Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

08.06.2014, 08:00 Uhr


Während wir Apothekers an unseren Perspektiven herumfummeln, artig Netzwerke knüpfen wollen, machen die Ärzte ihr Ding: Wir sind die Herren (und Damen) von AMTS, wir prüfen Neben- und Wechselwirkungen, beschließen sie auf dem Ärztetag. Na fein, mein liebes Tagebuch, ist unser Leitbildpapier für die Tonne? Von wegen! Jetzt erst recht. Aber ein bisschen schneller als bis 2030 dürft’s schon gehen. Und dann gibt es noch den Kampf gegen Null-Retax, gegen den Druck der Kassen. Auch im Angebot: noch nicht die Pidana, vielleicht aber Cialis als OTC? Da ist sich der Tag der Apotheke sicher: sicher is(st) sicher.

2. Juni 2014

So, jetzt wird es ernst. Sehr ernst sogar. Die Ärzte haben auf ihrem Deutschen Ärztetag keinen Zweifel daran gelassen, dass die Arzneimitteltherapiesicherheitsprüfung „eine genuin ärztliche Aufgabe“ sei. Arzneimittelneben- und -wechselwirkungen zu prüfen, gehöre zu den ärztlichen Aufgaben. „Ausschließlich Haus-, Fach- und Klinikärzte können entscheiden, ob ein Medikament mit einer Neben- oder Wechselwirkung – bereits heute in den Computersystemen der Arztpraxen angezeigt – nach Abwägung der medizinischen Behandlungsnotwendigkeit trotzdem eingenommen oder ausgetauscht werden muss“ – heißt es in einer Entschließung. Mein liebes Tagebuch, das kann man als Apotheker als Kriegserklärung auffassen. Im Vergleich zur Ausbildung der Apotheker in Pharmakologie und Klinischer Pharmazie lernen Ärzte eine Schmalspur-Pharmakologie. Sie klammern sich an das, was ihre Computersysteme anzeigen, ohne Hintergründe zu kennen. Keiner kennt sich mit Neben- und Wechselwirkungen besser aus als die Apotheker. Und wenn Ärzte meinen, ein Computercheck auf Neben- und Wechselwirkungen sei Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS), dann wird es allerhöchste Zeit, dass verbindliche Definitionen geschaffen werden, was unter AMTS zu verstehen ist. Und es muss klar werden: AMTS ist nicht der Software-Check auf Unverträglichkeiten, Neben- und Wechselwirkungen. AMTS braucht tiefe Fachkenntnisse, Zeit und macht Arbeit.

Natürlich muss man sich fragen, was Ärzte dazu bringt, sich um genuin apothekerliche Aufgaben kümmern zu wollen. Darauf gibt es nur eine Antwort: Geld. Der Ärztetag wittert wohl eine neue Ziffer in der Gebührenordnung der Ärzte. Also, mein liebes Tagebuch, ich hoffe, in der Berliner Jägerstraße schrillen die Alarmglocken. Wenn diese Diskussion um AMTS, um Medikationsmanagement und mehr jetzt falsch läuft, können wir unser neues Berufsbild einstampfen. Und dann bleiben wir Logistiker und Schächtelesverkäufer.

Die ABDA will mehr Personal – das geht aus der Haushaltsaufstellung für das Jahr 2015 hervor. Soll sie sich genehmigen, mein liebes Tagebuch, wenn, ja wenn es dazu dient, dass wir in Berlin eine tolle Mannschaft mit klugen Köpfen haben, die mit kreativen Ideen und überzeugenden Argumenten die Zukunft unseres Berufes sichern. Und die über die notwendigen Kontakte in die Politik, zu den Ärzten, zu den Krankenkassen verfügen, um den Apotheker im zukünftigen Gesundheitswesen fest zu verankern. Hört sich fast schon banal an, ist aber so: Heute wird entschieden, welchen Platz im Gesundheitswesen wir morgen besetzen. Siehe den vorherigen Eintrag ins Tagebuch.

3. Juni 2014

Eine Panne beim Nacht- und Notdienstfonds (NNF): Etwa 1000 Apotheken erhielten Ende Mai einen Bescheid, dass ihre bereits im 4. Quartal 2013 abgerechneten PKV-RX-Meldungen noch einmal für das 1. Quartal 2014 erfasst worden seien. Ein IT-Fehler sei daran schuld gewesen. Aber, alles noch mal gut gegangen: Fehler behoben, Abrechnungen korrigiert, ein wirtschaftlicher Schaden für die Apotheken sei nicht entstanden. Und NNF-Chef Gurski versichert: Die Panne soll nicht wieder auftreten.

Vorsicht bei Rezepten, auf denen handschriftliche Änderungen angebracht wurden! Das kann zu Retaxationen führen. Denn handschriftliche Zusätze könnten gefälscht sein, vom Patienten hinzugefügt worden sein, z. B. die Mengenangaben oder die Zuzahlungsbefreiung. Kassen rechnen solche Rezepte nicht ab, die Apotheke hat das Nachsehen. Die Saarbrücker Zeitung berichtete über einen Fall, bei dem der Arzt die Mengenangabe auf einem Rezept handschriftlich ergänzte und die Apotheke dieses Rezept nicht belieferte, da dies der Patient selbst hätte hinzufügen können. Stimmt. Wie will man das als Apotheke erkennen?  Also, wenn Ärzte handschriftlich Änderungen anbringen, dann müssen sie die Echtheit der Angabe mit Stempel und Unterschrift bestätigen – oder sie sollten am besten ein neues Rezept ausstellen. So viel Zeit sollte sein.

4. Juni 2014

Es bleibt spannend: das Thema „Pille danach“ ist nicht vom Tisch – und das ist gut so. Die Bundestagsfraktion Die Linke sorgt weiterhin dafür, dass sich die Bundesregierung damit befassen muss. Sie fordert die Bundesregierung jetzt in einem neuen Antrag auf, der Forderung des Bundesrats zu entsprechen, die Abgabe des Notfallkontrazeptivums ohne ärztliche Verschreibung in Apotheken zu ermöglichen. Da wird unser Gesundheitsminister Gröhe mit seiner ablehnenden Haltung nicht so schnell Ruhe bekommen. Am 2. Juli soll zu diesem Antrag der Linksfraktion sowie einem ähnlichen Antrag der Grünen eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags stattfinden. Mein liebes Tagebuch, die Antihaltung von Gröhe ist ja auch nicht nachzuvollziehen. Ich habe mich erst in der letzten Woche mit dem Österreichischen Kammerpräsidenten über dieses Thema unterhalten. Er konnte dieses deutsche Hickhack um die „Pille danach“ überhaupt nicht verstehen. In Österreich wird dieses Präparat schon lange vom Apotheker über die Tara verkauft. Missbrauch ist nicht zu sehen. Ach ja, in Österreich gibt es zudem auch einen Notfallparagraphen: Wenn ein Patient im begründeten Notfall ein Arzneimittel dringend braucht, dann darf es der Apotheker auch ohne Rezept abgeben. Ja, ja, die Österreicher, pragmatisch sind sie.

5. Juni 2014

An diesem Tag war „Tag der Apotheke“. Das Motto: „Sicher is(s)t sicher“, Infos zum Thema Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Lebensmitteln. Ein Fünftel der Apotheken soll sich daran beteiligt haben, wenn man davon ausgeht, dass die Apotheken, die die Plakate dafür angefordert haben, sich auch daran beteiligten. Es war „Tag der Apotheke“. Und, mein liebes Tagebuch, hat’s jemand gemerkt? Ging die große Beratungswelle zu Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln durchs Land? Hatte die Kampagne ein durchschlagendes Medienecho? Warum hatten nur 4000 Apotheken Plakate bestellt? Wollen die andern nicht? Das sind nur so Fragen, die ich mir stelle.

Resolution gegen Null-Retaxation – die Zweite. Nach einer auf dem Fortbildungskongress Pharmacon in Meran verabschiedeten Resolution gegen das unsägliche Vorgehen von Krankenkassen, wegen kleinster Formfehler Rezepte nicht zu erstatten, haben jetzt auch die Delegierten des Apothekerverbands Nordrhein eine Resolution gegen Null-Retaxationen verabschiedet. Sie fordern die Bundesregierung auf, „durch eine Gesetzesänderung die Möglichkeit von Null-Retaxationen einzuschränken“. Eigentlich, mein liebes Tagebuch, könnte auf der Delegiertenversammlung eines jeden Verbandes eine solche Resolution verabschiedet werden – wenn’s denn hilft. Noch wichtiger sind jetzt die Kontakte zu den Politikern. Die CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn und Michael Hennrich hatten doch bereits signalisiert, dass solche Retaxationen ein Unding sind. Wo bleiben die Taten?

Pfizer hatte es vor ein paar Jahren nicht geschafft, sein Viagra aus der Verschreibungspflicht zu holen, um es als OTC zu vermarkten. Jetzt wollen es E. Lilly und Sanofi mit Cialis versuchen. Und weil das Präparat eine zentrale europäische Zulassung hat, könnte es, sollte der Coup gelingen, in allen EU-Ländern als OTC über den HV-Tisch der Apotheken gehen. Interessante Perspektiven.

Das wird Auswirkungen zeigen: die vom Bundestag beschlossene Krankenkassen-Reform (Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung ­– GKV-FQWG). Der Beitragssatz sinkt für die Versicherten ab dem nächsten Jahr von 15,5 auf 14,6 Prozent und bleibt festgeschrieben. Wenn Kassen mehr Geld brauchen, dann können sie einkommensabhängige Zusatzbeiträge von ihren Versicherten erheben. Da kommt mächtig Wettbewerb ins System, man könnte auch sagen: Druck, so richtig Druck, mein liebes Tagebuch. Und weil man Druck nicht lange aushalten kann, wird er gerne weitergegeben. Zum Beispiel an den Arzneimittelmarkt und die Apotheken. Das Spiel wird also heißer werden: Rabattverträge, Retaxationen. Ach, wie war das doch gleich nochmal: Die Apotheker wollen eine höhere BtM-Gebühr, gerechte Rezepturarbeitspreise und eine kontinuierliche Anpassung des Apothekenhonorars?

6. Juni 2014

O.k., das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnt vor der Anwendung von MMS, dem „Miracle Mineral Supplement“, das als medizinisches Wundermittel Krebs, Malaria, chronische Infektionen und weitere Krankheiten heilen soll. Das Mittel enthält u. a. eine Natriumchlorit-Lösung, die in Verbindung mit Säure in Chlordioxid umgewandelt wird – Verätzungen, von Haut und Schleimhaut, Magen-Darmbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall sind nur einige von vielen schlimmen Folgen für die gutgläubigen Anwender. Aber, reicht es, wenn das BfArM warnt? Müsste da nicht eine breite Aufklärungsaktion von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums laufen? Ein Beitrag im Fernsehmagazin „Kontraste“ zeigte, dass der Vertreiber von MMS, der Amerikaner Jim Humble, sogar Kongresse abhalten darf, z. B. in Hannover, um sein MMS anzupreisen. Hier würde man sich wünschen, dass Behörden aktiv dagegen vorgehen.

Fertig! Na ja, fast fertig. Das Leitbild für die deutschen Apothekerinnen und Apotheker. Nur, es heißt jetzt nicht mehr Leitbild, sondern daraus ist „Apotheke 2030 – Perspektiven zur pharmazeutischen Versorgung in Deutschland“ geworden. Also eher ein Papier, das eine Perspektive geben will und weniger leiten, oder? Das Papier ist die Beschlussvorlage, die die ABDA den Delegierten und Mitgliedsorganisationen am 25. Juni 2014 vorlegen wird. Im Vergleich zum Leitbildentwurf wurden ein paar kleine Änderungen vorgenommen. Beispielsweise kommen in der Präambel die öffentlichen Apotheker nicht mehr als Fußnote vor, sondern unmittelbar. Ob es so vernünftig ist, die Jahreszahl 2030 so dominant herauszustellen? Fragt man die Macher des Papiers, weisen sie darauf hin, dass es ein Prozess ist, ein Weg, auf den sich die Apotheken begeben sollen. Aber das Datum suggeriert irgendwie: wir haben Zeit. Dumm nur, die haben wir nicht. Mein liebes Tagebuch, wenn die Ärzte gerade beschlossen haben, dass sie es sind, die AMTS machen, dass es ihre Aufgabe sei, dann kommen wir mit unserem Wegepapier bis 2030 ein bisschen zu spät. Und während wir uns brav und wie es sich gehört mit anderen Leistungserbringern vernetzen wollen, machen die Ärzte ihr Ding. Inniges Vernetzen mit den Apothekern – das habe ich von Ärzteseite noch nicht gehört.

Pfingsten ist’s, mein liebes Tagebuch, das Fest der Erleuchtung. Schön wär’s, wenn wir uns aussuchen könnten, wer erleuchtet werden soll. Da könnte uns schon was einfallen. Und wenn nicht, dann gibt’s ja noch den Pfingstochsen, die Pfingstrosen und den Pfingsttanz. Für alle ist da was dabei. In diesem Sinne: frohe Pfingsten!


Peter Ditzel