Kongresse

Kinder im Fokus

Was in der Apothekenpraxis bei pädiatrischen Patienten zu beachten ist

jr/dab | Gerade Säuglinge und Kleinkinder können sich nicht artikulieren, wenn es ihnen nicht gut geht. Bemerken die Eltern Symptome beim Kind, suchen sie oft zunächst die Apotheke als niederschwelliges Gesundheitsangebot auf. Dann ist es besonders wichtig, dass hier die richtigen Fragen gestellt werden, um den Gesundheitszustand des Kindes adäquat ein­zuschätzen.

Wenn Kinderhaut leidet

Hauterkrankungen können sich bei Kindern anders manifestieren als bei Erwachsenen, und manche dermatologischen Krankheitsbilder treten im Erwachsenenalter überhaupt nicht mehr auf. Darauf wies Prof. Dr. Peter Höger vom Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Hamburg hin, bevor er in seinem Vortrag auf kutane Infektionen und Ekzeme bei Kindern einging. Weltweit ist Impetigo contagiosa die am häufigsten vorkommende Krankheit, an der etwa 130 Millionen Kinder leiden. Diese Erkrankung der Epidermis, die durch Staphylococcus aureus oder auch S. pyogenes ausgelöst wird, ist gekennzeichnet durch honiggelbe Krusten und großflächige Läsionen. Während die Erkrankung für ältere Kinder und Erwachsene meist harmlos ist, können vor allem bei Säuglingen Komplikationen durch Toxine bis hin zur Septikämie auftreten. Daher ist bei Neugeborenen und jungen Säuglingen mit Impetigo eine systemische, intravenöse Therapie mit Ampicillin oder Sulbactam, alternativ Cefuroxim oder Clindamycin, angezeigt. Weitere Indika­tionen für eine systemische Therapie sind eine disseminierte bzw. multilokuläre Erkrankung sowie systemische Infektionszeichen. Ansonsten kann eine topische Therapie mit Antiseptika, z. B. Chlorhexidin und -Derivaten oder wässriger Eosin-Lösung 1,0%, erfolgen. In diesem Zusammenhang wies Höger auf zunehmende Resistenzen der topischen Antibiotika Fusidinsäure und Mupirocin hin, die zu breit verordnet würden, und unterstrich damit den Einsatz von Antiseptika bei Impetigo contagiosa.

Foto: DAZ/jr

Prof. Dr. Peter Höger

Eine zweite kutane Infektion, auf die der Facharzt für Pädiatrie und Dermatologie einging, war Tinea capitis, die besonders häufig in den ersten zwölf Lebensmonaten auftritt. Diese durch Vertreter der Gattungen Trichophyton oder Microsporum ausgelöste Erkrankung der Haarfollikel zeigt sich durch weißliche Schuppungen der Kopfhaut. Als Überträger der Dermatophyten kommen Haustiere wie Meerschweinchen oder Katzen infrage, deren Haut man eine Infektion meist nicht ansieht. Das einzige für Kinder gegen Tinea capitis zugelassene Antimykotikum Griseofulvin ist seit 2018 nicht mehr verfügbar. Daher muss auf Präparate mit Itraconazol (Mittel der Wahl gegen Microsporum) oder Terbinafin (Mittel der Wahl gegen Trichophyton) ausgewichen werden. Es wird eine Kultur angelegt und eine systemische Therapie für vier Wochen begonnen, die von einer lokalen antimykotischen Therapie begleitet wird. Je nach Befund wird gegebenenfalls mit dem Mittel der Wahl für zwei weitere Wochen oral behandelt. Ein Kindergarten- bzw. Schulbesuch ist sofort nach Therapiebeginn möglich, es sei denn, es handelt sich um einen antrophilen Erreger, dann sind eine einwöchige Karenz und ein Screening der engen Kontaktpersonen nötig.

Höger ging auch auf Ekzeme und im Speziellen auf das atopische Ekzem ein, das meist bereits im ersten Lebensjahr und vor allem im Gesicht auftritt. Der Pädiater und Dermatologe zeigte den positiven Einfluss von Pflegecremes auf die Barrierefunktion der Säuglingshaut. Leider würden diese häufig aus Kostengründen zu wenig verordnet bzw. angewendet. Bei (mittel) schwerer Ausprägung hätte ein über zwölfjähriges Kind zur zweimal täglichen Basistherapie einen Salbenbedarf von 200 bis 500 g pro Woche. Bei Kindern unter zwölf Jahren werden diese Basispflegeprodukte erstattet, worauf man Eltern hinweisen kann. Außerdem sei es in der Beratung zu verschreibungspflichtigen Präparaten wichtig, Eltern die Angst vor topischen Glucocorticoiden und Calcineurin-Inhibitoren zu nehmen und die korrekte Anwendung zu erklären (z. B. keine Glucocorticoide ins Gesicht, cave: Steroid-induzierte Rosacea). Bei schweren Formen, von denen etwa 5% der Kinder mit atopischem Ekzem betroffen sind, kommen die System­therapeutika Dupilumab subkutan oder Upadacitinib oral zum Einsatz.

Minitabletten für Säuglinge

Prof. Dr. Jörg Breitkreutz aus Düsseldorf referierte über kindgerechte Darreichungsformen. Gerade Säuglinge und Kleinkinder sind nicht in der Lage, relativ große Kapseln und Tabletten zu schlucken. Bittere Säfte werden zumeist gleich ganz verschmäht. Minitabletten können hier Abhilfe schaffen. Tabletten mit einem Durchmesser von kleiner gleich 3 mm können auch schon von kleinen Kindern und Babys geschluckt werden, wie Professor Breitkreutz in Studien zeigen konnte. Bei Säuglingen wird die Minitablette in die Wange gelegt und mit Milch nachgetrunken. „Eine stressfreie Einnahme von Arznei­mitteln ist auch bei Kindern möglich durch die Minitabletten“, betonte Professor Breitkreutz. Aspiration der Tablette oder komplette Verweigerung der Einnahme seien in den circa 40 klinischen Studien mit Säuglingen und Kindern bis sechs Jahren, die Breitkreutz bereits durchgeführt hat, bisher nicht aufgetreten. Zur Dosierung können die kleinen Tabletten abgezählt werden. Kostengünstige Zählgeräte werden gerade entwickelt. Breitkreutz geht davon aus, dass in den nächsten Jahren viele Kinderarzneimittel im Miniformat zugelassen werden, inklusive der Medizinprodukte zum Abzählen der Dosierung. Mini­tabletten seien eine sicher dosierbare und relativ angenehme Option, Wirkstoffe in ein Kind zu bekommen.

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Prof. Dr. Jörg Breitkreutz

Durch die Paediatric Use Marketing Authorisations (PUMA) der Europäischen Arzneimittelkommission ist es theoretisch möglich, einen Wirkstoff, der für Erwachsene zugelassen ist, durch Anpassung der Darreichungsform und Dosierung auch für Kinder zuzulassen. Trotz zahlreicher Anträge werden bisher solche Zulassungen nur selten erteilt. Beispielsweise könnte eine Vigabatrin-Tablette (Kigabeq®) gegen Epilepsie auf einem Esslöffel in Wasser aufgelöst und dem Kind gegeben werden. Die Zulassungserweiterung auf einen pädiatrischen Nutzen wurde in Deutschland vom Hersteller zurückgezogen, da der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen sieht. Derartige Fälle und die derzeitige Knappheit an manchen Kinderarzneimitteln würden zeigen, dass es beim Thema pädiatrischer Darreichungsformen noch viel Luft nach oben gebe, so Breitkreutz.

Apotheker könnten Minitabletten mit 3D-Druckern auch als Rezeptur oder Defektur in der Apotheke herstellen. Rezeptur-Minitabletten wären dadurch individuell auf den Patienten abstimmbar, im Gegensatz zur Massenproduktion der Indus­trie. Außerdem könne die Apotheke Versorgungslücken in dem sensiblen Bereich der pädiatrischen Arzneimittel schließen, indem 3D-Drucktechnologien in der Offizin eingesetzt würden, so Breitkreutz. Die European Directorate for the Quality of Medicine hat auf der Paedform Website ein Handbuch mit Arbeits­anweisungen für Apotheker zur Herstellung kindgerechter Arzneimittel herausgegeben (ohne 3D-Druckver­fahren). Geben Sie einfach den Webcode E6SQ3 in die Suchmaske auf daz.online ein und Sie gelangen direkt dorthin.

Depression am häufigsten

Prof. Dr. Paul Plener arbeitet an einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien. Er stellte klar, dass bereits vor der COVID-19-Pandemie rund ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland aufgrund einer mentalen Erkrankung behandelt werden mussten. Internationale Metaanalysen zeigten, dass die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen vor allem zu einer Zunahme der Fälle von Angststörungen, Depressionen und Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen geführt hat. Jugendliche sind von mentalen Erkrankungen besonders häufig betroffen, da sich neuronale Mechanismen in dieser Lebensspanne vom kindlichen zum adulten Hirn umstrukturieren. So ist das maximale Gehirnvolumen bei Mädchen mit durchschnittlich 10,5 Jahren und bei Jungen mit 14,5 Jahren erreicht. Die für kognitive Prozesse wichtige weiße Hirnsubstanz erreicht ihr maximales Volumen aber erst in der dritten Lebensdekade. 50% aller psychischen Erkrankungen zeigen sich erstmals bis zum 14. Lebensjahr, drei Viertel bis zum 25. Lebensjahr. So kann eine Therapie im Anfangsstadium zu verbesserter Heilungschance bzw. Lebensqualität führen, betonte Plener. Bei dieser jungen Patientengruppe ist die Psychotherapie zumeist die erste Behandlungsoption. Pharmakologische Betreuung wird oft erst bei schwerwiegenden Fällen oder rezidivierendem Verlauf eingesetzt.

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Prof. Dr. Paul Plener

Bei Depressionen werde in den Leitlinien auf eine Behandlung mit Fluoxetin verwiesen, so Plener. Der Wirkstoff ist ab acht Jahren bei mittelgradigen bis schweren Depressionen zugelassen. In Akutsituationen, wenn Suizid oder selbstverletzendes Verhalten drohen, werden sedierende Antipsychotika eingesetzt. Für die ebenfalls häufig auftretenden Angststörungen ist kein Präparat für die Therapie Minderjähriger zugelassen. In der Praxis werden bei schweren, rezidivierenden Fällen neben einer Psychotherapie selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) gegeben. Unter SSRI tritt bei 30 bis 40% der behandelten Jugendlichen bei Ersteinnahme keine Besserung ein. In diesem Fall sollte ein weiterer SSRI ausprobiert werden, so Plener.

Depressionen sind die häufigste Komorbidität bei Kindern und Jugendlichen mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). ADHS sei bei Buben deutlich häufiger zu beobachten wie bei Mädchen, erläuterte Plener. Die ADHS-Prävalenz liegt für gewöhnlich bei circa 5%, Plener und Kollegen vermuten eine genetische Prädisposition. Ein multimodales Behandlungskonzept ist bei ADHS angezeigt: Psychoedukation soll Kind und Eltern den Umgang mit der Verhaltensauffälligkeit im Alltag erleichtern. Der Wirkstoff Methylphenidat wird ergänzend hierzu eingenommen.

Eine neue klinische Einteilung von ADHS soll helfen, die Bereiche Aufmerksamkeitsdefizit, Aggression, Hyperaktivität und Impulsivität beziehungsweise Kombinationen dieser Ausprägungen, schärfer voneinander abzugrenzen. Das ermögliche eine zielgerichtete, effiziente Therapie. In der International Classification of Disease 11 (ICD-11) wird eine solche Einteilung erstmals vorgenommen.

Pädiatrische Selbstmedikation

Apothekerin Dr. Miriam Ude und der Kinderarzt Dr. Steffen Fischer zeigten in ihrem Vortrag die Grenzen der Selbstmedikation bei pädiatrischen Patienten auf. Welche Behandlungs­optionen in der Selbstmedikation gibt es bei Fieber, Husten, Durchfall und Obstipation bei Kindern und bei welchen Anzeichen sollte ein Arzt aufgesucht werden? Ude ging in ihrem Vortrag praxisbezogen auf die Apothekensicht ein. Was ist z. B. zu beachten, wenn Eltern für ihre Zweijährige einen Fiebersaft erwerben möchten? Hier sollte beachtet werden, dass Kinder Krankheiten lange kompensieren können. Die Dekompensation, eine mas­sive Verschlechterung des Zustandes, kann gerade bei Kleinkindern plötzlich auftreten. Neugeborene unter drei Monaten sollten daher bereits bei einer Körperkerntemperatur ab 37,8 °C zum Arzt oder in ein Krankenhaus, da die Gefahr einer Sepsis besteht. Zeigt sich das fiebrige Kind oder Kleinkind appetitlos, trinkschwach, lustlos und müde, sollte es mit Anti­pyretika behandelt werden. Hat das Kind Schmerzen oder verschlechtert sich der Zustand in kurzer Zeit, sollte ebenfalls ärztlicher Rat eingeholt werden. Riecht der Atem des kleinen Patienten nach Aceton (wie Nagellack­entferner oder Apfelessig), ist dies ein Warnzeichen für einen entgleisten Stoffwechsel und das Kind sollte einem Arzt vorgestellt werden. Kinderarzt Fischer betonte, dass nicht ein Wert auf dem Fieberthermometer, sondern das Kind behandelt werde. Spielt es, isst es, unterhält es sich und wirkt entspannt, sei (zunächst) keine Therapie vonnöten.

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Dr. Miriam Ude und Dr. Steffen Fischer

Fischer erklärte im nächsten Teil, dass Husten viele Ursachen haben könne – von einem einfachen viralen Infekt bis Asthma. Bei leichtem Reizhusten mit oder ohne Heiserkeit und höchstens leichtem Fieber reicht es, auf eine adäquate Flüssigkeitszufuhr des Kindes zu achten. Das Inhalieren von Kochsalz-Lösung und die Einnahme von Mukolytika helfen ebenfalls. Bei folgenden Symptomen sollte jedoch ein Arzt konsultiert werden: bellender Husten mit Atemgeräuschen, sehr starker Husten unter Umständen begleitet von Atemnot, sowie Husten mit Fieber und Bauchschmerzen bzw. Krankheitsgefühl. Bei Blässe, Zyanose und Brustschmerzen sollte der Notarzt gerufen werden, da cerebraler Sauerstoffmangel drohe, wie Fischer betonte.

Obstipationen treten häufig bei Säuglingen und Kleinkindern auf. „Leidet ein Kind an Verstopfung, begleitet das Eltern und Kind oft über Jahre,“ erläuterte Apothekerin Ude. Bei chronischer Obstipation können Macrogol-haltige Präparate empfohlen werden. Säuglinge und Kleinkinder profitieren von Miniklistieren. Klistiere mit Phosphat-haltigen Lösungen (z. B. Klysma salinisch) dürfen nicht bei Kindern unter sechs Jahren angewendet werden. Bei anhaltender Verstopfung, Blut im Stuhl, Gewichtsverlust oder Fieber sollte der Kinderarzt aufgesucht werden. Zum Thema Durchfall konstatierte Fischer: „Fast alle in Deutschland erworbenen Gastroenteritiden sind selbstlimitierend.“ Ude ergänzte, dass Präparate zur Unterstützung des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes wichtig seien. Um die Osmolarität der Lösung zu erhalten, sollten Elektrolytlösungen in Wasser oder ungesüßtem Tee aufgelöst werden, nicht aber in Säften oder Cola. Bei Fieber, blutigem Stuhl oder einem schlechtem Allgemeinzustand ist ärztlicher Rat gefragt. Generell gilt, dass bei bestehenden Grunderkrankungen, wie einem Herzfehler oder einer Stoffwechselerkrankung, zunächst ein Arzt aufgesucht werden sollte, um Komplikationen auszuschließen. |

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