Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

14.12.2014, 08:00 Uhr


Suchen Sie einen Heilberuf, der so richtig Freude macht? Bei dem Sie nicht wissen, ob morgen noch gilt, was heute richtig ist? Bei dem Sie gerne Listen wälzen, komplizierte Wenn-dann-Rätsel lösen, um eine Entscheidung zu treffen, für die Sie am Ende dann damit belohnt werden, dass der Arzt Sie als Nervensäge abtut, der Patienten kopfschüttelnd Ihre Apotheke verlässt und die Krankenkassen sich freuen, das abgegebene Arzneimittel nicht bezahlen zu müssen, weil es ein Retaxfall war? Herzlich willkommen bei Apothekers! Im Tollhaus der Pharmazie. Und weil’s so lustig ist: als Zugabe die Abmahnwelle eines Kollegen – der jetzt pleite ist. Mein liebes Tagebuch, da kommt Freude auf!

8. Dezember 2014

Knapp zwei Jahre hat’s gedauert, bis sich die Spitzenorganisationen der Apotheker, Ärzte, Krankenhäuser, Zahnärzte und Krankenkassen auf einen inhaltlichen Rahmen für die freiwillige Anwendung „Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)“ auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) geeinigt haben. Stark, oder? Da merkt man doch richtig, wie leicht es allen fällt, mit der Zusammenarbeit. Nein, im Ernst: Man muss schon von der Idee besessen sein, wenn man den Glauben an die Karte und die Zusammenarbeit nicht verlieren will. Mit der Umsetzung dieser für alle Patienten freiwilligen eGK-Anwendung war der Deutsche Apothekerverband (DAV) durch die Gesellschafter der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) beauftragt worden. Mag sein, dass ein Meilenstein erreicht ist, aber bis alles läuft, bis zur praktischen Anwendung der AMTS-Funktion ist es noch ein weiter Weg. Mein liebes Tagebuch, da werden noch mehrere Weihnachten vergehen, bis dieses Projekt läuft.

9. Dezember 2014

Es ist erst ein paar Monate her, dass die Amis das Sagen bei Celesio haben und schon geht’s los mit der Ketten-Einkaufstour – in den Niederlanden. Über das mit Phoenix gemeinsam betriebene niederländische Unternehmen Brocacef Groep wollen Celesio und Phoenix die 300 Mediq Apotheken in den Niederlanden kaufen. Zusammen mit den bereits vorhandenen 300 Brocacef-Apotheken hätte die Brocacef Groep, sofern die niederländischen Wettbewerbsbehörden dem Deal zustimmen, insgesamt 600 Apotheken und wäre der Marktführer im Land der Tulpen und des Käses. Mein liebes Tagebuch, da sind wir gespannt, was uns in Deutschland noch alles bevorsteht.

Die Versand-Apo DocMorris startet eine mehrmonatige Pilotphase mit dem Online-Live-Berater: eine Beratung live per Video. Also, mein liebes Tagebuch, das fühlt sich so ein bisschen wie Skype an, soll aber natürlich über verschlüsselte Kanäle ablaufen, damit nicht die NSA oder der Bundesnachrichtendienst und Herr Gröhe mithören und mitgucken können. Am einen Ende, bei DocMorris, steht dann der Apotheker oder die PTA vor der Kamera, gut geschminkt und aufgebrezelt, am anderen Ende sitzt Oma Kowalski mit Lockenwickler vor ihrem PC auf der Couch und muss sich die pharmazeutische Beratung der Versandapo anhören und Grafiken anschauen und den Beipackzettel vorlesen lassen. „Eine audiovisuelle Beratung, die in unserer Branche einmalig ist“, sagt DocMo. Na, mein liebes Tagebuch, wir freuen uns zu hören, wie die telepharmazeutische Peepshow angenommen wird.

In Indien erstellte Arzneimittelstudien zur Bioäquivalenz von Generika sollen schwere Mängel bei der Studiendurchführung aufweisen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat reagiert und umgehend eine Liste der Arzneimittel veröffentlicht, bei denen deshalb ein Ruhen der Zulassung angeordnet wurde. 80 Arzneimittelzulassungen von 16 pharmazeutischen Unternehmen sind davon betroffen. Da kommt richtig Freude auf, auch in Apotheken. Denn: diese Arzneimittel sind damit quasi ab sofort nicht mehr verkehrsfähig und dürfen nicht mehr von pharmazeutischen Unternehmen, Großhändlern, Apotheken oder anderen Stellen abgegeben bzw. verkauft werden. Ruckzuck weg vom Markt. Das Tohuwabohu nimmt seinen Lauf. Da die Arzneimittel noch nicht in der Lauer-Taxe gekennzeichnet sind, muss die Apotheke in sich ständig ändernden Listen nachschauen, welche Arzneimittel betroffen sind (eine gute Übersicht bietet übrigens das Deutsche Apotheken Portal). Zudem legen manche Hersteller Widerspruch gegen die BfArM-Anordnung ein, der in einigen Fällen beschieden wird, und die Arzneimittel werden dann doch wieder in Verkehr gebracht. Erschwerend kommt dazu: Viele der betroffenen Arzneimittel sind Rabattarzneimittel. Aber mit dem Ruhen der Zulassung sind auch diese Rabattverträge gestorben. Oh je, hoffentlich wissen das die Retax-Unternehmen der Kassen. Der Hessische Apothekerverband empfahl, die Nichtverfügbarkeit eines Rabattpartners mit dem Sonderkennzeichen 02567024 und Faktor „2“ zu dokumentieren. Dennoch, der Ärger bleibt bei den Apotheken hängen, vor allem die Aufklärungsarbeit der Patienten, – darauf macht auch der Vize des hessischen Apothekerverbands, Haru Diefenbach aufmerksam. Und er fragt mit Recht: Sind nicht die gesetzlichen Kassen verpflichtet, zu prüfen ob ihre Rabattvertragspartner alle Qualitätsvorgaben erfüllen, ehe sie Verträge abschließen? Mein liebes Tagebuch, es ist ein Tollhaus. Indien und Arzneimittelsicherheit ist so ähnlich wie Weihnachten und Osterhase: es passt nicht. Ist das der Preis des Kassensparzwangs, der die Hersteller nach Indien treibt?  Um Rabattverträge mit Niedrigstpreisen zu machen, Motto: alles immer noch billiger?

10. Dezember 2014

Ja super, noch ein „Highlight der Woche“: Die ach so geliebte Substitutionsausschlussliste gilt „nach unserer Kenntnis ab sofort, unverzüglich“. Wie? Was soll das denn? Da wird das Konstrukt über ein Jahr lang auf den Tischen des Gemeinsamen Bundesausschusses hin und hergeschoben, dann einigt man sich mühsam auf neun Wirkstoffe – und schwupps wird es über Nacht im Bundesanzeiger veröffentlicht, ohne Vorwarnung, ohne Verhaltensmaßregeln für die Apothekers und die Ärzte – und die Chose gilt. In der Apothekensoftware wird diese Liste voraussichtlich erst ab dem 1. Januar abgebildet werden können. Bis dahin heißt es: Gut aufpassen, denn die Retaxgefahr ist groß. Am besten die Liste auswendig lernen oder einen Zettel an die Kasse kleben. Ausgetauscht werden darf bei diesen Stoffen nämlich nicht mehr. Und die ärztliche Verordnung muss hier glasklar sein, also der Arzt muss entweder den Herstellernahmen angeben plus Wirkstoff oder den Handelsnamen. In allen anderen Fällen muss  der Apotheker Rücksprache mit dem Arzt halten und Unklarheiten beseitigen. Mein liebes Tagebuch, das machen wir doch gerne, haben doch eh so wenig zu tun. Und die Ärzte wurden sicher super informiert und die Praxissoftware umgestellt, nicht wahr? Ich möchte nicht wissen, wie da die Kassen wieder feixen: Substitutionsausschlussliste über Nacht – ein wahrer Quell der Retaxationsfreude.

11. Dezember 2014

Das Ende des Abmahn-Tsunamis von Schwäbisch Hall: Der Apotheker Hartmut Wagner, Brücken-Apotheke, der zusammen mit dem Advokaten Christoph Becker eine Flut von Abmahnungen gegen seine Kolleginnen und Kollegen losgetreten hatte, ist pleite. Da er seine Großhandelsrechnungen nicht mehr zahlen konnte, rückte der Großhändler an und holte das Warenlager ab. Die Brücken-Apotheke ist zu. Und die ausgesprochenen Abmahnungen wurden zurückgenommen. Der Spuk ist vorbei. Nicht ganz, mein liebes Tagebuch. Für das Duo Becker-Wagner wird das noch ein Nachspiel haben. Was man heute schon weiß: ein Apotheker hat sich um seine Existenz gebracht. Was man (noch) nicht weiß: Wer war hier Täter und wer Opfer? Als ich am Vorabend der Schließung in der Brücken- Apotheke war, stand mir ein gebrochener, verzweifelter Apotheker gegenüber. Irgendwie traut man ihm nicht zu, dass er sich den Abmahn-Coup selbst ausgedacht hat. Wie auch immer, er hat mitgemacht. Wie man’s auch dreht: es bleibt eine skurrile und traurige, gar wenig weihnachtliche Aktion.  

Gut, dass sich auch mal eine Kammer zu den mangelhaften Arzneistudien aus Indien zu Wort meldet: Magdalene Linz, Kammerpräsidentin von Niedersachsen, ist entsetzt über Art und Ausmaß dieser Studienmanipulation und plädiert dafür, dass Arzneimittel künftig wieder mehr in Europa produziert werden. Und man kann ihr nur beipflichten, wenn sie sagt, dass Herstellungsbedingungen von Arzneimitteln in China oder Indien durch externe Inspektoren nicht verlässlich überwacht werden können. Mein liebes Tagebuch, wenigstens Diefenbach und Linz beklagen das Desaster mit deutlicheren Worten. Wenn man den Wortlaut einer ABDA-Pressemitteilung dazu liest, kommt einem das doch arg brav, weichgespült und geschwollen formuliert daher. Die BILD-Sprache, die das Volk versteht, liest sich anders.

12. Dezember 2014

Was hört man von den Kassen zur Substitutionsausschlussliste? Werden sie gleich zuschlagen und retaxieren? Es könnte nämlich zu der bizarren Situation kommen, dass eine Kasse eine Apotheke retaxiert, weil sie ein Rabattvertragspräparat abgegeben hat. Wer beispielsweise eine Wirkstoffverordnung über Levothyroxin-Natrium, Tacrolimus oder Digitoxin erhält und einen Rabattvertrag bedient, statt die Verordnung durch den Arzt klarstellen zu lassen, gibt nicht nach den rechtlichen Vorgaben ab. Mein liebes Tagebuch,  wie ist es doch schön, das Dickicht der deutschen Kassen-Pharmazie. Immerhin war zumindest von großen Kassen zu hören, dass sie in der Übergangszeit, bis die Substitutionsausschlussliste in der Software abgebildet ist, von Retaxationen absehen werden. Aber so richtig amtlich ist das nicht – und wer hat noch Vertrauen zu den retaxgeilen Kassen? Also besser: Das Post-it mit den Wirkstoffen an die Kasse und peinlich genau abgeben, was verordnet ist bzw. mit dem Arzt Rücksprache halten, falls die Verordnung unklar ist (siehe oben). 

Es wird immer schlimmer, ein Irrenhaus der Bürokratie. Schon für sich genommen sind die Substitutionsausschlussliste und die sich ständig ändernde BfArM-Liste mit den ruhenden Zulassungen eine Zumutung. Und jetzt der Höhepunkt: Beim Tacrolimus-Generikum Tacpan treffen beide Listen zusammen: Das Präparat findet sich in zahlreichen Rabattverträgen, es steht in der BfArM-Liste der ruhenden Zulassungen und es ist in der Substitutionsausschlussliste aufgeführt – das heißt, das Präparat darf unter keinen Umständen substituiert werden. Patienten mit einem Tacpan-Rezept kann man also nur noch zum Arzt zurückschicken, auch im Notdienst. Na, mein liebes Tagebuch, da haben wir doch eine supertolle Arzneimittelversorgung in Deutschland.

Und was sagt die ABDA zu diesem ganzen Wirrwarr? Freitagnachmittag meldet sich der Präsident zu Wort. Und wie! Mit Worten, die die  Kassen und die Politik erzittern lassen. Schmidt weiß, woran es liegt: „Der aktuelle Vorfall ist letztlich eine Konsequenz aus der fortgeschrittenen Globalisierung im Bereich der Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln“ – hach, lieber Herr Schmidt, das hamse aber nett gesagt. Dafür gibt’s ein Fleißbildchen von Kassen und Politik. Außerdem: Draußen weihnachtet es ja schon sehr und da wollen wir mal nicht so böse miteinander sein. Die Hersteller sind lieb, die Kassen sind lieb, vielleicht ist ja ein bisschen die Globalisierung schuld, oder meinten Sie gar die GlobUlisierung? Ja, ja, böse, böse. Und bei der nächsten Anordnung für ruhende Zulassungen  – wir freuen uns schon auf weitere – wird ja alles besser und wir lieben Apothekers werden vielleicht ein bisschen früher informiert. Und das Retax-Risiko bei Arzneimitteln, deren Zulassung ruht, können wir doch ganz einfach vermeiden mit den so geschmeidigen, einfachen und praktikablen Aut-idem-Regelungen, wie sie der Apothekerverband empfiehlt, also eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel abgeben, sofern nicht undsoweiter pipapo oder bei Rabattarzneimitteln das Sonderkennzeichen aufdrucken etc.pp. Und wenn alles nicht klappt, einfach den Arzt kontaktieren, der sicher schon auf unseren Anruf wartet und sich riesig freut, ein neues Rezept ausstellen zu dürfen. Und wir dürfen in die freudig strahlenden Augen unserer Patienten schauen, denen wir das alles verklickern dürfen. Ach mein liebes Tagebuch, ich liebe es. Nein, im Ernst, ein bisschen mehr Schärfe, ein bisschen mehr Pfeffer in der ABDA-Pressemeldung wäre schon angebracht gewesen, mit einem Seitenhieb auf die Auswirkungen von Rabattverträgen, auf den Spardruck durch Kassen und auf die Billig-billig-Mentalität. Genau betrachtet ist die Globalisierung nur eine Auswirkung, die Ursachen liegen in der Politik und bei den Kassen. 


Peter Ditzel


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