Aus den Ländern

„Was fehlt, ist die Vernetzung“

Gesellschaft für Klinische Pharmazie für mehr interdisziplinäre Zu­sammenarbeit

Am 18. und 19. November 2023 bot die Deutsche Gesellschaft für Klinische Pharmazie e. V. bereits zum 31. Mal ein Forum für Heilberufler, Wissenschaftler und Interessierte der klinischen Pharmazie, um den interdisziplinären Austausch zu fördern. Vorträge, Workshops und eine Podiumsdiskussion rückten das Thema Vernetzung in den Fokus, das sowohl die berufsübergreifende Zusammenarbeit als auch die digitale Infrastruktur mit einbezog.

Die Gastgeberinnen und Vorstandsvorsitzenden Dr. Isabell Waltering und Sabine Haul luden auf den Pharmacampus Münster zu einem Programm ein, das die Schnittstellen zwischen Patienten und Heilberuflern aber auch zwischen den Versorgungsdienstleistern vielfältig beleuchtete. Wie bekommen Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf einen gesicherten Zugang zu umfassender Beratung und Versorgung? Wie wichtig ist eine fachübergreifende Kooperation zwischen Arzt, Apotheker, Pfleger und Sozial­arbeiter? Stimmen die Voraussetzungen für digitale Kommunikations­strategien zwischen Pflege, Pharmazie und Medizin?

Gesundheit um die Ecke

Die Notwendigkeit, insbesondere Patienten mit Behinderungen oder sprachlichen, sozialen und kulturellen Barrieren niederschwellige Anlaufstellen zu ermöglichen, erörterte Apothekerin Sabine Haul, die sich neben ihrer Tätigkeit in der Offizin für die Vernetzung von Medikationsmanagement, medizinischer Versorgung und Verhältnisprävention einsetzt. Letzteres berücksichtigt die Lebens- und Arbeitssituation der Patienten.

Realisiert werden soll das ganzheit­liche Versorgungskonzept nach dem Bundesministerium für Gesundheit mithilfe der Einrichtung lokaler Gesundheitszentren und Gesundheits­kiosken: Fachübergreifende Kooperation ergänzt mit sozialen Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Ein Konzept, bei dem die Apotheke als Ort zentraler Arzneimittelexpertise bisher keine Rolle spiele, so Haul.

„Apotheken sind Leuchttürme“

Zudem seien die nötigen Kompetenzketten schon längst vorhanden: Clearingstellen eröffneten Zugewanderten einen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Pflegestützpunkte böten pflegebedürftigen Patienten oder ihren Angehörigen Beratung und Hilfestellung.

Apotheken seien ebenfalls niedrigschwellige Anlaufstellen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit für den Patienten in engem Vertrauensverhältnis zu Verfügung ständen. „In der Apotheke laufen alle Fäden zusammen.“ Hier fielen Medikationsprobleme auf, insbesondere wenn verschiedene Ver­ordner und Kliniken beteiligt seien. Was fehle, sei die Vernetzung unterstrich Haul.

Foto: DAZ/Esch

Auf Augenhöhe

Gemeinsames Behandeln – das sei in den Niederlanden bereits realisiert, berichtete Apothekerin Martina Teichert. Arzt und Apotheker kommunizierten „auf Augenhöhe“ miteinander. Teichert zufolge ist der Apotheker berechtigt, auf die ärztlich verordneten Arzneimittel Einfluss zu nehmen. Bereits während der Ausbildung werde den angehenden Ärzten vermittelt, dass der Apotheker die Funktion des Arzneimittelspezialisten innehabe. Hausärzte und Apotheker träfen sich alle zwei Monate zur Implementierung einer interdisziplinären Zu­sammenarbeit.

Foto: DAZ/Esch

Die Sicht der Anwender stand in einer Podiumsdiskussion im Mittelpunkt (v. l.): Timo Frank (online zugeschaltet), Sabine Haul, Kai Käßhöfer, Dr. Kerstin Boldt und Ina Richling, PharmD.

KIM und TIM und ihre Freunde

Timo Frank, Produktmanager der Gematik, gab einen Einblick über die digitalen Vernetzungsmöglichkeiten der Telematikinfrastruktur im deutschen Gesundheitswesen. Das geschützte E-Mail-Programm KIM soll für eine schnelle digitale Übermittlung von elektronischen Arztbriefen und Untersuchungsergebnissen zwischen Heilberuflern sorgen. Eine dynamischere Kommunikation in Echtzeit ermöglicht dagegen der Kurznachrichten-Dienst TIM inklusive Lesebestätigung und Gruppenchats für Angehörige von Heilberufen. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion beleuchteten die Apothekerinnen Sabine Haul, Ina Richling, PharmD, und Dr. Kerstin Boldt gemeinsam mit Altenpfleger und Geschäftsführer der Evangelischen Sozialstation Karlsruhe GmbH Kai Käßhöfer das Thema aus der Anwenderperspektive.

Grundlagen schaffen

Ehe man über KIM und TIM reden könne, müsse man die Basics klären, wandte Ina Richling, PharmD, Apothekerin der Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis, ein. Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation seien durchaus zu begrüßen. Zunächst seien jedoch Baustellen aus dem normalen Klinikalltag zu bewältigen. Nicht alle Krankenhäuser verfügten beispielsweise über ein lückenloses WLAN (Wireless Local Area Network). Bestehenden Systemen mangele es an Interoperabilität. Zu kritisieren seien zudem die überreglementierten Vor­gaben im Entlassmanagement, deren Umsetzung man nicht gerecht werde. Auch zum vorgestellten E-Mail-Programm KIM fand Ina Richling deut­liche Wort. Versendete Nachrichten verschwänden im „Nirwana des KIM-Postfachs“. Die uneinheitliche Nutzung des Programms mache eine verlässliche Kommunikation zunichte.

Die Apotheken einbinden

Auch Dr. Kerstin Boldt von der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. betonte die Problematik, dass neue Maßnahmen bei fehlender Grundvoraussetzung nicht implementierbar seien. Ohne funktionierendes Medikationsmanagement habe auch die beste Digitalisierungsstrategie keinen Nutzen. Bei 66% der stationären Aufnahmen liege kein elektronischer Medikationsplan vor, in 24% der Fälle fehle dieser völlig. Eine elektronische Verordnung sei bei über 50% der komplexen Medikationen wie patienten­individuell herzustellende Rezepturen nicht möglich. Häufig seien Informationen nicht einlesbar und müssten händisch eingeben werden. Als unerlässlich bezeichnete Boldt die elektronische Freigabe patientenspezifischer Ver­ordnungen durch den Apotheker. Auch dessen Einbindung in die Therapie­planung noch vor der Ver­ordnung sei ein wichtiges Ziel.

Verschwendete Ressourcen

Kai Käßhöfer kritisierte die Ressourcenverschwendung, die mit der aus­gedruckten Form des E-Rezepts einhergehe. Anstelle einer zügigen Übermittlung zwischen Verordner und Versorger müssten sich Kolleginnen in der ambulanten Pflege um die Weiterleitung des digitalen Papier­rezepts von der Arztpraxis zur Apotheke kümmern.

Wünschenswert sei eine digitale Medikationshistorie, ergänzte Dr. Kerstin Boldt. Die Versorgung der Patienten könne erheblich verbessert werden, wenn sämtliche eingenommene Arzneimittel elektronisch festgehalten würden. |

Apothekerin Judith Esch

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