Kommentar zum Arzneimitteldiebstahl

Einfallstor

Stuttgart - 17.07.2014, 16:14 Uhr


Der einstmals so sichere deutsche Arzneimittelmarkt wurde in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren „aufgebrochen“, um ihn zu „liberalisieren“ und so Geld zu sparen. Die stark angestiegene Zahl gestohlener und/oder gefälschter Arzneimittel ist eine Folge dieser Deregulierung. Ein Kommentar von Benjamin Wessinger.

„Bislang galt es als nahezu unmöglich, gestohlene Arzneimittel innerhalb der EU zu vertreiben“, schreibt die „tageszeitung“ (taz) letzten Samstag in einem zweiseitigen Artikel über „die Pillenmafia“. Darin berichtet sie, wie die Zahl der Arzneimitteldiebstähle in Italien in den letzten Jahren rapide angestiegen ist – auf 155 im letzten Jahr, „ein Fall fast an jedem zweiten Tag“. Früher sei es um ein bisschen Botox gegangen, das dann in Schönheitssalons auftauchte, oder um Dopingmittel, wird ein italienischer Überwachungsbeamter zitiert. Aber nun habe die organisierte Kriminalität „einen Kanal“ gefunden, wie sie in großem Maßstab gestohlene und/oder gefälschte Arzneimittel auf den europäischen Markt werfen könne.

Dieser Kanal sei der Parallelhandel mit Arzneimitteln, auch und vor allem in Deutschland. Da die Apotheker als direkte Abnehmer gestohlener oder gefälschter Arzneimittel ausschieden – welcher Apotheker kaufe schon bei einem Anbieter, der nichts anderes als tausend Fläschchen Herceptin im Angebot habe – sei es für Kriminelle einfacher, sich des „Parallelvertriebs“ zu bedienen, so die These.

Die massive Ausweitung der Parallel- und Reimporte – im Zusammenspiel mit offenen Grenzen und drastischen Preisunterschieden zwischen den EU-Staaten – habe zu einem Arzneimittelmarkt geführt, in dem sich, wie es die taz formuliert, die organisierte Kriminalität „Verbündete sucht“, in dem es Zwischenhändler gibt, die „nicht so genau hinschauen wollen, woher die Ware wirklich stammt“ und in dem manche Großhändler „wie Broker“ agieren, die Ware kaufen und verkaufen, die sich nie physisch in ihrem Besitz befunden hat.

Das Einfallstor für Fälschungen, Hehlerware und Arzneimittel aus dubiosen Quellen wurde mit der „Liberalisierung“ des Arzneimittelmarkts aufgestoßen. Die Förderung von Parallel- und Reimporten, die Einführung der Rabattverträge, die Legalisierung des Versandhandels haben den einstmals so sicheren und verlässlichen Vertriebsweg von Arzneimitteln „aufgebrochen“. Die jüngsten Fälle zeigen in aller Klarheit, dass die Politik die Sicherheit in der Arzneimittelversorgung dem Spardiktat der gesetzlichen Krankenversicherung und der „Liberalisierung“ geopfert hat.


Dr. Benjamin Wessinger


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