Schweiz

Apotheken testen telemedizinisches Versorgungsmodell

Berlin/Bern - 10.01.2012, 10:30 Uhr


In der Schweiz wird ein neues Modell zur integrierten Versorgung getestet: Die rund 200 Apotheken, die sich hieran beteiligen, können ihren Kunden künftig anbieten, per Videokonferenz einen Arzt zu konsultieren. Dieser kann nach einer Diagnose gegebenenfalls ein Rezept ausstellen, das gleich in der Apotheke eingelöst werden kann.

Unter dem Namen netCare werden ab April 2012 rund 200 Apotheken ihre Leistungspalette um diese neuen telemedizinischen Leistungen ergänzen. Die gezielte Einbindung der Apotheken in die medizinische Grundversorgung soll deren Potenzial besser ausschöpfen – zum einen im Hinblick auf ihr pharmazeutisches Know-how, aber auch was ihre Infrastruktur und Verfügbarkeit betrifft. Denn auch in der Schweiz erwartet man, dass sich die Zahl der Hausärzte dezimiert. Zudem seien Notfallzentren schon jetzt häufig mit Bagatellfällen belastet – eine kostspielige Angelegenheit für die Versicherer. Sie hoffen, mit neuen Versorgungsformen die veränderten Bedürfnisse der Patienten besser zu bedienen und dabei Kosten zu sparen. Grundlage des Projektes, so heißt es in der gemeinsamen Pressemeldung der drei Partner, „bildet die Tatsache, dass der Apotheker als qualifizierte und anerkannte Medizinalperson medizinische Leistungen erbringen kann“. Jetzt will man herausfinden, wie die Bevölkerung diese neue Dienstleistung aufnimmt. Dazu wird das auf zwei Jahre angelegte Projekt durch eine wissenschaftliche Studie begleitet. 

Patienten, die in eine netCare-Apotheke kommen, haben die Möglichkeit, gesundheitliche Fragen im Rahmen einer Erstkonsultation in der Apotheke beurteilen zu lassen. Die Beurteilung des gesundheitlichen Problems erfolgt mittels eines Fragenkatalogs – Algorithmus genannt –, einer Methode, wie man sie aus der Telemedizin kennt. Im Moment gibt es 20 verschiedene Algorithmen, etwa für Husten, Blasenentzündung, Bindehautentzündung oder Halsweh. Kommt der Apotheker nach seinen Fragen zu dem Schluss, dass ein Arzt hinzuzuziehen ist, wird dieser per Videokonferenz zugeschaltet. Nach einer Beratung – ob der Apotheker dabeibleibt, entscheidet der Patient – schreibt der Arzt möglicherweise ein Rezept aus. Die Verordnung kann er umgehend an den Apotheker faxen, der das Medikament sodann ausgibt und den Patienten entsprechend aufklärt. Am Ende einer Beratung kann allerdings auch ein nicht rezeptpflichtiges Medikament oder eine Überweisung an einen Arzt oder ein Krankenhaus stehen. Nach drei Tagen wird zudem ein Kontrollanruf beim Patienten gemacht. Bei Helsana-versicherten Kunden erhält der Apotheker für seine Leistung von der Kasse 15 Schweizer Franken, der Arzt 48 Schweizer Franken. 

Dominique Jordan, Präsident des Apothekerverbandes pharmaSuisse, sieht in netCare eine sinnvolle Verbesserung der Gesundheitsgrundversorgung: „Immer mehr Menschen haben keinen Hausarzt, die Notfallzentren sind chronisch überlastet: Das Apothekennetz kann hier wirksam helfen.“ Er betonte, dass die für netCare zugelassenen Apotheken strengen Qualitätskriterien unterliegen. Für Jordan ist das Modell eine Win-Win-Lösung: Die Apothekerschaft übernimmt mehr Verantwortung und kann ihre Ressourcen besser auslasten. Die Ärzteschaft wird von Bagatellfällen entlastet. Die Patienten haben die Möglichkeit, an mindestens sechs Tagen die Woche gesundheitliche Fragen mit einer Fachperson zu besprechen. 

Pius Gyger, Leiter Gesundheitspolitik Helsana, hofft nicht zuletzt auf eine Kostendämpfung durch das Modellprojekt. Sei das der Fall, wirke sich dies günstig auf die Prämien aus.


Kirsten Sucker-Sket