Editorial

Diskriminierung hier, Privilegierung dort

Stuttgart - 03.11.2011, 08:02 Uhr


Wer sich für das Verhältnis von Versandhandels- zu Vor-Ort-Apotheken interessiert, findet im Referentenentwurf zur neuen Apothekenbetriebsordnung Passagen, die sehr nachdenklich stimmen.

Ein zentraler Punkt betrifft die schon bislang unterschiedlichen Informations- und Beratungspflichten (einschlägig sind hier § 20 „Information und Beratung“ und § 17 Abs. 2a). Die I&B-Verpflichtungen sollen noch einmal konkretisiert und verschärft werden (v. a. § 20 Abs. 2) – allerdings nur für die Vor-Ort-Apotheken. Vergleichen wir (siehe untenstehenden Kasten)!

Die Verpflichtung der Vor-Ort-Apotheken, aktiv tätig zu werden, ist gerechtfertigt, weil der Patient seinen Informations- und Beratungsbedarf in vielen Fällen nicht selbst erkennen kann, also auch nicht von sich aus fragt. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass der Verordnungsgeber den Vor-Ort-Apothekern und dem pharmazeutischen Personal auferlegt, vorsorglich und fürsorglich aktiv zu werden – trotz des damit verbundenen kostenträchtigen Aufwands. 

Nichts spricht allerdings dafür, dass die Besteller bei Versandapotheken viel schlauer sind und ihren Informationsbedarf selbst besser erkennen können als Patienten von Vor-Ort-Apotheken. Die paternalistische Fürsorge des Gesetzgebers muss sich also in bestmöglicher Form auch auf die Arzneiversandkunden erstrecken. Das (bislang spärliche) pharmazeutische Personal der Arzneiversender müsste vor diesem Hintergrund verpflichtet werden, aktiv fernmündlichen Kontakt mit seinen Kunden aufzunehmen, um abzuklären, was demnächst in verschärfter, kostenträchtiger Form auch den Vor-Ort-Apotheken auferlegt werden soll. Es ist inakzeptabel, wenn hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Man könnte allerdings auf die Idee kommen, den ­paternalistischen Ansatz grundsätzlich infrage zu stellen. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass dieser Ansatz, wenn es um Gesundheit geht, zu Recht besteht und rechtlich verankert ist. Man denke z. B. an die Verschreibungspflicht, das Verbot von Drogen, die Anschnallpflicht.

Wie haarsträubend Versandapotheken gegenüber Vor-Ort-Apotheken privilegiert werden, wird auch deutlich, wenn man die vorgesehenen Vorschriften zum Botendienst anschaut. Durch den Botendienst, der Vor-Ort-Apotheken nicht mehr nur im Einzelfall erlaubt sein soll, würde den Versendern – theoretisch – eine vielfach überlegene Konkurrenz ins Haus stehen. Denn während sich die Versandapotheke zwei Tage (!) Zeit lassen darf, bevor sie ihr Päckchen auf den Weg bringt, kommt der Bote aus der Hausapotheke fast immer noch am Tag der Bestellung ins Haus – ein großer Vorteil. Dieser wird allerdings komplett konterkariert, indem (neu!) vorgeschrieben wird, dass der Bote nicht nur bei der Apotheke fest angestellt sein muss, er muss darüber hinaus Apotheker oder PTA sein, wenn der Patient nicht zuvor selbst in der Apotheke war und beraten wurde.

Man vergleiche: Arzneimittel von der Versandapotheke werden vom Postboten ausgeliefert – der steht überhaupt nicht unter Kontrolle der Apotheke; eine Beratung vorab ist nicht vorgeschrieben. Ggf. muss der Patient selbst anrufen, selbst nachfragen – zu Zeiten, die der Versandapotheke genehm sind. Überträgt man dies auf den Botendienst, wäre es schon ein Qualitätssprung, wenn der Apothekenbote bei der Auslieferung einen Rückruf durch pharmazeutisches Personal der Apotheke ankündigt und anbietet, bei dem der Beratungsbedarf und mögliche Fragen geklärt werden. Mehr zu fordern ist eine einseitige, kostentreibende Schikane. Neben der Privilegierung, dass sich Versender nur in ihrem lokalen Umfeld (nicht in ihrem gesamten Liefergebiet) am Notdienst beteiligen, dass sie problematische Arzneimittel (z. B. BtM) aussparen dürfen und an der teuren Akutversorgung nicht be­teiligt sind – neben all dem können sich die Versandapotheken durch die vorgesehenen Regelungen zum Botendienst ein weiteres Mal über spezielle politische Förderung freuen. Dagegen ist Widerstand angesagt.

    Die Vor-Ort-Apotheke            Die Versandapotheke

  hat den Informations- und Beratungsbedarf aktiv „durch Nachfrage festzustellen“ und eine Beratung aktiv „anzubieten“ – dies sei auch bei Dauermedikation nicht generell verzichtbar, denn Umstände könnten sich geändert haben; das ist korrekt.


muss weder „feststellen“ noch aktiv „anbieten“ – nicht einmal per Telefon (was durchaus möglich und zumutbar wäre); ein Hinweis auf die „Möglichkeiten und Zeiten der Beratung“ reicht. Der Kunde muss, auf eigene Kosten, selbst anrufen; für die Beratung selbst darf eine Versandapotheke zukünftig immerhin nicht mehr gesondert kassieren. 

 


Der Patient soll aktiv in das Gespräch eingebunden werden.

 


keine derartige Verpflichtung thematisiert

 


Die Beratung muss die sachgerechte  Anwendung und Aufbewahrung thematisieren und über evtl. Neben- und Wechselwirkungen informieren.

 


keine derartige Verpflichtung thematisiert

 


Bei der Selbstmedikation ist festzustellen, ob das Arzneimittel zur Anwendung bei der vorgesehenen Person geeignet ist.

 


keine derartige Verpflichtung thematisiert

 


Dr. Klaus G. Brauer