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Kommentar
Freiverkäufliche Schmerzmittel, Paracetamol und das Kräftespiel der Interessen
Der Antrag des Erlanger Pharmakologen Prof. Dr. Dr. Kay Brune, der die vollständige Unterstellung von Paracetamol unter die Verschreibungspflicht vorsieht, wirft seine Schatten voraus. Ursprünglich stand er auf der Tagesordnung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht vom 5. Juli 2011, jetzt wurde
In der ARD-Sendung Plusminus, ausgestrahlt am 28. Juni 2011, hatte Brune noch einmal öffentlichkeitswirksam seine Position vertreten können. Unterstützung erhielt er dabei von dem Hamburger Rheumatologen Prof. Dr. Keihan Ahmadi-Simab von der Asklepios-Klinik Altona und einem Vertreter der Verbraucherschützer. Was der Zuschauer mitnehmen konnte (sollte), war, dass das preiswerte Paracetamol nur noch im Handel bzw. rezeptfrei erhältlich ist, weil es für die Hersteller ein Milliardengeschäft ist. Für den Kunden würden jedoch gefährliche Nebenwirkungen drohen.
Dabei blieb die Diskussion, die seit über einem halben Jahr in der Deutschen Apotheker Zeitung intensiv geführt wird, völlig an der Oberfläche. Mit plakativen Zahlen wie „Nebenwirkungen von Paracetamol, die das Gesundheitssystem täglich fast drei Millionen Euro kosten“ wurde Stimmung gemacht. Auf eine Erklärung, woher solche Zahlen stammen und wie sie ermittelt wurden, wartete man vergebens. Kosten werden gerne angeprangert, wenn sie für die Argumentation dienlich sind, welche Kosten auf das Gesundheitssystem zukommen, wenn Millionen von Patienten wegen leichter Schmerzen für eine Verordnung die Arztpraxen füllen, war kein Thema. Denn mal wurde der Dauergebrauch von Paracetamol, mal von Schmerzmitteln pauschal für gefährliche Nebenwirkungen wie Nierenschäden verantwortlich gemacht und es war zwischenzeitlich nicht klar, ob nicht doch alle Schmerzmittel der Verschreibungspflicht unterstellt werden sollten.
Plusminus verweist in seiner Sendung darauf, dass man sich auch um eine Stellungnahme der „Apothekerkammer Hamburg und der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg“ zum Anliegen, Paracetamol unter die Verschreibungspflicht zu stellen, bemüht habe, aber dass diese einen Rückzieher gemacht hätten. Für den Verbraucherschützer Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg kamen die Interview-Absagen nicht überraschend. Für ihn war klar, dass man sich von Apothekerseite dafür nicht stark machen wird, weil Apotheker daran weiterhin Geld verdienen und befürchten, dass die Verschreibungspflicht das Honorar oder das Einkommen mindert.
Da reibt sich der aufmerksame Zuschauer verwundert die Augen. Hatte er nicht am Anfang der Sendung vernommen, dass das Paracetamol allüberall so beliebt ist, weil es so ein billiges Schmerzmittel ist? Liebe Plusminus-Redakteure, kurz nachgedacht hätte man darauf kommen können, dass der nur am Profit interessierte Apotheker doch bei Unterstellung von Paracetamol unter die Verschreibungspflicht mit teureren, nicht verschreibungspflichtigen Analgetika einen wesentlich größeren Reibach machen könnte. Oder ging Herr Kranich von der Forderung aus, dass alle Schmerzmittel in die Hände von Ärzten gehören?
Wer die Diskussion um Paracetamol in der DAZ verfolgt hat, wird gelesen haben, dass von Apothekerseite durchaus Stellung bezogen worden ist. Prof. Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel der ABDA, hatte auf Anfrage der DAZ erklärt, dass man die bisherige Regelung, nach der Packungen mit mehr als 10 g Paracetamol nur auf Rezept abgegeben werden dürfen, für völlig ausreichend hält. Diese Position wurde bislang auch von den Zulassungsbehörden, dem BfArM und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), vertreten. Dass es so etwas wie eine Packungsgrößenbegrenzung mit definierten maximalen Dosierungseinheiten für rezeptfreie Schmerzmittel zum Schutz des Verbrauchers gibt, ist den Redakteuren von Plusminus wohl entgangen. Dauerschmerzen und damit eine Dauermedikation mit Schmerzmitteln gehören auch jetzt schon in die Hand von Ärzten, darauf wird jeder verantwortungsbewusste Apotheker seinen Patienten hinweisen. Dass das leider viel zu häufig gerade von den Patienten selbst nicht beherzigt wird, mit unbestritten gravierenden Folgen für den Einzelnen, darf nicht dazu führen, dass die Hürde für eine Schmerzlinderung für alle, die kurzfristig und vorübergehend auf ein Analgetikum angewiesen sind, durch eine generelle Rezeptpflicht unnötig hoch gelegt wird.
Ob nun Paracetamol gefährlicher ist als beispielsweise Ibuprofen oder Diclofenac und deshalb vollständig der Verschreibungspflicht unterstellt werden sollte, darüber wird heftig diskutiert. Da direkte Vergleichsstudien fehlen, wird auf Basis der vorhandenen, in alle Richtungen interpretierbaren Daten heftig spekuliert. Hier eine angemessene Bewertung vorzunehmen, darauf zu achten, dass im Kräftespiel der Interessen die unkomplizierte Versorgung von Patienten mit leichten Schmerzen nicht auf der Strecke bleibt, das ist eine Herausforderung für alle Mitglieder des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, die nun jetzt frühestens im Januar 2012 über den Antrag von Brune befinden werden.
Alle in der DAZ erschienenen Beiträge zur Paracetamol-Diskussion finden Sie auf dieser Seite in der Rubrik Debatte.
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29.06.2011, 12:25 Uhr