Gründe für Gemzar-Entscheidung

Warum der BGH den Zyto-Freispruch aufhob

Karlsruhe - 15.10.2012, 15:45 Uhr


Am 4. September hatte der Bundesgerichtshof (BGH) den Freispruch für einen Münchener Zyto-Apotheker aufgehoben. Dieser hatte mehrfach Zytostatika-Lösungen auf Basis von importiertem Gemzar zubereitet und gegenüber Krankenkassen und Privatpatienten nach Listenpreis abgerechnet. Nun liegen die mit Spannung erwarteten Urteilsgründe vor.

Für die Zubereitung hatte der Angeklagte unterschiedliche Chargen Gemzar aus Herstellungen einer französischen Firma erworben. Dies waren jedoch nicht die für den deutschen Markt produzierten, sondern andere, im Einkaufspreis günstigere Herstellungen – unter anderem für Tschechien, Ungarn und Bangladesch. In ihrer inhaltlichen Zusammensetzung waren die Arzneimittel identisch, sie unterschieden sich lediglich in ihrer äußerlichen Gestaltung (Etikettierung, Verpackungsbeschriftung). Zudem besaßen die konkret georderten keine in Deutschland gültige Zulassung.

Die Vorinstanz hatte den Apotheker freigesprochen. Doch die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe den Tatbestand des unerlaubten Inverkehrbringens nicht zugelassener Fertigarzneimittel (§ 96 Nr. 5 AMG) nicht verwirklicht, sei rechtsfehlerhaft, heißt es nun im BGH-Urteil. Es treffe nicht zu, dass er durch die Zubereitung einer Injektionslösung ein Rezepturarzneimittel hergestellt habe, das keiner Zulassung bedürfe.

„Nicht jeder denkbare Herstellungsschritt innerhalb eines mehrstufigen Herstellungsprozesses führt zur Entstehung eines neuen Arzneimittels“, schreiben die Richter. Im Fall des pulverförmigen Fertigarzneimittels Gemzar, dem lediglich Kochsalzlösung beigefügt worden sei, sei kein neues Arzneimittel hergestellt worden. An der arzneilichen Wirkung ändere sich durch diesen Arbeitsschritt der Apotheke nichts – das ursprüngliche Fertigarzneimittel werde lediglich in die zur Anwendung am Patienten geeignete Darreichungsform gebracht.

Nur weil ein Teil der Herstellung – die Zubereitung der Lösung – in der Apotheke erfolgt sei, entfalle nicht die Zulassungspflicht für das Fertigarzneimittel. Zur Einordnung eines Arzneimittels als Fertig- oder Rezepturarzneimittel seien bei arbeitsteiligen Herstellungsverfahren, die zum Teil industriell oder im Voraus, zum Teil gewerblich in der Apotheke erfolgen, die unterschiedlichen Arbeitsschritte in einer Gesamtbetrachtung gegeneinander zu gewichten. Je nach dem Schwerpunkt der Herstellungstätigkeiten handele es sich um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel oder um ein zulassungsfreies Rezepturarzneimittel. „Hergestellt“ im Sinne des § 4 Abs. 1 AMG würde ein Arzneimittel dort, wo der Herstellungsschwerpunkt liege – nur so werde dem überragenden Schutzzweck der Arzneimittelsicherheit hinreichend Rechnung getragen. Würde durch die Verlagerung einfachster Herstellungstätigkeiten in die Apotheke der für die industrielle Herstellung vorgesehene Schutzmechanismus obsolet, entstünde eine erhebliche Schutzlücke.

Vorliegend bilde die Zubereitung im Vergleich zum vorab erfolgten industriellen Herstellungsteil „einen klar untergeordneten Arbeitsschritt“, heißt es im Urteil. Die die arzneiliche Wirkung bestimmenden Herstellungstätigkeiten, etwa die pharmazeutische Verarbeitung des Wirkstoffs zu einer handelbaren, haltbaren Substanz, seien zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen.  

Dass das vom Angeklagten verwendete Gemzar mit einem für Deutschland zugelassenen Alternativmedikament inhaltlich identisch war, spielte für die Richter keine Rolle. Denn „die Gefahr des Fehlgebrauchs kann auch bei der Verwendung eines inhaltsgleichen Medikaments nicht ausgeschlossen werden“. Selbst dann könnten sich aus unterschiedlichen Herstellungsbedingungen und anderer Lagerung der Medikamente Qualitätsunterschiede ergeben. Auf die behördliche Identitätsfeststellung dürfe daher nicht verzichtet werden.

Auch ein betrügerisches Handeln (§ 263 StGB) kommt nach Auffassung der Richter durchaus in Betracht: „Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit […] nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen […] umfasst, wenn ihnen die erforderliche […] arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt.“ Der Apotheker habe daher mit der Rechnungsstellung bei den gesetzlichen Krankenkassen einen sozialrechtlichen Erstattungsanspruch konkludent behauptet bzw. durch den Verkauf an privatversicherte Patienten einen tatsächlich nicht existenten Kaufpreisanspruch geltend gemacht.

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. September 2012, Az.: 1 StR 534/11

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Juliane Ziegler