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Die letzte Woche
Mein liebes Tagebuch
Karneval in Deutschland. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll ohne erkennbaren pharmazeutischen Sachverstand eine Substitutionsausschlussliste erstellen. Die ABDA feiert das erfolgreiche Ende der Online-Leitbilddebatte. DocMorris will mit einem Bildtelefon ans Patientensofa. Die Lieferengpässe nehmen zu und nur die Linken interessiert’s. Und Glaeske meint, dass Arzneimittel auch andere als der Apotheker verkaufen können, und möchte, dass der Apotheker für seine Beratung bezahlt wird: je besser er berät, umso mehr gibt’s von der Kasse in die Kasse. Mein liebes Tagebuch, das war ein närrisches Treiben in der vergangenen Woche.
24. Februar 2014
Das deutsche Ringen um eine Freigabe der „Pille danach“ könnte schon bald Schnee von gestern sein. Der europäischen Arzneimittelbehörde EMA liegt ein Antrag vor, das Präparat „ellaOne“ EU-weit freizugeben. Da die EMA ellaOne europaweit zugelassen hat, kann sie auch über eine europaweite Freigabe entscheiden. Mein liebes Tagebuch, da sähen dann Gröhe, Spahn, Montgomery und Kaplan alt aus. Die EU-Rechtsnorm, die aus der EMA-Empfehlung resultiert, würde dann automatisch in allen europäischen Ländern gelten. Auch wenn Deutschland dann meinen sollte, dass nationale Rechtsvorschriften, die den Verkauf von empfängnisverhütenden Arzneimitteln verbieten, von den EU-Vorschriften unberührt blieben – der europäische Druck wäre da. Und die Erklärungsnot, warum das Präparat ausgerechnet in Deutschland nicht rezeptfrei sein dürfte.
Deutscher Apothekerverband und GKV-Spitzenverband konnten sich nicht auf eine Substitutionsausschlussliste einigen. In Zukunft soll’s nun der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) richten und die Wirkstoffe festlegen, die nicht in jedem Fall bedenkenlos ausgetauscht werden dürfen. Die pharmazeutische Fachwelt ist – zu Recht – entsetzt, denn, mal vorsichtig formuliert, mein liebes Tagebuch: der pharmazeutische Sachverstand, der das leisten könnte, ist beim G-BA nicht zu sehen. Die ersten bekannt gewordenen Kriterien, nach denen man vorgehen wolle, waren mehr als ernüchternd. Jetzt steigt die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft in die Diskussion ein und legt ihre überarbeitete Leitlinie zur „Guten Substitutionspraxis“ (GSP) vor. Die Leitlinie ist genau das, was wir brauchen. Und wer einen Austausch wegen pharmazeutischer Bedenken ablehnt, kann hier Unterstützung finden. Die Autoren der Leitlinie hoffen nun, dass der G-BA ihre Empfehlungen als Grundlage für seine Arbeit heranzieht, welche Präparate ausgetauscht werden dürfen und welche auf keinen Fall. Mein liebes Tagebuch, das hoffen wir auch.
Das offizielle ABDA-Fazit zur Leitbilddebatte: „Für das ‚Leitbild zur Weiterentwicklung der öffentlichen Apotheke in Deutschland’ wurde eine dreiwöchige Online-Debatte erfolgreich beendet.“ Hallo, geht’s noch? Meinen wir dieselbe Online-Leitbilddebatte? Die, die mit den unsäglichen technischen Pannen begann und bei der schlussendlich nur 1800 Einträge gepostet wurden? Ne, ne, ne, liebe ABDA, ein bisschen mehr Offenheit wäre angebracht und würde den „Erfolg“ der Leitbild-Diskussion in keiner Weise schmälern. Mein liebes Tagebuch, warum kann die ABDA nicht zugeben, dass man sich eine inhaltsschwerere Debatte und eine mit höherer Beteiligung gewünscht hätte? Sich etwas schön reden, bringt doch nichts.
25. Februar 2014
DocMorris, die schon wieder. Nachdem der Bus in die Garage gefahren wurde, holen sie jetzt das Bildschirm-Telefon raus, stellen es Oma Kowalski nebens Sofa und sagen ihr: Da erscheint Dir Dein Apotheker. Boa, ey, echt cool, oder? Und in sachlich: Auf der Elektronik-Messe Cebit stellen DocMorris und die Telekom am 11. März ein Gemeinschaftsprojekt vor, das die Live-Kommunikation mit und die Live-Beratung durch einen DocMorris-Apotheker per Internet-Livestream ermöglichen soll. Also, wir sind gespannt, welch revolutionäres Projekt das letztendlich sein wird. Andererseits, schon heute ist jeder Apotheke möglich, mit ihren Patienten übers Internet live in Kontakt zu treten, Skype wäre beispielsweise nur eine Variante davon. Apotheker und Kunde müssen es nur wollen. Aber will es Oma Kowalski, dass ihr Apotheker sie mit Lockenwickler in ihrem Wohnzimmer sieht?
Abgesehen davon, mein liebes Tagebuch, ist ja gut, dass der Markt immer weiter denkt und kreative Vorschläge macht. Warum eigentlich hat die ABDA keine Innovativ-Abteilung, die auch mal über den Tellerrand schaut und sich z. B. kreativ mit dem Einsatz neuer Medien für die Apotheke befasst? Warum kommen aus Berlin keine Vorschläge, wie man mithilfe von Internet, Social Media, Apps usw. die Arzneimittelversorgung sinnvoll unterstützen kann?
Die Lieferengpässe nehmen zu – und die Politik taucht ab? Ja, bis auf Die Linke, sie nimmt sich dieses Themas an und lässt nicht locker. In einer Kleinen Anfrage verlangt die Partei erneut Auskünfte von der Bundesregierung zum Thema Versorgungsengpässe. Warum interessieren sich die anderen Parteien nicht dafür? Das Thema schaffte es sogar, teils mit Apothekerunterstützung, in zahlreiche Medien. Der HAV-Vize Diefenbach sammelt fleißig Defektmeldungen von Kolleginnen und Kollegen. Warum hat dieses Thema eigentlich noch nicht die Jägerstraße erreicht? Warum läuft die ABDA nicht Sturm und prangert die unhaltbaren Zustände nicht öffentlich an?
26. Februar 2014
Er ist „fassungslos“: HAV-Vize Diefenbach. Fassungslos darüber, dass sich die Krankenkassen nicht von der Ausschreibung kritischer Rabattverträge abhalten lassen. Konkret: die aktuelle Ausschreibung der AOK Hessen für HPV-Impfstoffe. Diefenbach beklagt die Lieferengpässe, die es auch bei einigen Impfstoffen gibt, z. B. Varilrix, Priorix Tetra oder Boostrix Polio. Er fordert jetzt die Krankenkassen auf, bei Impfstoffen und anderen wichtigen Arzneimitteln die praktizierte Ausschreibungspraxis zu stoppen. Mein liebes Tagebuch, nochmal ernsthaft gefragt: warum kommt da keine Unterstützung aus Berlin?
27. Februar 2014
Gerd Glaeske ist wieder da. In einem Interview auf „Zeit online“ kritisiert er, dass es kein eigenständiges Honorarsystem für Apotheker gibt. Wenn Apotheker von einem Arzneimittel abrieten, verdienten sie nichts – und würden dem Kunden dann doch ein anderes Arzneimittel verkaufen. Und überhaupt, so der Bremer Gesundheitsökonom, spiele die Beratungsqualität keine Rolle in Deutschland. Nach seiner Auffassung wäre ein Pay-for-performance-System wie in den USA oder in Australien besser: „Denn den reinen Medikamentenverkauf können auch andere übernehmen.“
Angesichts von jährlich 300.000 Krankenhauseinweisungen wegen unerwünschter Wechselwirkungen schlägt Glaeske vor, dass der Apotheker die komplette Medikation qualifiziert überprüft.
Ja, mein liebes Tagebuch, so verkehrt liegt Herr Professor da nicht. Eine Bezahlung für die Beratung – wir werden wohl nicht umhin kommen, in diese Richtung weiterzudenken, auch vor dem Hintergrund eines Medikationsmanagements. Pay for performance (P4P) – man könnte auch leistungsorientierte Vergütung dazu sagen – ist schon in Großbritannien, in den USA und Australien verbreitet. Ziel von P4P ist vereinfacht ausgedrückt: Gute Beratungsqualität soll finanziell gefördert werden. In Deutschland beschäftigt man sich bereits seit einiger Zeit im ärztlichen Sektor damit. Auf Apotheken übertragen läuft das darauf hinaus: Wer anständig berät, soll mehr bekommen. D. h., es müssten Modelle gefunden werden, mit denen sich Beratungsqualität in der Apotheke messen lässt. Die Politik fordert schon seit einiger Zeit, dass hierzu Vorschläge der Apotheker kommen müssen.
Aber, mein liebes Tagebuch, in einem Punkt müssen wir Herrn Glaeske mal die Augen öffnen. Wenn er vorschlägt, dass der Apotheker die komplette Medikation qualifiziert überprüfen soll – ja, gerne, das machen wir. Wenn dann aber die Krankenkassen hinter dem Rücken der Apotheker Verträge über Wechselwirkungs-Checks mit den Ärzten abschließen und sie ordentlich dafür honorieren – dann sollte er mal bei den Kassen antichambrieren und sie auf die Apothekerspur setzen. Herr Glaeske, fangen Sie mal bei „Ihrer“ Barmer GEK an! Wir warten auf einen Vorschlag.
28. Februar 2014
Und das ist die Meldung zum Faschingswochenende: Alkohol hat immunmodulatorische und antiinflammatorische Eigenschaften. Das Erkrankungsrisiko soll bei Trinkern niedriger sein als bei Nichttrinkern. Sagt eine aktuelle schwedische Studie. Hallo, mein liebes Tagebuch, jetzt wissen wir, warum die Jecken in Düsseldorf, Köln und anderen Karnevalshochburgen Alkohol trinken: Sie stärken ihr Immunsystem und beugen Entzündungen vor, wenn sie an den Fastnachts- und Rosenmontagsumzügen teilnehmen. Also, Alkohol gegen Erkältung und rheumatische Beschwerden? Kaum, oder? Oh, das hätten wir beinahe vergessen: In der Studie stehen noch so kleine Attribute beim Alkohol dabei wie „moderat“ und „dosisabhängig“ und ... außerdem bezog sie sich auf MS-Patienten. War wohl doch nicht die richtige Studie zum Wochenende.
02.03.2014, 08:00 Uhr