (Lymphozytentransformationstest, ELISA) und der orale Provokationstest. Da letzterer mit dem größten Risiko verbunden ist, steht er laut der S2k-Leitlinie Diagnostik bei Verdacht auf eine Betalactamantibiotika(BLA)-Überempfindlichkeit „am Ende der allergologischen Diagnostik nach erfolgter Anamnese sowie entsprechend der Indikation einer In-vitro-Diagnostik sowie Hauttestung“ [3]. Der Weg bis hin zum finalen Ausschluss der vermeintlichen Allergie kann also lang sein. Ein weiteres Hemmnis für die Durchführung dieser Tests ist, dass es vorkommen kann, dass Ärzte auf den Kosten für die Tests anteilig sitzen bleiben, wie das Deutsche Ärzteblatt 2022 berichtete [4]. Dort ist zu lesen: „Die allergologische Abklärung mit Ausschluss der Verdachtsdiagnose BLA-Allergie durch Hauttestungen, Labordiagnostik und Provokationstests ist aufwendig und wird im deutschen Gesundheitssystem nicht kostendeckend vergütet.“
Alleiniger oraler Provokationstest bei Niedrigrisikopatienten?
Ein weniger aufwendiges Testverfahren könnte also helfen, mehr Fehldiagnosen aufzudecken. Einen Vorschlag für eine solche Vereinfachung hat ein internationales Forschungsteam im Juli dieses Jahres im Journal JAMA Internal Medicine veröffentlicht [5]. In ihrer Nichtuntergelegenheitsstudie untersuchten die Forschenden 377 Penicillin-Allergiker in den USA, Kanada und Australien. Ein Einschlusskriterium stellte eine Gesamtpunktzahl von weniger als drei Punkten im Pen-Fast-Fragenkatalog [6] (s. Kasten „Was ist der Pen-Fast-Fragenkatalog?“) und somit ein niedriges oder sehr niedriges Risiko für einen positiven Penicillin-Allergietest dar.
Was ist der Pen-Fast-Fragenkatalog?
Der Pen-Fast-Fragenkatalog hilft, das Allergierisiko bei Patienten einzuschätzen, die über eine Penicillin-Allergie berichten. Insgesamt können dabei bis zu 5 Punkte vergeben werden, wobei bei einer Gesamtpunktzahl unter 3 Punkten von einem niedrigen Risiko für eine Penicillin-Allergie ausgegangen wird. Folgende Details werden dabei abgeklärt:
F: die allergische Reaktion auf Penicillin ist nicht länger als fünf Jahre her (2 Punkte)
A: Anaphylaxie oder Angioödem oder
S: eine schwere allergische Hautreaktion, z. B. Stevens-Johnson-Syndrom, trat auf (2 Punkte)
T: die allergische Reaktion musste therapiert werden (1 Punkt)
Bei der Kontrollgruppe (n = 190) wurde zur Abklärung der Allergie ein dreistufiges Testschema, bestehend aus Prick-, Intradermal- und oralem Provokationstest, durchgeführt. Bei der Interventionsgruppe (n = 187) wurde ausschließlich ein oraler Provokationstest durchgeführt. In beiden Gruppen war der orale Provokationstest bei je einer Person (je 0,5%) positiv.
Auch hinsichtlich der unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren die Ergebnisse beider Gruppen ähnlich. Diese traten im fünftägigen Nachbeobachtungszeitraum bei 20 Probanden der Interventionsgruppe und 21 Teilnehmern der Kontrollgruppe auf. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden nicht beobachtet.
Der direkte orale Provokationstest zeigte sich in dieser Untersuchung bei Niedrigrisikopatienten dem mehrstufigen Diagnoseverfahren nicht unterlegen und scheint sowohl sicher als auch effektiv zu sein. |
Literatur
[1] Zhou L, Dhopeshwarkar N, Blumenthal KG, Goss F, Topaz M, Slight SP, Bates DW. Drug allergies documented in electronic health records of a large healthcare system. Allergy. 2016 Sep;71(9):1305-13, doi: 10.1111/all.12881
[2] Morales I. Praktisches Vorgehen bei Penicillinallergien. Swiss Med Forum. 2023;23(24):1122-1126, doi.org/10.4414/smf.2023.09437
[3] Wurpts G et al. S2k Guideline: Diagnostics for suspected hypersensitivity to beta-lactam antibiotics. Guideline of the German Society for Allergology and Clinical Immunology (DGAKI) in collaboration with the Medical Association of German Allergologists (AeDA), German Society for Pediatric Allergology and Environmental Medicine (GPA), the Austrian Society for Allergology and Immunology (ÖGAI), and the Paul-Ehrlich Society for Chemotherapy (PEG). Allergo J Int 2019;28:121–51. doi.org/10.1007/s40629 019 01008
[4] Klimek L et al. Vermutete Penicillinallergie: De-Labeling als wichtige Aufgabe für das Antibiotika-Stewardship. Dtsch Arztebl 2022; 119(19): A-868 / B-717
[5] Copaescu AM et al. Efficacy of a Clinical Decision Rule to Enable Direct Oral Challenge in Patients With Low-Risk Penicillin Allergy: The PALACE Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. Published online July 17, 2023. doi:10.1001/jamainternmed.2023.2986
[6] Trubiano JA et al. Development and Validation of a Penicillin Allergy Clinical Decision Rule. JAMA Intern Med. 2020;180(5):745–752. doi:10.1001/jamainternmed.2020.0403
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