- DAZ.online
- News
- Körperliche Anwesenheit ...
Krankenhausversorgung
Körperliche Anwesenheit des Krankenhausapothekers „eher praxisfremd“
Eine Entfernung von rund 215 km muss einem Arzneimittel-Versorgungsvertrag zwischen einer Krankenhausapotheke und einem Krankenhaus nicht entgegen stehen. Das entschied das Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen bereits am 19. Mai. Nun liegen die Urteilsgründe vor.
Das Urteil des OVG erging bereits am 19. Mai 2011 – nun sind auch die Urteilsgründe veröffentlicht. Geklagt hatte die St. Franziskus-Hospital GmbH als Erlaubnisinhaberin einer Krankenhausapotheke gegen den Landrat des Kreises Warendorf, der die Genehmigung für einen Versorgungsvertrag mit dem 216 km entfernten St. Josef-Stift in Bremen verweigert hatte. In dem Vertragswerk wurde unter anderem geregelt, dass die Klägerin als allein versorgende Apotheke die Stationen des Krankenhauses regelmäßig dreimal in der Woche beliefert und ein Notdepot auf der Intensivstation für selten gebrauchte lebenswichtige Arzneimittel einrichtet und unterhält. Durch den Leiter der Krankenhausapotheke bzw. einen von ihm beauftragten Apotheker sollte eine persönliche Beratung des Personals des Krankenhauses bedarfsgerecht und im Notfall unverzüglich erfolgen. Dabei waren im ersten Monat der Versorgung pharmazeutische Beratungsleistungen zunächst an einem Tag pro Woche vorgesehen. Zusätzlich gewünschte Beratungsleistungen eines Apothekers außerhalb der apothekenrechtlich verpflichtenden Beratung sollten zusätzlich vergütet werden. Die Behörde konnte dies nicht überzeugen. Sie begründete ihren ablehnenden Bescheid damit, dass die unverzügliche Belieferung mit Notfallmedikamenten sowie die persönliche und im Notfall unverzügliche Beratung nach §14 Abs. 5 des ApoG nicht sichergestellt werden könnten. Die Krankenhausapotheke erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage – in erster Instanz obsiegte die beklagte Behörde, in zweiter Instanz wurde der Klägerin Recht gegeben.
Grundsätzlich bedarf es für die Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern eines schriftlichen Vertrages zwischen dem Träger des Krankenhauses und dem Erlaubnisinhaber der Apotheke. Rechtswirksam wird dieser Vertrag durch die Genehmigung der zuständigen Behörde. Gemäß § 14 Abs. 5 Satz 2 ApoG ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass der Vertrag über die Arzneimittelversorgung des Krankenhauses durch diese Apotheke geschlossen hat, der unter anderem folgende Voraussetzungen erfüllt: die Apotheke stellt Arzneimittel, die das Krankenhaus zur akuten medizinischen Versorgung besonders dringlich benötigt, unverzüglich und bedarfsgerecht zur Verfügung (§ 14 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3) und die persönliche Beratung des Personals des Krankenhauses durch den Leiter der Apotheke oder den von ihm beauftragten Apotheker der versorgenden Apotheke erfolgt bedarfsgerecht und im Notfall unverzüglich (§ 14 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4).
Ausführlich setzt sich das Gericht mit der Definition des Begriffs „unverzüglich“ auseinander. Aus diesem sei weder eine „konkrete Zeit- noch Entfernungsangabe ableitbar“. Allein die Entfernung zwischen Apotheke und Krankenhaus oder eine bestimmte Zeitspanne könnten die Versagung der Genehmigung eines Versorgungsvertrags damit nicht rechtfertigen. Die Richter gehen auf die Entstehungsgeschichte der Norm ein und können dabei nicht erkennen, dass ihr konkrete Zeitvorgaben immanent seien. Ihre Schlussfolgerung: „Bei sachgerechter Wertung, die nicht vordergründig auf bestimmte Begrifflichkeiten (Entfernung, Zeitspanne usw.) abstellt, kann für die Frage der Genehmigungsfähigkeit eines Versorgungsvertrages zwischen einer Apotheke und dem von ihr zu versorgenden Krankenhaus nur entscheidend sein, ob der Vertrag eine ausreichende Versorgung des Patienten und eine hinreichende Beratung des Krankenhauspersonals durch den Apotheker gewährleistet. Dies kann nicht davon abhängen, ob es sich bei der Apotheke um eine solche „in der Nähe“ des Krankenhauses handelt.“
Doch das Gericht setzt sich zunächst weiterhin mit dem Begriff der „räumlichen Nähe“ auseinander. Dieser war bei der Änderung des Apothekengesetzes im Jahr 2005 durchaus diskutiert worden. Am Ende fand das Kriterium jedoch keinen Eingang in die Norm. Dementsprechend sei auch kein Raum für die Annahme, § 14 Abs. 5 ApoG gehe weiterhin vom zuvor bestehenden – und von der Europäischen Kommission angegriffen – Regionalprinzip aus. Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 11. September 2008, Rs C-141/07), das im erstinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts berücksichtigt wurde, zwinge nicht zu einer anderen Bewertung des Merkmals „unverzüglich“. Der EuGH habe die Frage geklärt, ob die deutschen Vorschriften zu Krankenhausapotheken mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in Einklang stehen. Schon von daher enthalte es einen „grundsätzlich anderen Beurteilungsansatz als die hier in Frage stehende Auslegung einzelner Begriffe im nationalen Apothekenrecht“.
Im Weiteren kommt das Gericht bei „verständiger Würdigung“ des Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass im gegebenen Fall keinerlei Bedenken gegen die begehrte Genehmigung bestehen. Ob eine ausreichende Versorgung der Patienten und eine hinreichende Beratung des Krankenhauspersonals durch den Apotheker gewährleistet ist, müsse konkret unter Berücksichtigung des Versorgungsauftrags des Krankenhauses und des durch die vorhandenen ärztlichen Disziplinen bedingten Bedarfs einerseits und der im Vertrag vereinbarten Einzelheiten und Besonderheiten andererseits bewertet werden. „Dabei ist es selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Begründung, dass das Kriterium der Versorgungssicherheit in Bezug auf das zu versorgende Krankenhaus und den dort gebotenen Leistungserfolg zu beurteilen und nicht entscheidend ist, wann und wie die Leistung durch die Apotheke veranlasst wurde“ heißt es im Urteil.
Die Richter argumentieren unter anderem, es sei nicht davon auszugehen, „dass das Krankenhaus 'sehenden Auges' einen Versorgungsvertrag mit der Klägerin schließt, bei dem wegen der Entfernung zwischen beiden Standorten von vornherein mit Mängeln in der Versorgung des Krankenhauses gerechnet werden müsste“. Auch die konkreten Vertragsbedingungen sind für sie nicht zu beanstanden. So bewirke beispielsweise die Einrichtung von Notdepots zusätzlich zu den (für zwei Wochen angelegten) Arzneimittelvorräten auf den Stationen des Krankenhauses eine „optimale (Erst-)Versorgung des Krankenhauses“.
Auch mit der vorausgesetzten „persönlichen Beratung“ befassen sich die Richter. Dass diese die körperliche Anwesenheit des zur Beratung verpflichteten Apothekers erfordere, negieren sie. Auch die Vorgabe, dass die Beratung „unverzüglich“ zu erfolgen habe, könne nur zeitlich gesehen werden – die Notwendigkeit einer unmittelbaren körperlichen Anwesenheit des Apothekers vor Ort sei dem Begriff hingegen nicht zu entnehmen. Selbst aus pharmazeutisch/medizinischer Sicht scheine die „körperliche“ Anwesenheit des Apothekers bei der Beratung des Personals des Krankenhauses nicht geboten, so das Gericht weiter. Denn: „Die Arzneimitteltherapie bei einem Patienten bestimmt und verantwortet letztlich allein der Arzt im Krankenhaus. Soweit sich dabei aus ärztlicher Sicht die Notwendigkeit einer weiteren pharmazeutischen Abklärung und einer entsprechenden Beratung mit einem und durch einen Pharmazeuten ergeben sollte – nach Einschätzung des Senats werden diese Fälle in der Krankenhauspraxis in Abhängigkeit von der medizinischen Fachrichtung eher selten bis gar nicht vorkommen –, ist dem Senat nicht ersichtlich, warum diese Beratung mit der körperlichen Anwesenheit des Apothekers im Krankenhaus verbunden sein muss und warum dies nicht telefonisch und/oder auf elektronischem Wege erfolgen kann“. Und das Gericht geht noch weiter: Die Annahme der körperlichen Anwesenheit des Apothekers bei der Beratung von Ärzten im Krankenhaus erscheine sogar „eher praxisfremd“. In diesem Zusammenhang stellt der Senat auch den Unterschied zur persönlichen Beratung von Patienten heraus: Diese könne sachgerecht nur im unmittelbaren Gegenüber von Apotheker und Patient erfolgen. Beim Arzt sei dagegen ein pharmazeutisches Grundverständnis vorhanden.
Das OVG hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob der beklagte Landkreis nach Lektüre und Bewertung der Entscheidungsgründe das Rechtsmittel beim Bundesverwaltungsgericht einlegen wird.
Das Urteil im Volltext: Oberverwaltungsgericht NRW, Urteil vom 19. Mai 2011, Az.: 13 A 123/09
Berlin - 08.06.2011, 14:10 Uhr