Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

24.11.2013, 08:00 Uhr


Es weihnachtet. Überall blitzen schon Sternlein an den Wipfeln. Die ABDA schenkt der Basis eine Leitbilddebatte, bei der alle mitmachen dürfen, wie fein. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof segnet ein Pick-up-Modell ab. Ein Spiegelkolumnist spielt Apotheker und rät, verfallene Arzneimittel vielleicht noch einzunehmen. Die Stiftung Warentest macht ihre Weihnachtstests in Apotheken und Knecht Ruprecht-Glaeske teilt die Rute aus. In der Koalition weiß man bald, wie man schöne Päckchen packt. Und jede vierte Apotheke backt homöopathische Weihnachtsplätzchen, während der Papst Arzneipäckchen mit Misericordinen verteilt. Oh du schöne Weihnachtszeit.

18. November 2013

Keine Nebenwirkungen, keine Wechselwirkungen, und sie helfen immer: „Misericordinen“, die Superpillen des Papstes. Den Teilnehmern seines Mittagsgebetes schenkte Papst Franziskus eine kleine Schachtel mit viersprachigem Beipackzettel, die diese Misericordinen enthielt. Kleine Kügelchen, zu einer Perlenkette aufgefädelt, mit denen nach Art eines Rosenkranzes Sühnegebete gesprochen werden. Es ist also so eine Art päpstliche „Pille danach“. Diese „geistliche Medizin“ könne allen Gläubigen empfohlen werden. Mein liebes Tagebuch, wir meinen: Diese Packungen gehören ins Sortiment einer jeden guten Apotheke. Und immer wenn ein Politiker der christlichen Parteien vorbeikommt, dann sollte man sie ihm im Rahmen eines Zusatzverkaufes empfehlen. Dosierung: nicht lutschen, nicht schlucken, nur durch die Hand gleiten lassen und Sühnegebete sprechen. Einmal täglich! Hilft!

Dass man nicht nur als Apotheker mit einem Bein im Gefängnis steht, sondern sogar schon, wenn man nur Pharmazie studiert, zeigt der Vorfall in Halle: Ein Pharmaziestudent wurde irrtümlich festgenommen und in Handschellen abgeführt: Verdacht auf illegalen Drogenhandel. Im Lauf der erkennungsdienstlichen Maßnahmen stellte sich heraus: er war nicht der Gesuchte. Mein liebes Tagebuch: Der Hallenser ist unser Pharmaziestudent der Woche!

Jede vierte Apotheke in Deutschland nennt die Homöopathie als Schwerpunktthema, wie eine repräsentative Umfrage der Gesellschaft für Konsumgüterforschung im Auftrag des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) herausfand. Mon Dieu, mein liebes Tagebuch, wenn das Professor Mutschler liest, dann könnte er den Glauben an die Naturwissenschaftlichkeit von Deutschlands Pharmazeuten verlieren. Konnte seine Bibel der Pharmakologie so wenig bewirken? Nein, mein liebes Tagebuch, er braucht sich keine Sorgen zu machen. Deutschlands Pharmazeuten sind überwiegend harte Pharmakologen – aber wenn der Kunde halt Homöopathika verlangt, dann, bitte schön, werden Kundenwünsche erfüllt. Der Naturwissenschaftler nutzt hier bewusst die Kraft des Placebos! 

19. November 2013

Eine neue Software, die hilft, unerwünschte Nebenwirkungen der Polypharmazie zu verhindern? Super, her damit! Gemach, diese Software gibt es noch nicht, sie wird gerade entwickelt von Professor Sönnichsen und seinem Team am Institut für Allgemeinmedizin der Universität Witten/Herdecke. Fein, nur: die Software können dann nicht nur Apotheker bedienen und anwenden, sondern auch die Ärzte in ihren Praxen. Äh, ja, mein liebes Tagebuch, wird der Medikationscheck in der Apotheke dann überflüssig? Wird der Apotheker eines Tages doch nur noch Händler, Distributeur und Logistiker sein? „Es ist gut vorstellbar, dass hier ein kooperatives Vorgehen von Ärzten und Apothekern realisiert wird“, meinte Sönnichsen, sofern sich die Standespolitik darauf einlasse. Da sollte im Berliner Apothekerhaus die Alarmglocke klingeln – bevor was anbrennt.

Deutliche Worte von der Arbeitsgruppe Gesundheit zum Bestandsmarktaufruf patentgeschützter Arzneimittel: „Wir werden den gesamten Bestandsmarktaufruf beenden. Das gilt auch für laufende Verfahren“. Damit dürfte selbst der bislang einzige abgeschlossene Bestandsmarktaufruf der Gliptine folgenlos bleiben. Das dürfte die Hersteller der betroffenen Arzneimittel freuen.

20. November 2013

Die Apothekerkammer Hamburg hat eine neue Beitragsstaffel beschlossen. Allerdings stimmte die Kammerversammlung nicht für die vom Kammervorstand vorgeschlagene Version, sondern für einen Änderungsantrag von Holger Gnekow, den er kurz vor der Abstimmung  eingebracht hatte. Demnach zahlen Apotheken mit unter 500.000 Euro Umsatz keinen Betriebsstättenbeitrag, Apotheken mit 500.000 bis 1,8 Millionen Euro Umsatz zahlen 130 Euro pro Monat. Für höhere Umsätze werden Zuschläge aufgrund einer degressiven Staffel fällig. Der Kammervorstand hatte ursprünglich eine feinere Abstufung im Bereich 500.000 bis 1,8 Millionen Euro Umsatz vorgesehen. Geblieben sind die Grundbeiträge für alle Mitglieder: Vollzeitbeschäftigte zahlen demnächst 20,11 Euro monatlich, für geringere Beschäftigungen besteht eine Staffel.

Jetzt kommt wirklich Schwung in die Leitbilddebatte. Allein in der zurückliegenden Woche diskutierten vier Kammern übers Leitbild bzw. über den weiteren Fahrplan zum Leitbild: Hamburg, Nordrhein, Bayern und Schleswig-Holstein. Und da hörte man: Die ABDA hat einen Plan entwickelt, wie die Basis in die Leitbilddebatte eingebunden werden kann. Mein liebes Tagebuch, das ist doch mal ein netter Zug von der ABDA, oder? Die Basis wird mit eingebunden! Kommt ja nicht so häufig vor. Da sind wir schon mal dankbar. Also, so soll es laufen: Sechs Schritte sollst du tun! Schritt 1: Der Leitbildprozess wird in den Mitgliedsorganisationen vorgestellt. Schritt 2: Eine Internet-Plattform wird eingerichtet, auf der alle Apothekerinnen und Apotheker ihre Meinungen und Erwartungen zu relevanten Themen formulieren und diskutieren können. Außerdem gibt’s einen Fragenkatalog, der auf Antworten wartet. Der 3. Schritt: Die Kammern setzen eine Arbeitsgruppe ein, die die Ergebnisse zusammenfasst, Vorschläge für das Leitbild erarbeitet und einen weiteren Fragebogen beantworten soll. Es folgt Schritt 4, in der Hoffnung, dass es dann nicht April, April heißt: Anfang April tritt das Konvent zusammen (bitte die Misericordien nicht vergessen!), ein Konvent aus Vertretern aller Mitgliedsorganisationen, unter dem Titel „Weiterentwicklung der öffentlichen Apotheken in Deutschland“. Wenn dann weiße Wölkchen aus dem Konvent aufsteigen, wird es heißen: „Habemus imaginem“, wir haben die erste Fassung eines neuen Leitbildes. Im 5. Schritt wird diese Fassung dann im Mai (alles neu macht der…)  allen Apothekerinnen und Apothekern online für zwei Wochen zur Verfügung gestellt (da heißt es also schnell sein!), mit der Möglichkeit, einzelne Kapitel zu kommentieren. Die Kommentare werden dann auf einer weiteren Tagung im Mai ausgewertet. Und dann Schritt 6: Die finale Fassung des Leitbildes wird am 25. Juni 2014 in der Mitgliederversammlung der ABDA vorgestellt.  Mein liebes Tagebuch, diesen Tag kreuzen wir heute schon dick rot an im Kalender.

Und der krönende Abschluss: Das neue Leitbild wird vom Apothekertag in München angenommen und der Öffentlichkeit präsentiert. Ja, dann ist wohl eine Leitbild-Party fällig.

Na denn, die Diskussion kann beginnen. In der Hoffnung, dass viele der Basis online gehen, mitdiskutieren und sich einbringen.

Friedemann Schmidt war bei den Nordrheinern. Kammerboss Lutz Engelen hatte den ABDA-Präsidenten  und dessen Diskussionsführung in der Leitbild-Debatte scharf kritisiert. Aber  Schmidt schlug sich tapfer. Er ging auf Kritikpunkte ein, wies Kritik zurück, zeigte aber auch Verständnis. Und von wegen Leitbild 2030: schon 2016  will man zu allen Fragen im Konsens und am Start sein. Als Alternative zu einem neuen Leitbild sieht Schmidt nur eine Gesundschrumpfung, eine Deprofessionalisierung, weg vom Heilberuf hin zum Verkaufsprofi oder das Prinzip Hoffnung auf Einsicht und Sinneswandel der Politik und Wachstum bei konstanten Leistungen. So weit, so gut, meinte Engelen, das ist auch für ihn keine Alternative. Was ihm allerdings noch fehle, sei ein „Wir-Gefühl“ an der Basis. Mit dem 6-Schritte-Programm wird ja dann alles gut. Mein liebes Tagebuch, ist das nicht ein schönes Bild, wie der kleine Lutz mit dem großen Friedemann die sechs Schritte tut? Friedemann, geh du voran!

Ein Spiegel-Kolumnist rät dazu, verfallene Arzneimittel nicht gleich wegzuwerfen – sondern selbst darüber nachzudenken, ob man sie noch einnehmen kann. Ist ja  gut, dass man nicht alles gleich wegwirft, aber da übertreibt sie wieder, die alles besser wissende Journaille. Denn abgelaufene Arzneimittel sind kein Joghurt mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum. Um beurteilen zu können, ob man ein Arzneimittel mit überschrittenem Verwendbarkeitsdatum noch einnehmen kann, braucht es ein Pharmaziestudium und/oder detaillierte Herstellerinfos und/oder ein IR-Spektrometer und Gaschromatographen. Mein liebes Tagebuch, sollte da nicht von Apothekerseite eine Gegendarstellung kommen?

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat kein Problem damit, wenn eine inländische Apotheke Arzneimittel, die sie aus Ungarn bezieht, mit einer Rechnung der ungarischen Apotheke an Kunden abgibt. Super, damit ist ein weiteres Mal das Pick-up-Modell abgesegnet. Und so irre ist dieses Modell, das hier zur Verhandlung stand: Kunden der bayerischen Apotheke bestellten Medikamente bei der „Europa-Apotheke“ in Budapest. Die Kunden konnten die bestellten Arzneimittel in „ihrer“ Apotheke in Freilassing abholen – mitsamt Rechnung aus Ungarn, aber mit Beratung und Prüfung der Arzneimittel in der Apotheke vor Ort. Die Arzneimittel hatte die Apothekerin selbst über Großhandlungen geordert und an die ungarische Apotheke liefern lassen. Von dort kamen sie dann wieder zurück an die deutschen Kunden, denen für den Bezug über Ungarn Preisvorteile gewährt wurden. Die Apothekerin zog ihren Vorteil daraus, dass sie selbst als Großhändlerin tätig war. Mein liebes Tagebuch, so was können sich nur Apothekers ausdenken, oder? Immerhin, die Kooperation mit der ungarischen Apotheke ist mittlerweile eingestellt.

21. November 2013

Draußen vom Wald, da komm ich her, ich muss Euch sagen, es wintert sehr. Ja, meine liebes Tagebuch, und was ist alljährlich im Winter? Ja, richtig: da kauft die Stiftung Warentest Erkältungsmittel in Apotheken ein und findet heraus, dass die Apotheken nur auf den Profit aus sind, dass die acht meist verkauften Kombis nur wirkungslose, wenig hilfreiche, teuere, fragwürdige oder sogar riskante Arzneimittel sind und dass Apotheken wenig oder nicht beraten. Alle Jahre wieder. Und der Pharmazieprofessor Glaeske weiß alles besser. Er weiß, dass Apotheken schon im Sommer Erkältungsprodukte zu günstigen Einkaufskonditionen ordern mit Rechnungsrabatten zwischen 15 und 20 Prozent. Dabei hätten sich die Tester doch so sehr gewünscht, dass die Apotheke auf allgemeingültige Hausmittel hinweist wie ausreichend trinken, kühle Wadenwickel machen, viel ruhen – und ab diesem Jahr bitte auch das lauwarme Bier des unparteiischen G-BA-Vorsitzenden Josef Hecken empfehlen! Ach ja, mein liebes Tagebuch, nur so könnten die lieben Apothekers bei der Stiftung Warentest und ihrem  Adlatus Glaeske punkten: keine zugelassenen Erkältungsmittel verkaufen, Flyer mit Hausmittelempfehlungen abgeben und in Armut schließen. Dann bis zum nächsten Herbst/Winter 2014.

Auftakt zur Leitbilddebatte auch in Kiel. Andreas Kiefer, der BAK-Präsident, war froh, dass die Leitbildvorstellungen auf dem Apothekertag noch schwammig waren. So wurden die Apotheker wenigstens nicht überfahren. Ohgottohgott, so weit wollte doch wirklich keiner gehen, Herr Kiefer! Apotheker überfahren – wo kämen wir dahin. Aber jetzt geht es ja los: „Nur wenn man aufbricht, kann man ankommen“, weiß Kiefer. Aha. Und er sprach davon, dass er „keinen Einheitsbrei“ will, dass „die Apotheker die Sparfüchse in der GKV sind“ und „die Apotheker nicht die barmherzigen Samariter der Nation sind“. Und er meinte auch: Ein besseres Schnäppchen könne die GKV nicht machen, als die Apotheker für das Sparen zu bezahlen. Das ist ein echter Kiefer. Mein liebes Tagebuch, was wir uns merken: Apotheker sind die Schnäppchen für die GKV.

22. November 2013

Die Koalitionsverhandlungen laufen und laufen. Täglich neue Wasserstandsmeldungen. Finanzierungsfragen stehen im Mittelpunkt, zum Glück nicht die Apotheken. Und ein neuer Minister, eine neue Ministerin, die ihre Badesachen auspacken und ins Haifischbecken des Gesundheitswesens springen wollen, ist noch nicht in Sicht – gleichwohl das Geschachere und Gerangel backstage schon im Gange ist. In der nächsten Woche wissen wir vermutlich mehr, dann soll die Ministerriege stehen.

23. November 2013

Und, mein liebes Tagebuch, noch einen Gugelhupf zum Wochenende (für alle nördlich der Mainlinie: Gugelhupf ist ein Hefekuchen mit Rosinen und manchmal auch mit Kakao, gebacken in einer hohen Kranzform mit kaminartiger Öffnung in der Mitte; ist einfach, schmeckt lecker). Unser Gugelhupf: Der Tarifvertrag für Apotheken erfüllt die Mindestlohnbedingungen von 8 Euro 50. Das lassen wir mal so stehen.

Und wir fügen das Wort des Jahres, gewählt vom Oxford English Dictionary, in unseren Wortschatz: „Selfie“. 2002 ist das Wort zum ersten Mal in einem Blog aufgetaucht. Und heute hat fast jeder, der ein Smartphone hat, schon mal ein Selfie gemacht: ein Handyfoto von sich selbst. Selfies sind Fotos, Foto-Quickies, die Menschen von sich selber schießen und an andere verschicken. Mein liebes Tagebuch, bitte frag mich nicht, warum Menschen das machen. Vielleicht zeigt das Bild die Person, die sie am meisten lieben. Kennst du schon das ABDA-Selfie?


Peter Ditzel