Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

08.12.2013, 08:00 Uhr


Zweiter Advent. Draußen tobten Stürme. Und drinnen: tobt das pharmazeutische Tollhaus. Nullretax ist nun bundessozialgerichtlich abgesegnet. Zur Substitutionsausschlussliste gibt’s partout keine Einigung mit den Kassen. Ulla Schmidt wird von ihrem ehemaligen Abteilungsleiter gelobt („sie hat was bewegt“). Dedendo ist pleite. Die Kassen schwimmen im Geld – dank über zwei Milliarden Einsparungen durch Rabattarzneimittel. Drohnen machen Botendienste. Die Brandenburger ApBetrO-Anträge sind demokratisch beerdigt. Und der NNF verschickt „Verpflichtungsbescheide“. Mein liebes Tagebuch, in welcher Welt leben wir eigentlich?

2. Dezember 2013

Versandapotheken im Test. Die Deutsche Gesellschaft für Verbraucherstudien hat sich in Kooperation mit N24 zwölf bekannte Versender genauer angeschaut. Gesamtsieger wurde apotal.de, dahinter folgen besamex.de und lysano.de. Bei den Preisen war keine Apotheke immer die günstigste. Genau hinschauen müssen Verbraucher auch, ab welchem Einkaufswert versandkostenfrei geliefert wird. Große Unterschiede waren bei der Benutzerfreundlichkeit festzustellen – da besteht bei einigen Anbietern Nachholbedarf. Beim Lieferservice besteht laut Test der größte Verbesserungsbedarf. Eine Express-Lieferung gegen Aufpreis bot beispielsweise nur eine der getesteten Kandidatinnen. Immerhin, bei Kundenanfragen per E-Mail erhielten die Tester verständliche Antworten, die telefonisch gestellten Anfragen dagegen wurden weniger ausführlich beantwortet. Tja, mein liebes Tagebuch, was können wir letztlich einem solchen „Test“ entnehmen? Es gibt solche und solche. Ach ja, und auf dem letztem Platz landete die DocMorris-Versandapo.

Das ist der Aufreger der Woche: Gibt ein Apotheker ohne weitere Angabe von Gründen ein Nicht-Rabattarzneimittel an einen gesetzlich Versicherten ab, obwohl dessen Krankenkasse einen Rabattvertrag über den Wirkstoff abgeschlossen hat, so kann die Kasse ihn auf Null retaxieren. Dieses Urteil des Bundessozialgerichts erging bereits im Juli, jetzt liegen die Urteilsgründe dafür vor. Und da zurrt das Gericht seine Entscheidung so richtig fest. Wenn der Apotheker kein Rabattarzneimittel abgibt, obwohl er dies müsste, erfüllt er nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht, er missachtet das Substitutionsgebot für „Aut-idem“-verordnete Rabattarzneimittel. Und damit ist ein Vergütungsanspruch ausgeschlossen. Für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben muss die Krankenkasse nicht zahlen. Und der Versicherte hat im Übrigen auch keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß des Substitutionsgebots. Basta. Klare Worte. Das abgegebene Nicht-Rabattarzneimittel wird also nicht anteilig verrechnet. Nein, die Apotheke bekommt für das abgegebene Arzneimittel nichts. Die Nullretaxation ist in diesen Fällen zulässig.

Der Deutsche Apothekerverband will sich nun die Urteilsgründe sehr genau ansehen und die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde prüfen. Voraussetzung der Verfassungsbeschwerde ist, dass Grundrechte der Apotheker verletzt sind. Fällt die Prüfung positiv aus, wird Verfassungsbeschwerde eingelegt. Recht so. Mein liebes Tagebuch, wir dürfen uns nicht immer alles gefallen lassen.

Geht schon lustig zu, auf dem Kooperationsmarkt. Aus grün-weißen DocMorris-Apotheken werden wohl seegrüne Lloyds-Apotheken. Und aus gelb-blauen Vivesco-Apotheken könnten möglicherweise grüne Alphega-Apotheken entstehen. Darüber denkt möglicherweise Alliance Boots, der Betreiber der beiden Kooperationen Vivesco und Alphega nach. Alphega ist die Kooperationsmarke von Alliance Boots in anderen Ländern. Warum alles auf eine Vereinheitlichung in Richtung Alphega zuläuft, wird nicht so ganz klar. Nur so viel: Alphega soll eine europaweite, internationale Marke werden, heißt es. Es hat also nichts mit den Farben gelb und blau zu tun, die auf eine weniger erfolgreiche  Partei hinweisen könnten. Ob in Deutschland der Name Alphega gut funktioniert? Es soll jedenfalls keine Entscheidung gegen die Vivesco-Apotheker geben. Ja, da hat so mancher gerade seine Apotheke zu einem schönen leuchtend gelben Vivesco-Flagship-Store umgebaut – und dann müsste der Laden auf alphega-Grün umgepinselt werden? Ja, ja, mein liebes Tagebuch, so ticken Großkonzerne.

3. Dezember 2013

Blick ins neue Jahr: Wir wird’s den Apotheken gehen? Die Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover sieht eine schwarze oder rote Null für 2014, je nach Apothekentyp und Nachtdiensthonoraren. Fakt ist: Schon in diesem Jahr hat sich mit den im Durchschnitt gestiegenen Umsätzen, Rohgewinnen und Betriebsergebnissen der Apotheken die Marktspreizung weiter vergrößert. Die Schere ging weiter auseinander. Dieser Trend wird sich wohl fortsetzen. Größere Apotheken, die  sich engagieren, die das Potenzial haben, etwas zu bewegen, werden weiter wachsen. Kleinere Apotheken werden da kaum mithalten können. Interessant wird, wie sich die Konditionen des Großhandels in 2014 entwickeln werden.

Wie geht’s mit Celesio weiter? Wer wird dort in Zukunft das Sagen haben? Mein liebes Tagebuch, da wird – kurz vor Weihnachten – wohl nur ein Blick in die Sterne Auskunft geben können. Der Finanzinvestor Paul Singer hält über seinen auf den Cayman Islands ansässigen Hedgefonds Elliott mittlerweile 25,16 Prozent der Stimmrechte an Celesio. Für den potenziellen neuen Eigentümer von Celesio, dem US-amerikanischen Großhändler McKesson, ist das ein Dorn im Auge, zumal er eine Übernahme an die Bedingung geknüpft hat, 75 Prozent der Celesio-Anteile erwerben zu wollen. Wie schnell doch große Unternehmen wie Celesio auf den Finanzmärkten zwischen die Räder kommen können. Irgendwie sind das nicht unbedingt die besten Vorzeichen für ein Unternehmen, oder?

Es geht nur um eine kleine Liste. Und die ist nicht mal besonders aufwendig. Auf der Liste sollen die Arzneimittel stehen, die von einer Substitution ausgeschlossen sein sollen. Deswegen hat die Liste auch den schönen deutschen Namen „Substitutionsausschlussliste“. Um diese Liste streiten sich nun schon seit mehreren Monaten der Deutsche Apothekerverband (DAV), der einen solche Liste aufgestellt hat, und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung, der mit dieser Liste in der vorliegenden Form nicht einverstanden ist. Aber das Bundesgesundheitsministerium will eine solche Liste. Ob man sie nun definitiv braucht oder nicht (immerhin gibt es ja die „pharmazeutischen Bedenken und die Ziffer 6). Selbst eine Schiedsstelle konnte keine Einigung herbeiführen. Kommt es zu einer GroKo (Großen Koalition), wollen die Regierungsparteien dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), sprich dem Altmeister Josef Hecken, auftragen, eine solche Liste von Arzneimitteln zu erstellen, die im Rahmen von Rabattverträgen nicht ausgetauscht werden dürfen. Mein liebes Tagebuch, langsam wird’s abstrus, oder?

4. Dezember 2013

Auch Große spielen gerne Kasperletheater! Mein liebes Tagebuch, da kann ich mir ein Schmunzeln doch nicht unterdrücken. Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin von 2001 bis 2009, erhält den „Deutschen Qualitätspreis Gesundheit 2013“. Verliehen wurde der Preis vom Verein Gesundheitsstadt Berlin und dem Tagesspiegel. Die Laudatio hielt Franz Knieps, der von 2003 bis 2009 Abteilungsleiter im BMG und einer der engsten Mitarbeiter von Schmidt war – manche sagen sogar, er sei die graue Eminenz gewesen. Knieps konnte so im Hintergrund wesentlich die Fäden der Schmidtschen Gesundheitspolitik ziehen. Also, auf einen Nenner gebracht: Knieps lobt Schmidt, weil sie etwas in der Gesundheitspolitik bewegt habe (oder: weil sie seine Eingebungen umgesetzt hat?). Schon nett, gell, mein liebes Tagebuch, wenn ein ehemaliger Mitarbeit seine frühere Chefin lobt. Und Schmidt meinte auf dieser Veranstaltung: Sie hätte nie gedacht, einmal für ihre Arbeit mit einem Qualitätspreis ausgezeichnet zu werden. Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Weil sie etwas „bewegt“ hat! Wie schrieb ein Kommentator auf DAZ.online: Wer eine Abrissbirne betätigt, bewegt auch was.

Oberlandesgericht Stuttgart: Zugaben im Wert von über einem Euro sind auch bei Arzneimitteln, die der Preisbindung nicht unterliegen, unzulässig. Dabei kommt es nicht mal so sehr auf den tatsächlichen Preis an, sondern auf den, den der Kunde der Zugabe beimisst. Mal ehrlich, liebes Tagebuch, solange Apotheken sich bemüßigt fühlen, Zugaben zu verschenken, solange werden Apotheken von der Gesellschaft und der Politik nicht als heilberuflich eingestuft. Ich glaub’s ja, dass der eine oder andere die Zugaben gerne einsparen würde, aber „die Konkurrenz macht’s auch und die Leute wollen das“  – heißt es dann immer. Mag sein. Aber vielleicht kann man dieses ungeschriebene Gesetz mal durchbrechen und mit Freundlichkeit, Beratung und Service punkten? Geht nicht gibt’s nicht.

5. Dezember 2013

Das war’s dann wohl für Dedendo. Die Lieferdienst-Plattform der Vivesco-Apothekenkooperation hat Insolvenzantrag gestellt. Der Grund für die finanziellen Schwierigkeiten: Die an diesem Projekt beteiligte Privatsender-Gruppe ProSiebenSat1 ist im Juli ausgestiegen. Die Sender sollten das Lieferdienstprojekt der beteiligten Apotheken bekannt machen. Aber ohne Werbung beim Verbraucher – das haben Vivesco-Leute dann sehr schnell gesehen –, lässt sich ein solches Portal nicht aufbauen. Zur Erinnerung: Mit dieser Plattform sollte die inhabergeführte Apotheke gegenüber dem Versandhandel wettbewerbsfähig gemacht werden. Der Kunde sollte auf der Dedendo-Plattform bestellen, die Bestellung dann von der nächstgelegenen Apotheke, die mitmacht, geliefert werden. War alles gut gemeint, aber im Detail schlecht gemacht. Und für die Apotheke mit Unfreiheiten und zu viel Kosten verbunden. Ja, mein liebes Tagebuch, das war dann wohl der berühmte Satz mit x.

Krankenkasse müsste man sein. Aus dieser Ecke hört man nur noch schwarze Zahlen: Immer mehr Einsparungen durch Rabattverträge! Im ersten bis dritten Quartal 2013 waren es über zwei Milliarden Euro! Die Rabattverträge, ein Erfolgsmodell. Mein liebes Tagebuch, da soll niemand mehr glauben, dass die Kassen das aus der Hand geben werden. Und wenn die Patienten, die Apotheken, die Generikahersteller noch so klagen: Die Rabattverträge werden wohl nicht mehr abgeschafft. Es sein denn, die indischen und chinesischen Lohnhersteller schalten ihre Tablettenpressen ab. Oder der Nachschub rollt aus irgendwelchen anderen Gründen nicht mehr. So ein paar Lieferschwierigkeiten, mein Gott, da sollen sich die Apotheker mal nicht so anstellen.

Noch ‘ne Meldung der Krankenkassen: Sie erzielten in den ersten neun Monaten dieses Jahres einen Überschuss von 1,47 Milliarden Euro. Und das trotz Abschaffung der Praxisgebühr und der Extra-Vergütung des Apotheken-Notdienstes (äh, aber bekommen haben wir noch nichts!). Und es gibt Finanzreserven der Kassen und des Gesundheitsfonds: rund 27, 6 Milliarden sollen das sein. Krankenkassen – die neuen Sparkassen.

6. Dezember 2013

Mein liebes Tagebuch, Apothekenbus war gestern. Heute gehen wir in die Luft. Wie jetzt zu vernehmen war, sollen die ersten Tests anlaufen für eine Arzneimittelzustellung per Drohne. Angestellte der Deutschen Post DHL können sich von einer nahegelegenen Apotheke Erkältungspräparate in die Bonner Unternehmenszentrale bestellen – die Lieferung erfolgt per DHL-Paketkopter (so heißt die Wortneuschöpfung aus Paket und Helikopter).

Mein liebes Tagebuch, ich denke, man muss sich das so vorstellen: Das sind so Drohnen-ähnliche Flugobjekte, wie es sie bereits als Spielzeug gibt (liegt sicher als Geschenk unter vielen Apotheker-Weihnachtsbäumen, gell?), nur ein bisschen größer. Unter die Drohne wird das Päckchen geschnallt ­– und ab die Post. Gesteuert wird das unbemannte Flugobjekt vermutlich über PCs, GPS oder ähnliches. Apothekerinnen und Apotheker, die in Zukunft Botendienste ausführen wollen, sollten – der Wettbewerbsfähigkeit wegen – schon mal einen Drohnenführerschein und eine Fluglizenz erwerben (gibt’s dann selbstverständlich zu Super-Konditionen bei der neuen ABDA-eigenen Präqualifizierungsstelle). Und die ABDA-Mitgliederversammlung wird sicher ruckzuck – unter besonderer Berücksichtigung und Beteiligung der Brandenburger Apothekerinnen und Apotheker (Flächenstaat) – einen Erweiterungsantrag zur Apothekenbetriebsordnung stellen, ob und inwieweit auch eine PTA eine Drohnenlizenz bekommen kann. Und dass wir dann die Drohne nur im begründeten Einzelfall steigen lassen, gell? Oh, sind wir wieder böse.

Apropos Brandenburger Anträge. Das war’s dann wohl mit den Anträgen zur Apothekenbetriebsordnung. Diese Anträge werden größtenteils nicht weiterverfolgt. Für diese Vorgehensweise votierte die ABDA-Mitgliederversammlung entsprechend den Beschlussempfehlungen des geschäftsführenden Vorstandes der Bundesapothekerkammer. Lediglich drei Punkte (Barrierefreiheit, Befüllung von Schmerzpumpen durch Apotheken und die Notfallliste) werden – zum Teil in modifizierter Form – weiterhin ein Thema bleiben. Ja, so schnell kann’s gehen in der Demokratie: Der geschäftsführende Vorstand hatte die Beschlussempfehlungen für die Mitgliederversammlung vorbereitet  und die ist den Empfehlungen – wen wundert’s – brav gefolgt. Ach ABDA, dafür lieben wir Dich! Du kannst manchmal so erfrischend unkompliziert sein: ruck, zuck, zick, zack, klickeradoms und aus die Maus. Selbstverständlich ging alles mit rechten Dingen zu. Man habe ausführlich diskutiert, Brandenburgs Kammerpräsident durfte in alle Themen einführen, es gab viele Diskussionsbeiträge ohne Zeitbeschränkung. Ist ja niedlich, mein liebes Tagebuch, dass unser ABDA-Präsident diese Selbstverständlichkeiten so betont. (Warum er das wohl tut?) Der über Monate laufende Prozess sei so zu einem guten und angemessenen Ende gebracht – das müssten, so Schmidt, die Antragsteller auch so sehen. Na  klar sehen die das so, oder? Ho ho ho!

Der NNF, also der Nacht- und Notdienstfonds, arbeitet. Und wie! Wie eine Oberbehörde. Jedenfalls hat er schon perfekt den Bürokraten-Sprech drauf. Da wird den Apotheken mitgeteilt, dass ein „Verpflichtungsbescheid“ ergeht,  der „den abzuführenden Betrag für das Quartal 01.08 – 30.09.2013 zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken festsetzt“. Es folgt ein Sachbericht mit der Auflistung der abgegeben Rx-Packungen und der per Selbsterklärung gemeldeten Packungen plus Begründung, dann die Berechnung und die Zahlungsfrist, die „bis zum 11.12.2013 erforderlich und angemessen ist“. Ui ui ui, mein lieber Scholli, dieser Ton klingt nach längst vergangenen Zeiten. „Verpflichtungsbescheide“ – irgendwie stammen die aus einer Zeit, an die wir uns wirklich nicht mehr gerne erinnern. Hätte man da nicht bei der Wortwahl und Gestaltung ein wenig sensibler vorgehen können? Auch wenn § 19 des Apothekengesetzes in diesem Zusammenhang von „Verpflichtungen“ spricht – mein liebes Tagebuch, man hätte dem Kind auch einen anderen Namen geben können.


Peter Ditzel


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