Placebos: Auch in der ärztlichen Praxis oft wirksam

„Placebo wirken stärker und sehr viel komplexer als bisher angenommen. Ihr Einsatz ist von enormer Bedeutung für die ärztliche Praxis“, sagte BÄK-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Christoph Fuchs heute in Berlin. In der von einer interdisziplinär aufgestellten Arbeitsgruppe des Wissenschaftlichen Beirats erstellten Publikation wird empfohlen, Ärztinnen und Ärzten bereits in der Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung tiefer gehende Kenntnisse der Placeboforschung zu vermitteln. „Mit dem Einsatz von Placebo lassen sich erwünschte Arzneimittelwirkungen maximieren, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten verringern und Kosten im Gesundheitswesen sparen“, sagt Arbeitsgruppen-Leiter Prof. Dr. Robert Jütte, der selbst Historiker ist.

Es gibt bereits eine Reihe von Studien zum Placeboeffekt: Sie zeigen unter anderem auf, dass ihr schmerzlindernder Effekt größer ist, wenn das Placebo teuerer ist, oder dass sie von Nation zu Nation unterschiedlich anschlagen. So gibt es eine Studie, die in Brasilien bei Magengeschwüren eine Placebo-Heilungsrate von sieben Prozent ausgemacht hat, in Deutschland lag diese Rate dagegen bei 59 Prozent. Selbst wenn Patienten wissen, dass sie mit einem Placebo behandelt werden, verbessert sich ihre Konstitution häufig deutlich gegenüber einer unbehandelten Vergleichsgruppe – vorausgesetzt, sie werden vom Arzt richtig aufgeklärt. „Das sind Phänomene, die wir uns nicht erklären können“, räumt Jütte ein.

Erklärungsansätze für den Placeboeffekt gibt es durchaus – doch trotz intensiver Forschungsbemühungen sind die Mechanismen bislang nur teilweise geklärt. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Forschung ist laut Jütte, „dass der Placeboeffekt hirnphysiologisch und –anatomisch lokalisierbar ist“. So lege eine Vielzahl von Studien nahe, dass vor allem die Aktivierung der Stirnlappen die Wirkungsweise des Placeboeffekts erklären kann.

Jütte betonte, dass Placebos nicht nur in der klinischen Forschung als Kontrollgruppe eine zentrale Rolle spielten. Zahlreiche Studien belegten, dass sie in unterschiedlichster Form auch in der therapeutischen Praxis eingesetzt würden. So komme eine aktuelle Studie aus der Schweiz zu dem Ergebnis, dass die große Mehrheit der Schweizer Hausärzte Placebo einsetze. Dabei griffen 57 Prozent auf sogenannte Pseudo-Placebos zurück – das sind zum Beispiel Arzneistoffe mit extrem niedriger Wirkstoffdosis, Vitaminpräparate oder Homöopathika. Eine Minderheit von 17 Prozent verabreiche reine Placebos, also Zuckerpillen. Bei einer Umfrage unter bayerischen Hausärzten im Jahr 2010 haben gar 88 Prozent der Befragten angegeben, sie verwendeten Placebo in der Praxis.

Es gibt auch Ärzte, die bei der Placebo-Therapie auf die Zusammenarbeit mit einer Apotheke setzen, sagte Jütte. Sie versorgen ihre Patienten mit einem Privatrezept, auf in vorgeblich medizinischer Fachsprache Placebo-Pillen verordnet werden. Der eingeweihte Apotheker weiß mit dem Rezept umzugehen und kann dem Patienten bei der Abgabe des Placebos noch unterstützende Worte mitgeben. Denn eins ist klar: Placebo wirken dann am besten, wenn sie im richtigen therapeutischen Setting stattfinden. Im Grund sei Placebo die „Droge Arzt“, so Jütte. Wie sein Verhältnis zum Patienten ist und wie er mit ihm spricht ist wesentlich für den Behandlungserfolg.

Die Experten des Wissenschaftlichen Beirats halten die bewusste Anwendung von Placebo in der therapeutischen Praxis für vertretbar. Voraussetzung sei aber, dass in dem jeweiligen Einzelfall keine geprüfte wirksame (Pharmako-)therapie vorhanden ist, es sich um relativ geringe Beschwerden handelt und Aussicht auf Erfolg einer Placebobehandlung bei dieser Erkrankung besteht.