Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

10.11.2013, 08:00 Uhr


Das war mal wieder eine Top-Woche: Wir haben einen Unparteiischen, der gerne erwärmtes Bier trinkt, koalierende Politiker, die Big-Pharma drangsalieren, Versandapos, die man in ein Heim für Schwererziehbare stecken sollte, und vielleicht bald eine „Pille danach“ ohne Rezept, wenn wir noch den einen oder anderen Politiker überzeugen, dass man einem studierten Apotheker die Abgabe zutrauen kann. Und, mein liebes Tagebuch: In dieser Woche gibt es eine Frau und einen Mann der Woche! Ja, wer sagt’s denn!

4. November 2013

Der Kuhhandel beginnt wieder. In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD. Und so lautet ein erstes Zwischenergebnis in der Arzneimittelpolitik: Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln, die noch Unterlagenschutz genießen, aber schon vor dem 1. Januar 2011 auf dem Markt waren, wird nicht fortgeführt. Dafür wird der Zwangsrabatt für Nicht-Festbetragsarzneimittel von sechs auf sieben Prozent angehoben. Ein guter Deal zugunsten der Kassen. Denn mit dem erhöhten Herstellerzwangsrabatt und dem weiteren Einfrieren der Arzneimittelpreise auf dem Niveau vom 1. August 2009 fahren sie rund 600 bis 700 Mio. Euro ein. Die Nutzenbewertung hätte nur etwa 50 bis 60 Mio. Euro gebracht. Und so sind Spahn, der für die CDU verhandelte, und Lauterbach für die SPD zufrieden. Mein liebes Tagebuch, das kam bisher nicht so häufig vor. Wenn das so weiter geht…

Der Ordermed-Geschäftsführer Markus Bönig ist ein rühriges Kerlchen. Mit dem Ordermed-Dienst sollen bekanntlich Arzt und Apotheker stärker vernetzt werden, um dem Patienten das Rezepthandling und seine Arzneilieferung zu erleichtern. Es gibt schon einige Apotheken, die dabei sind. Ob’s der große Bringer ist? Jetzt hat Böning eine neue Idee: Er will die Hersteller zur Kasse bitten für ein Bestellkonzept namens KlickA. Wenn der Kunde auf eine Arzneimittelwerbung im Internet klickt, öffnet sich eine produktspezifische Website, auf der er seine Daten eingeben und eine der umliegenden Apotheken auswählen kann, die ihm dann das gewünschte und angeklickte Produkt vorbestellt, damit er es abholen kann. Oder er lässt es sich nach Hause liefern. Das Schöne: bei KlickA sind alle Apotheken – ungefragt – dabei. Denn: welche Apotheke hat schon was dagegen, wenn ein Fax mit einer Bestellung bei ihr ankommt. Meint Bönig. Ja, mein liebes Tagebuch, und wenn der Kunde nur die kleine Packung Paracetamol-Tabletten nach Hause geliefert haben möchte? Finanzieren sollen das Modell die Hersteller, die mit einer Grundgebühr von 6000 Euro und einer Monatsgebühr von 1000 Euro dabei sind sowie für jedes mit KlickA bestellte Arzneimittel zusätzlich einen Euro an den Dienst zahlen. Ob das einschlägt? Ein Pilotversuch mit fünf Pharmafirmen läuft zurzeit.

5. November 2013

Rainer Gurski, den Namen müssen wir uns merken, liebes Tagebuch. Denn Mitte/Ende Dezember werden wir nette Post vom ihm bekommen in Form eines hoffentlich hübschen Geldbetrags. Der Deutsche Apothekerverband hat Rainer Gurski zum Geschäftsführer des DAV-Notdienstfonds gemacht. Gurski ist praktisch der Dompteur des Bürokratiemonsters, der den Notdienstfonds in die richtigen Bahnen lenkt und so geschmeidig macht, dass am Ende hoffentlich was Ordentliches herauskommt. Gurski bringt gute Voraussetzungen mit, dass dies klappt: Er ist studierter Betriebswirt, war ITler und Verwaltungsmensch bei Krankenkassen, war in der Softwareentwicklung tätig und kennt sich mit Datenaustausch aus. Jetzt sind wir gespannt auf die erste Auszahlung, so um die 200 Euro pro Dienst sollten es wohl werden. Rainer Gurski ist unser Mann der Woche.

Große Enttäuschung bei Big Pharma und Generika Pharma: Preismoratorium und ein auf 7 Prozent erhöhter Zwangsrabatt werden fortgesetzt. Darauf haben sich CDU und SPD in den Koalitionsverhandlungen verständigt. Unisono beklagen die Pharmaverbände VFA, BPI ,BAH und Pro Generika den massiven Eingriff in den Pharmamarkt. Von Planwirtschaft ist die Rede. Man fühlt sich „belogen und betrogen“, wie es der BPI formulierte. Und da ist was dran, mein liebes Tagebuch. Eingefrorene Arzneimittelpreise auf dem Stand von Sommer 2009 und 7 Prozent Zwangsrabatt für Nicht-Festbetragsarzneimittel ­– das tut weh, auch den Großen, auch den Generikaherstellern. Diese Maßnahme belastet die Unternehmer mit jährlich 2,5 Milliarden Euro, erklärt der BAH. Man fragt sich wirklich, wie das weitergehen soll, mein liebes Tagebuch. Vielleicht wird schon bald der gesamte Rx-Markt mit ausgehandelten oder staatlich festgesetzten Preisen überzogen?

Dass die Industrie nun weiterhin einen Zwangsrabatt, jetzt 7 Prozent, zahlen muss, kann uns Apotheker nicht kalt lassen. Denn, mein liebes Tagebuch, wir sind die Inkassostelle der Kassen dafür. Die Kassen ziehen bei uns die 7 Prozent ab, wir müssen sie über den Großhandel bei der Industrie holen. ABDA-Präsident Schmidt und Verbandschef Becker machen zu Recht darauf aufmerksam: Die Apotheken haben den Mehraufwand – und bekommen keine Aufwandsentschädigung dafür. Stimmt. Nur, mein liebes Tagebuch, das hätte man schon vor drei Jahren mit Nachdruck fordern sollen. Jetzt ist dieser Zug doch abgefahren, oder?

Aber er ist zufrieden über das gesundheitspolitische Verhandlungsergebnis der Koalitionsrunde: Josef Hecken, der – wie es so schön heißt – unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Er hatte schon seit längerem angeregt, die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts zu stoppen und die Einsparungen lieber über verlängerte Zwangsmaßnahmen zu holen. Jetzt hat er, was er wollte, und gleichzeitig ein Bündel unangenehmer Arbeit vom Hals. Denn für die Aufarbeitung des Bestandsmarkts hätte der G-BA „alte Studien“ mit schlechter Evidenz für eine Bewertung heranziehen müssen. Und wer will sich schon durch alte Studien quälen!

6. November 2013

Ist schon irgendwie skurril, wie Versandapos im Wettbewerb stehen und sich mit immer besseren Konditionen übertreffen wollen. Beispiel Zahlungsaufschub für Beihilfeberechtigte.

Bei DocMorris müssen Beamte und beihilfeberechtigte Personen erst nach sechs Woche ihre Privatrezepte bezahlen. Die Sanicare Versandapo toppt das das Angebot: hier haben diese Kunden gleich ein halbes Jahr Zeit, bis sie ihre Arzneirechnungen in der Apotheke zahlen müssen, also dann, wenn der Versicherte sein Rezept bei der Kasse eingereicht und sein Geld bekommen hat. Schön für die Patienten. Aber: die Versandapo als Zwischenfinanzierer – hmm, mein liebes Tagebuch, darf die das? Ist das nicht auch ein geldwerter Vorteil? Zum Beispiel: 300 Euro Rx-Arzneikosten zwischenfinanziert per Dispokredit zu 11,34 Prozent für sechs Monate wären rund 17 Euro. Besser als jede Bonus- und Taleraktion, oder?

Er folgt dem Wolf: Berend Groeneveld ist der neue Vorsitzende des Landesapothekerverbands Niedersachsen. Die Delegierten haben ihn zum Nachfolger von Heinz Günther Wolf gewählt. Der 66-jährige Wolf hat den Job 24 Jahre lang gemacht. Jetzt zieht er sich zurück aus der Berufspolitik. Groeneveld war vor acht Jahren in die Berufspolitik eingestiegen. Er und Uwe Hansmann waren die Stellvertreter Wolfs. Mein liebes Tagebuch, es hatte in der Vergangenheit den Anschein nach außen, Hansmann laufe sich für den Vorstandsposten schon mal warm. Nun haben sich die Delegierten allerdings für den etwas ruhigeren Groeneveld entschieden, den, wie er selbst sagt, Kleinstadt-Apotheker und Teamplayer. Auch das ist Politik. Alles Gute nach Niedersachsen.

7. November 2013

So langsam scheint’s dann doch brenzlig zu werden für DocMorris. Über die Versandapo haben Gerichte bereits mehrere Ordnungsgelder verhängt, weil das Unternehmen gerichtliche Verbote für Werbeprämien und andere finanziellen Zuwendungen an Patienten hartnäckig ignorierte. Die Strafgelder belaufen sich mittlerweile auf 350.000 Euro. Jetzt lenkt DocMorris ein: keine 20 Euro mehr für Versandkunden, die am Arzneicheck teilnehmen – „um dem Urteil Folge zu leisten, werden wir die Prämie nicht mehr weiter ausloben“. DocMorris, mal handzahm?

Und noch mal der Unparteiische, der Hecken Josef. Jetzt wissen wir von ihm, dass er erwärmtes Bier mag! In einer Kassensitzung tat er kund, dass nicht jede Befindlichkeitsstörung wie Einschlafprobleme ein behandlungsbedürftiger Zustand sei. Er trinke auch schon mal gerne ein erwärmtes Bier, wenn er Einschlafprobleme habe. Erwärmtes Bier! Igitt! In bayerischen Regionen grenzt das schon an Folter. Das tut er sich also an, der Josef. Dumm nur, dass er sein Hausmittel sogar öffentlich anpreist und es als Ersatz für Psychotherapie auslobt. Das hätte er mal lieber sein sollen. Denn die Psychotherapeuten-Innung hat das auf die Palme gebracht. Und Hecken, als G-BA-vorsitzender für viele der mächtigste Mann im Gesundheitswesen: er räumt ein, dass sein Bierzitat wohl „unglücklich, weil missverständlich“ gewesen sei. Er wollte psychische Erkrankungen nicht verharmlosen. Ja, ja, mein liebes Tagebuch, noch immer gilt: Erst denken, dann reden.

8. November 2013

Nach dem Willen des Bundesrats soll es die „Pille danach“ bald ohne Rezept geben. Wie in den meisten anderen europäischen und vielen anderen Ländern auch. Die Länderkammer hat in ihrer Sitzung am 8.November beschlossen, Levonorgestrel-haltige Arzneimittel in einer Konzentration bis zu 1,5 mg für die einmalige Einnahme zur Notfallkontrazeption aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Endlich tut sich hier was, mein liebes Tagebuch. Aber, aber: damit ist die Freigabeprozedur noch lange nicht Ende. Und schon regt sich Widerstand dagegen: Jens Spahn, dem gesundheitspolitischen Sprecher der CDU, gefällt das gar nicht. Warum? Äh, was könnte er dagegen haben? Darauf angesprochen sagt er: Für ihn sei das eine medizinisch-pharmakologische Frage, keine politische. Hallo, lieber Herr Spahn, die „Pille danach“ soll es nicht im Automaten geben, sondern aus der Apotheke! Aus der Hand eines pharmakologisch gut geschulten Pharmazeuten. Und dem dürfen Sie in Deutschland schon das zutrauen, was viele andere europäische Länder ihren Apothekern auch erlauben. Also, vertrauen Sie uns Apothekerinnen und Apothekern. Und alles wird gut.

Wäre die DocMorris-Versandapo ein bockiges Kind, müsste man es in ein Heim für Schwererziehbare stecken. Gerade hat DocMorris bei der Arzneimittelcheck-Prämie nachgegeben, schon kassiert die Versandapo die nächste einstweilige Verfügung. Dieses Mal für eine „Fahrkostenerstattung“ von bis zu 10 Euro bei Einsendung von Rx-Rezepten. Denn auch diese Prämie geht nun mal gar nicht. Mein liebes Tagebuch, DocMorris will nicht verstehen. Gibt’s denn da keine juristische Verständnishilfe in Form eines saftigen Ordnungsgeldes oder Ähnliches, damit da ein für alle Mal Ruhe ist? So geht das Spielchen immer weiter.

9. November 2013

„Die Zeiten von geräuschloser Lobbyarbeit sind ein für allemal vorbei“, sagte die Vorsitzende des Apothekerverbands Brandenburg, Dr. Andrea Lorenz, auf der Mitgliederversammlung ihres Verbands. Wie Recht sie hat! Sie will mit der auf dem Apothekertag ins Leben gerufenen Leitbilddiskussion in die Offensive gehen. Es sei mehr als überfällig, dass die Apotheker aktiv werden und sich der Berufsstand zu neuen Ufern aufmacht. Bingo, Frau Lorenz. Und: Ob man dazu nun Leitbild oder Rolle des Apothekers in einer sich verändernden Gesellschaft sagt, sei nachrangig. Das kann man alles so unterschreiben. Mein liebes Tagebuch, Frau Lorenz ist unsere Frau der Woche.

Und das hören wir doch gerne: Der Bus ist sowas von abgefahren, mein liebes Tagebuch, der Apothekenbus ist weg. Das jedenfalls sagt der brandenburgische CDU-Gesundheitspolitiker Michael Schierack, Mitglied der AG Gesundheit bei den Koalitionsverhandlungen. Außerdem sagte er auch: die BtM-Gebühr, die seitz 1973 nicht mehr angepasst wurde, muss erhöht werden, aber holla, ganz deutlich. Und am Mehr- und Fremdbesitzverbot werde die Große Koalition nicht rütteln. Also, das ist doch schon mal ein guter Start in eine neue Woche. 


Peter Ditzel