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„So geht es nicht weiter!“
Apothekenprotest in Hannover: Teams aus dem Norden machten ihrem Ärger Luft
Auch wenn bei der Ankunft am Hannoverschen Hauptbahnhof sofort ins Auge fiel, dass die dortige Apotheke geöffnet war: Auf dem Bahnhofsvorplatz sammelten sich am Mittwochvormittag vor einer Woche immer mehr Apothekenteams, die nicht nur aus Niedersachsen, sondern auch aus Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern angereist waren – und deren Apotheken geschlossen blieben. Die Notfallversorgung war selbstverständlich überall gewährleistet.
Hingucker auf dem Bahnhofsvorplatz
Bis zum offiziellen Start um 12 Uhr füllte sich der Ernst-August-Platz zusehends. Von der Bühne schallte Musik: von Bowies „Heroes“ bis hin zu Geier Sturzflugs „Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ – und zwischendurch immer wieder: Fettes Brot mit „Nordisch by nature“. Die vielen Frauen und deutlich weniger Männer waren mit ihren Transparenten, Warnwesten und fantasievoll selbst gestalteten Protest-Utensilien ein echter Hingucker für die Reisenden und alle anderen Menschen rund um den Bahnhof der niedersächsischen Landeshauptstadt. Wer sich nicht selbst Demo-gerecht ausgestattet hatte, bekam vor Ort noch die seit dem Deutschen Apothekertag bekannten weißen Warnwesten mit der Aufschrift „Apotheken stärken. Jetzt!“. Ebenso gab es einen Fundus an Protest-Schildern.
Auch wenn der Anlass für die Veranstaltung bitter ist – die Demonstrierenden hatten offensichtlich auch einen gewissen Spaß und freuten sich über den großen Zusammenhalt. Unter anderem Claudia Malt, Inhaberin der Weser-Apotheke im südniedersächsischen Boffzen, hatte ihr Team nach Hannover gelotst. „Es ist überfällig, dass wir gehört werden“, sagte sie der DAZ.
Die Braunschweiger Apotheke am Saarplatz war mit dem halben Team vertreten – am Nachmittag sorgte im Backoffice noch eine Mitarbeiterin dafür, dass die Heimversorgung lief. Dass an diesem Tag geschlossen war, war für Inhaberin Marion Fechteler wichtig, um ihre Botschaft auch an Kundinnen und Kunden, die sich wundern mögen, zu unterstreichen: Wenn es politisch so weiter geht, werden viele Apotheken nicht nur einen Tag zu sein, sondern für immer.
„Scheiß Lieferengpässe!“
Das Team der Marien-Apotheke in Oldenburg erhoffte sich von den Protesten mehr Wertschätzung für seinen täglichen Arbeitsaufwand. Das der Kosmos-Apotheke in Bremen sah das sicher genauso, brachte seinen Frust aber in zwei deutlichen Worten auf den Punkt: „Scheiß Lieferengpässe!“
Auch die frühere niedersächsische Kammerpräsidentin Magdalene Linz war mit 13 Leuten aus ihren Apotheken beim Protest. Ebenfalls vertreten war ein mehrköpfiges Adexa-Team – denn allen ist klar: Das von den Apotheken geforderte höhere Honorar soll keinesfalls zuletzt genutzt werden, um die Angestellten besser bezahlen zu können.
Um 12 Uhr startete das Programm auf der Bühne – hier fanden sich, ganz anders als auf dem Protestplatz, nur Männer als Redner ein. Dennoch: Berend Groeneveld brachte auf den Punkt, was alle Anwesenden bewegte und heizte ordentlich ein. Als erstes erweiterte er das beim DAT etablierte Motto „Apotheken stärken. Jetzt!“ in „Alle Apotheken stärken. Jetzt!“ Es ist ein eindringlicher Ruf, der immer wieder durch die Menge ging. Groeneveld schwor die rund 3000 Protestierenden ein: Es geht jetzt darum, das Apothekensystem zu erhalten. Die Apotheken übernähmen eine hoheitliche Aufgabe – und das machten sie auch gern. Nur: Wenn der Staat sie schon mit einer solchen Aufgabe belege, müsse er auch für eine angemessene Bezahlung sorgen. „Nimm uns wahr und nimm uns ernst“, appellierte der Verbandschef an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Wie kommt das Schiff in Seenot wieder auf Kurs?
Als Ostfriese schilderte Groeneveld die Apotheke als Schiff in Seenot. Es sei auf Grund gelaufen, weil der Kurs nicht stimme: Der Leuchtturm, das Bundesgesundheitsministerium, sende nämlich falsche Signale – wie soll es da möglich sein, auf Kurs zu bleiben? Groeneveld verdeutlichte, dass Lauterbachs jüngste Reformvorschläge für Light-Filialen ohne Notdienst, Rezeptur und Approbierte keinesfalls zu Einsparungen führen würden – und schon gar nicht zu einer besseren Versorgung. Eine klare Absage gab er gegenüber Erwartungen, es könne künftig mehr Filialen geben, wenn die Anforderungen heruntergeschraubt werden: „Wo eine Apotheke schließt, entsteht auch keine Apotheke light.“
Mehr Geld, weniger Bürokratie
Vielmehr müssten jetzt wichtige Forderungen der Apothekerschaft erfüllt werden: Ein Fixum von 12 Euro samt Dynamisierung und weniger Bürokratie. Während den Apotheken in Zeiten der Corona-Pandemie tatsächlich viel Freiraum eingeräumt wurde, um Patienten umgehend zu versorgen, komme das Engpassgesetz ALBVVG und nun auch die jüngst beschlossene Austauschregelung für Kinderarzneimittel wieder mit mehr Aufwand daher. „So kann es nicht weitergehen!“ Wenn Lauterbach davon rede, es könne für Apotheken nur mehr Geld für mehr Leistung geben, so kann der LAV-Chef dem nur entgegnen: „Wir sind an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit – wie bitte sollen wir noch mehr Leistung erbringen?“
Auch an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) richtete sich Groeneveld – schließlich ist er (noch) derjenige, der offiziell für Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung zuständig ist. Zudem pflegt der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Kai Christiansen seine Beziehungen zu Habeck – der Minister hatte daher den Apotheken auch seine Unterstützung zugesichert. „Halten Sie Ihr Wort und überzeugen Sie Ihre Koalitionspartner!“, appellierte Groeneveld.
Landespolitiker an der Seite der Apotheken
In Niedersachsen selbst ist das Verhältnis zur Politik gut – sowohl zur rot-grünen Regierung als auch zur CDU als Opposition. Dass man im Land hinter den Apotheken steht, zeigt nicht nur der jüngste Beschluss der Regierungschefinnen und -chefs zur Arzneimittelversorgung. Der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) kam ebenso für eine Rede auf den Bahnhofsvorplatz in Hannover wie der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Volker Meyer. Beide sparten nicht mit wertschätzenden Worten für alle, die in einer Apotheke arbeiten, und schlossen sich den Forderungen der Apothekerschaft nach auskömmlicher Honorierung und weniger Bürokratie an.
„Von reiner Wertschätzung können wir nicht leben“
Ebenfalls als Redner auf der Bühne erschien Christian Burgdorf aus Peine, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes der Apotheker in Niedersachsen. Er betonte, dass Apotheken nicht nur die Versorgung sichern, sondern auch Arbeitsplätze. Für die Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter seien die Belastungen in den vergangenen Jahren ständig gestiegen – das verdiene höchste Anerkennung und daher sei es unabdingbar, die Vergütung anzupassen. „Von reiner Wertschätzung können wir nicht leben“, so Burgdorf. Er verwies darauf, dass trotz Personalnöten einige Apotheken weiteres Personal abbauen müssten – aus wirtschaftlichen Gründen. Einige könnten deshalb auch nicht zum Protest erscheinen.
Groeneveld zeigte sich zum Abschluss der Veranstaltung, kurz vor 14 Uhr, sichtlich zufrieden. Dass Apothekenteams selbst von den Inseln kamen und die Landespolitik auf Augenhöhe mit den Apotheken spricht, tut gut. Den Respekt, den er auf Landesebene kennt, wünscht er sich auch von Berliner Politikerinnen und Politikern. |
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