Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

30.11.2014, 08:00 Uhr


Das „Brot- und Buttergeschäft“ darf beim Positionspapier nicht vergessen werden, sagt Jörn Graue. Haru Diefenbach sammelt wieder Defektlisten. Andreas Kiefer traut den Apothekerinnen und Apothekern zu, bei der Pille danach zu beraten. Das ist doch schon mal was. Aber, mein liebes Tagebuch, die Ärzte in Baden-Württemberg möchten im Notdienst dispensieren, die Kassen wollen den Apotheker nicht für Präventionsleistungen bezahlen, die Substitutionsaustauschliste schaltet pharmazeutische Bedenken aus und bei Forschungsprojekten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind Apotheker nicht dabei. Da fragt man sich dann doch: Nimmt man uns eigentlich richtig ernst?

24. November 2014

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg möchte, dass Ärzte vor allem im Rahmen von Notdiensten an Wochenenden und Feiertagen die Patienten hinreichend mit Medikamenten versorgen, bis sie am nächsten Werktag ihre reguläre Apotheke erreichen können. Im Klartext: Die Ärzte möchten in bestimmten Fällen selbst dispensieren, also Arzneimittel an Patienten verkaufen. Mein liebes Tagebuch, das geht gar nicht. Aus guten Gründen heraus hat der Gesetzgeber Verordnung und Verkauf von Arzneimitteln in verschiedene Hände gelegt. Und das muss zum Schutz der Patienten auch so bleiben. Wenn Ärzte darauf hinweisen, manchen Patienten seien lange Wege in die Notdienst-Apotheke nicht zuzumuten, dann muss man fragen dürfen, wie lang die Wege in die nächste Notfallpraxis eigentlich sind. Und man könnte eher darüber reden, ob man den Apotheken-Notdienst besser mit dem Dienst der Notfallpraxen abstimmt – dazu müssten die Ärzte allerdings bereits sein – oder ob man mehr Apotheken zum Notdienst verpflichtet. Warum können sich Ärzte und Apotheker beim Notdienst nicht besser absprechen?  Mit gesundem Menschenverstand betrachtet sollte das so schwer nicht sein. So ein Gerangel, wie es  zwischen den beiden Heilberufen immer wieder entsteht, ist doch wirklich überflüssig wie ein Kropf.

Die BILD-Zeitung fragte, warum Apotheker so oft sagten „Das muss ich leider erst bestellen“ – und ABDA-Sprecher Reiner Kern antwortete. Er verwies auf Lagerkosten, Rabattverträge, Großhandels-Lieferhäufigkeit und Botendienste. Alles richtig, da gibt’s nichts daran auszusetzen. Mein liebes Tagebuch, was Kern hier dem BILD-Leser erklärt, wäre durchaus auch mal einen Beitrag in anderen Zeitungen wert. Ich bin überzeugt, dass diese Zusammenhänge auch den Lesern von FAZ, Süddeutsche und Welt nicht immer klar sind. Wäre schön, wenn man deren Redaktionen für dieses Thema gewinnen könnte…

25. November 2014

Das sind dicke Bretter, die da gebohrt werden müssen: Die ABDA möchte, dass die Apothekerschaft ins Präventionsgesetz eingebunden wird und die Präventionsleistungen der Apotheken von den Kassen honoriert werden. Die Apotheken könnten beispielsweise elektronische Impfausweise ausgeben und führen, den Impfstatus überprüfen, Risiko-Tests und Blutuntersuchungen zum Diabetesrisiko durchführen oder Ernährungsberatung anbieten, alles als honorierte Kassenleistung – schlägt die ABDA vor. Die Kassen allerdings lehnen die Leistungshonorierung von Apotheken in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention generell ab, weil Apotheken eh zur Förderung der Gesundheit der Bevölkerung in besonderer Weise verpflichtet seien. Mein liebes Tagebuch, gibt es  eine Linie, auf der sich ABDA und Kassen treffen könnten? Sieht nicht danach aus. Genau betrachtet  geht’s da doch um eine Neu- und Zukunftsausrichtung der Apotheke und vor allem um die Frage: Will die Gesellschaft, will die Politik, dass die Apotheken nicht nur für die Abgabe der Arzneimittelpackung bezahlt, sondern auch für Gesundheitsleistungen honoriert wird. Und da sind wir wieder beim Perspektivpapier. Ja, wissen wir Apothekerinnen und Apotheker, was wir wollen?

Mein liebes Tagebuch, wenn wir dazu parallel die Diskussion verfolgen, die über die Rezeptur-Testkäufe der Kammern entbrannt ist oder über eine gewisse Verbindlichkeit der Fortbildungs-Dokumentation, dann können einem schon Bedenken kommen. Da fühlen sich einige kontrolliert, gegängelt und überwacht. Klar, schöner wär’s, man bräuchte das alles nicht. Würde man aber nicht versuchen, die schwarzen Schafe aufzuspüren, wäre dies doch gegenüber denjenigen, die korrekt arbeiten, nicht gerecht. Und vor allem: Gegenüber Patienten und Kunden ist es nicht vertretbar, dass Apotheken unzureichende Qualität abliefern. Vor diesem Hintergrund sind doch die Rezeptur- und Praxisüberprüfungen  in Apotheken, die beispielsweise die Kammer Rheinland-Pfalz durchführt, wichtig. Die Annahme von Rezepturen verweigern, schlechte Rezeptur-Qualität abliefern,  PKAs im Handverkauf beschäftigen – das kann’s nicht sein. Letztlich muss man vielleicht auch darüber nachdenken, dass Rezepturen nicht mehr von jeder Apotheke gemacht werden müssen. Die Apotheke, die im Monat zwei Rezepturen anfertigt, wird kaum die Qualität liefern wie eine Apotheke mit zehn Rezepturen täglich. Mein liebes Tagebuch, von welcher Apotheke würde ich als Kunde meine Rezepturen lieber anfertigen lassen?

Na, das ist doch – endlich – mal ein klares Wort von der BAK: Die Bundesapothekerkammer würde es begrüßen, wenn das Notfallkontrazeptivum ellaOne – wie von der Europäischen Zulassungsbehörde vorgesehen – rezeptfrei würde. Der BAK-Präsident Andreas Kiefer traut den Apothekerinnen und Apotheker zu, die Patientinnen in den Apotheken so zu beraten, dass eine größtmögliche Arzneimittelsicherheit gewährleistet ist. Die Apotheker können das, meint der BAK-Präsident. Mein liebes Tagebuch, die Kolleginnen und Kollegen in Frankreich, Holland, England und vielen anderen Ländern können das im Übrigen schon sehr lange…

Diefenbach und Defektlisten ist schon fast ein Synonym, mein liebes Tagebuch. Der HAV-Vize bittet erneut Apothekerinnen und Apotheker aus ganz Deutschland darum, ihm Defektlisten zu schicken: Er möchte Lieferengpässe von Arzneimitteln dokumentieren. Nach seiner Einschätzung entwickeln sich Lieferengpässe in einigen Fällen sogar zu Versorgungsengpässen. Tja, mein liebes Tagebuch, da fragt man sich doch, würde Haru Diefenbach die Defektlisten nicht schon zu seinem Hobby machen, wer hätte vorzeigbare Zahlen zu diesem Problem? Und man fragt sich auch, warum die ABDA das der Eigeninitiative eines Einzelnen überlässt und nicht selbst aktiv wird?

In Rheinland-Pfalz startet Anfang 2015 ein Modellprojekt für einen elektronischen Medikationsplan. Apotheken können für ihre aus dem Krankenhaus entlassenen Patienten einen Medikationsplan auf einem Internetportal führen. Ziel ist es, die Praxistauglichkeit eines bundeseinheitlichen Medikationsplans in elektronischer Form als Informationsträger zwischen Apotheken, Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten zu testen. Also, meine liebes Tagebuch, da heißt es: mitmachen! Wenn Apotheken solche Gelegenheiten nicht wahrnehmen, kommen wir nicht voran.

Ups, da ist sie: die Substitutionsaustauschliste mit Wirkstoffen, die nicht mehr ausgetauscht werden dürfen. Wird einer der acht Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen dieser Liste verordnet, heißt es in der Apotheke: abgeben, keine pharmazeutischen Bedenken, kein Austausch, nichts. Sonst: Retax. Pharmazeutischer Sachverstand ist da sichtlich nicht mehr gefragt. Ein Unding. Mein liebes Tagebuch, da sind wir auf die ersten Erfahrungen damit aber sowas von gespannt.

26. November 2014

Er kann’s immer noch: Jörn Graue, Vorsitzender des Apothekervereins Hamburg. Er spricht so manches aus, was andere sich nur denken. Aktuell zum Perspektivpapier: Für Graue ist es „das alte Berufsbild in neuen Schläuchen“, es beschreibe eine heilberuflich ausgerichtete Apotheke mit den neuen Leistungen Medikationsplan und -management. Er warnt davor, die Vergütungsstruktur anzutasten und neue Leistungen aufzunehmen, von denen man nicht wisse, ob sie wirtschaftlich zu erbringen seien. Was ihn am Papier stört: Es fokussiert sich auf eine Minderheit, auf multimorbide Patienten. Das Hauptklientel der Apothekenkunden seien jedoch Menschen, die dauerhaft oder akut ein oder zwei Arzneimittel erhielten und Beratung dafür benötigten. Dieses „Brot- und Buttergeschäft“ dürfe bei der Umsetzung des Positionspapiers nicht vergessen werden. Mein liebes Tagebuch, da hat er Recht. Andererseits: Bisher ist noch nicht so viel umgesetzt worden, noch ist alles machbar. Und: am besten immer sofort kräftig mitdiskutieren als hinterher.

27. November 2014

Auch der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) macht sich seine Gedanken zur bevorstehenden Freigabe von Notfallkontrazeptiva und begrüßt sie. Der Verein fordert jetzt von ABDA und Kammern, dass entsprechende Beratungshilfen bereitgestellt werden. Mein liebes Tagebuch, da haben wir mal keine Bange, die werden schon noch kommen. Eine gesonderte Honorierung zu fordern, wäre nach Meinung des VdPP allerdings fehl am Platz. Hmm, vermutlich wird das auch nicht nötig sein. Als rezeptfreies Arzneimittel werden die Apotheken das Präparat vermutlich frei kalkulieren dürfen – mit Beratungshonorar inkludiert, oder? Tja, wie steht es da eigentlich mit dem Versandhandel?

28. November 2014

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen durch vermeidbare Medikationsfehler sollen in Deutschland zu rund 500.000 Krankenhausaufnahmen führen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) will nun mit einem Forschungsprojekt herausfinden, wo die konkreten Ursachen dafür liegen. Ziel ist letztlich verbesserte Strategien zu entwickeln, um Medikationsfehler zu vermeiden. An dem Forschungsprojekt sind das BfArM, Mediziner und die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft beteiligt, aber keine Apotheker. Ja, mein liebes Tagebuch, man kann sich des Verdachts nicht erwehren: Irgendwie spielen der Apotheker bzw. Apothekerinstitutionen keine Rolle, wenn es um solche Projekte geht. Vielleicht könnte ein solches Forschungsprojekt dazu beitragen, dass man erkennt: Wenn man Apothekerinnen und Apotheker ernst nimmt und sie lässt, könnten sie Medikationsfehler aufspüren, bewerten und den Ärzten Vorschläge zur Vermeidung unterbreiten. Ob es jemals dazu kommt?


Peter Ditzel


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