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DAZ aktuell
„Pünktlich, aber unterbezahlt“
Die Situation der Apotheken ist bedenklich – kreative Lösungen für die Zukunft gesucht
Dr. Dr. Georg Engel, Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, betonte in seiner Eröffnung die lange und erfolgreiche Zusammenarbeit der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern mit der Scheele-Gesellschaft, die gemeinsam die Veranstaltung ausrichteten (s. S. 90). Engel beschrieb die Situation der Apothekerschaft in Mecklenburg-Vorpommern: Zwar sei das Ansehen in der Bevölkerung immer noch sehr hoch, das niedrigschwellige Angebot werde positiv wahrgenommen: „Wir sind immer da, wenn wir gebraucht werden.“ Aber leider spiegelt sich diese Wertschätzung zwar in vielen Sonntagsreden wider, aber nicht in der Währung der sozialen Marktwirtschaft: in harten Euros. Seit mehr als zehn Jahren wurde das Honorar nicht erhöht, im Gegenteil, durch den höheren Kassenabschlag sei es sogar gesunken, so Engels. „Pünktlich, aber unterbezahlt“, so fasste Engel rückblickend die Leistung und die Situation der Apothekerinnen und Apotheker zusammen. Mit Blick auf die angespannte finanzielle und personelle Situation sei der Beruf für junge Leute nicht mehr attraktiv. Mit ein Grund, warum der Apothekertag unter das Motto „Gesundheitsversorgung der Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern“ gestellt wurde.
Wir leben in einer Welt, die rast
Prof. Dr. Steffen Fleßa, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität Greifswald, zeigte deutlich: „Der demografische Wandel findet längst statt, die Zukunft ist bereits geboren.“ Die Bevölkerungszahl in Mecklenburg-Vorpommern sinkt, die Zahl älterer und immobiler Menschen steigt – und damit auch der Bedarf an ärztlicher Versorgung. Fleßa beschrieb das mit dem Begriff epidemiologischer Wandel: In der alternden Bevölkerung gibt es immer mehr chronisch degenerative Erkrankungen, während die Bedeutung von Infektionskrankheiten abnehme. Hinzu komme ein Wandel der Werte und des Lebensstils, weg von einer Autoritätshörigkeit, hin zu Selbstverwirklichung in Eigenständigkeit. Diese Veränderungen nannte Fleßa „das Normalste von der Welt“, aber Wandel ist immer auch anstrengend. Jedes System tendiere zur Homöostase, zeige eine Beharrungstendenz und strebt an, dass alles so bleibt, wie es ist. Wandel aber ist teuer, unangenehm und anstrengend, aber nichts ist stetiger als der Wandel. Wenn eine Bevölkerung und eine Umwelt sich wandelt und man reagiert nicht, dann bedeutet das, dass man aufhört zu existieren, so Fleßa. Als Beispiel nannte er den Rechenschieber: 1850 die Topinnovation der Rechentechnik und lange Zeit in jeder Schule zu finden. Dann kam der digitale Taschenrechner und die Hersteller der Rechenschieber versuchten mitzuhalten, indem sie ihre Geräte edler gestalteten und optimierten. Aber sie hielten an ihrer Technik fest. Solange, bis in den Schulen und Universitäten der digitale Taschenrechner eingeführt wurde – und plötzlich war der Rechenschieber und mit ihm eine gesamte Industrie tot. Wenn sich alles im Außen wandelt, dürfe man nicht auf dem beharren, was man schon immer gemacht hat. „Ob wir es begrüßen oder nicht“, so Fleßa, „die Apotheke im Jahr 2023 ist mitten im Strudel der Postmoderne.“ Die ist charakterisiert durch eine segmentierte, anspruchsvolle Kundschaft, weniger Mitarbeiter mit veränderten Bedürfnissen und durch eine starke Konkurrenz. Die Antwort kann nur lauten: Innovation, Mut zum Neuen! Hier ist eine wirklich grenzenlose Fantasie gefordert für neue Produkte, eine neue Präsentation, neue Zielgruppen. Und: Der Wandel gehen weiter. Nur dass heutzutage das Tempo enorm zugenommen hat. Im Mittelalter erlebten die Menschen vielleicht einmal im Leben einen Wandel, im Industriezeitalter kamen mehrere solcher Phasen, aber dazwischen immer wieder Phasen der Stabilität. Unsere Realität sieht anders aus: sobald eine Krise überwunden ist kommt die nächste. Und gerade im Gesundheitswesen kommen die maßgeblichen Gesetze in immer dichterer Folge und widersprechen dem menschlichen Wunsch nach Konstanz.
Stellen Sie Spinner ein!
Nicht nur die Bevölkerung wird älter, auch der Altersdurchschnitt der Apothekenangestellten steigt. Man müsse alles daransetzen, dass die Menschen bis zur Rente Spaß an der Arbeit haben, betonte Fleßa. Zwar sind Mitarbeiter über 60 vielleicht nicht mehr so belastbar und bereit, Nacht- und Notdienste zu leisten und insgesamt weniger flexibel und innovativ als Jüngere, verfügten aber über viel Wissen und Erfahrung. Jüngere stellten höhere Ansprüche, wollten sich selbst verwirklichen und eigenständig arbeiten. Inhaber sollten auf beide Gruppen eingehen. Wichtig ist, Mitarbeiter so zu führen, dass sie sich gerne kreativ einbringen, riet Fleßa. Die Zukunft gehöre denen, die es wagen, Apotheke neu zu denken. Und neue Strategien oder Nischen zu entdecken: Sei es eine Preisführerschaft anzustreben mit Rabattsystemen, eine Qualitätsführerschaft durch eine Spitzenberatung oder das Besetzen von Nischen mit speziellen Angeboten für kleine Zielgruppen, Stichwort Seniorenapotheke oder Wellnessapotheke. Stellen Sie „Spinner“ ein, ermunterte Fleßa die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Binz, suchen Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die anders denken. Investieren Sie in die Weiterbildung Ihres Personals, nicht nur fachlich sondern auch persönlich. Nur so kann es gelingen, begeisterte und begeisternde Mitarbeiter zu halten. Denn nur sie können auf die veränderten Bedürfnisse der Kunden reagieren.
Woher kommen Arbeitskräfte?
Holger Schäfer, Experte für Arbeitskräftegewinnung am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, ging auf die künftige Entwicklung des Arbeitskräfteangebots ein. Die Generation der Babyboomer geht in den nächsten Jahren in Rente, die Zahl der Erwerbstätigen sinkt. Als Möglichkeiten, um dem gegenzusteuern, nannte der Arbeitsmarktökonom Zuwanderung sowie eine höhere Effektivität der vorhandenen Arbeitskräfte. Das werde aus seiner Sicht jedoch nicht ausreichen, um den Arbeitskräftemangel zu kompensieren, vermutet Schäfer. Sein Blick in die Zukunft: Ein Rückgang der Erwerbstätigen in den nächsten zehn Jahren werde sich nicht verhindern lassen, es drohe ein Verlust von Wohlstand. Auch wird sich der Wettbewerb um Arbeitskräfte enorm verschärfen, kleine Unternehmen werden nicht mehr die Wahl haben, den Besten zu auszuwählen, sondern sie müssen wohl den nehmen, der halbwegs das kann, was erforderlich ist. Lösungen sieht er darin, mehr Frauen und Älteren in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die Arbeitszeit zu erhöhen und vorhandene Arbeitskräfte effizienter zu nutzen. Sogenannte Springer oder Freelancer könnten gemeinsam genutzt werden, die knappen Personalressourcen dort einzusetzen, wo sie am meisten gebraucht würden. |
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