Diefenbachs Defektlisten-Auswertung

Engpässe bleiben akutes Problem

10.03.2015, 16:45 Uhr

Lieferengpässe - weiterhin ein Problem in Apotheken. (Foto: auris/Fotolia)

Lieferengpässe - weiterhin ein Problem in Apotheken. (Foto: auris/Fotolia)


Berlin - Letzten Herbst hatte Dr. Hans Rudolf Diefenbach Apothekerinnen und Apotheker bundesweit aufgefordert, ihm zu berichten, bei welchen Arzneimitteln sie mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen haben. Nun hat das Vorstandsmitglied des Hessischen Apothekerverbands (HAV) die Defektlisten von 137 Apotheken ausgewertet. Berücksichtigt hat er dabei zunächst nur verschreibungspflichtige Arzneimittel, obwohl auch bei OTC eine Reihe von Defekten zu verzeichnen war. Impfstoffe blieben vorerst ebenfalls außen vor. Diefenbachs Fazit: „Die Breite der Nichtlieferbarkeit von Arzneimitteln ist der vor einem Jahr festgestellten Sachlage ebenbürtig.“

In dieser dritten Defektlistenrunde des früheren HAV-Vize überließen 78 hessische Apotheken und 59 Apotheken aus anderen Bundesländern Diefenbach ihre Unterlagen. Erfasst wurde die Zeit von November 2014 bis Februar 2015. Defekte gemeldet haben kleine wie große, ländlich, zentral oder in Randlagen gelegene Apotheken, sodass das Bild repräsentativ sein dürfte. Gezählt hat Diefenbach konservativ: Jedes Präparat, das von einer Apotheke nicht bezogen werden konnte, gilt als ein einziger Defekt – auch wenn die Apotheke über die Monate hinweg mehrfach und bei verschiedenen Großhändlern erfolglos versuchte, das Arzneimittel zu bestellen. Seine Liste hat Diefenbach in 18 Gruppen aufgeteilt, entsprechend der Reihenfolge des Lehrbuchs der Pharmakologie und Toxologie von Prof. Mutschler et al. Dies zeigt die Breite der Engpässe.

Herausgepickt seien hier nur einige: So meldeten in der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva 78 der 137 Apotheken Opipramol, Stärke 50 und 100, der Firma 1A als nicht lieferbar. Bei den Opioid-Analgetika und Antitussiva gab es bei Codeintropfen Hexal 20 Defekte zu verzeichnen, bei Codeintropfen von ct zehn. Tilidin in verschiedenen Stärken von Ratiopharm, Stada, AL und 1A meldeten 14 Apotheken als nicht lieferbar. Valoron von Pfizer in der Stärke 50/4mg war sogar bei 58 Apotheken defekt, in der Stärke 100/8mg bei 26. Unter den Betablockern fehlte 51 Apotheken Metoprolol NK 50mg von Ratiopharm, 50 Apotheken auch Metoprolol NK 100mg.

Problem Substitutionsausschlussliste

Ein großes Problem ist weiterhin L-Thyroxin von Hexal. Vor allem in der Stärke 25µg: Hier wurden 84 Defekte gemeldet. In der Stärke 75µg waren es noch 23, in Stärke 88µg 15. Auch andere Stärken waren vereinzelt nicht zu beziehen. L-Thyroxin von 1A in diversen Stärken meldeten 18 Apotheken als nicht lieferbar. Dies ist im Hinblick darauf, dass L-Thyroxin ein Wirkstoff der Substitutionsausschlussliste ist, besonders misslich.

Aus demselben Grunde problematisch sind die Meldungen von 26 Apotheken, Betaacetyldigoxin Ratiopharm sei nicht lieferbar, und die 23-Defektmeldungen für Digostada. Unter den oralen Antidiabetika sorgte Metformin diverser Hersteller zu 20 gemeldeten Defekten. Glibenclamid Ratiopharm 3,5mg fehlte sogar 27 Apotheken. Von den Vitamin-K-Antagonisten war Phenprocoumon Ratiopharm für 45 Apotheken nicht zu haben, Marcuphen von ct sogar für 86. Phenpro von ABZ meldeten 14 Apotheken defekt. Dieser Arzneistoff steht zwar nicht auf der Substitutionsausschlussliste, ist aber dennoch ein Kandidat für pharmazeutische Bedenken – eine ordnungsgemäße unmittelbare Versorgung wird daher erheblich erschwert.

Im Bereich der Antihypertonika meldeten 22 Apotheken Defekte für Nifedipin von diversen Herstellern. Bei Losartan von unterschiedlichen Herstellern waren es 21 Defekte. Candesartan 8mg Heumann vermissten 18 Apotheken. Auch andere Hersteller waren betroffen – insgesamt gab es weitere 21 Defektmeldungen für Candesartan. Sogar 49 Apotheken meldeten Lieferprobleme für Valsartan comp Actavis 160/12,5. Valsacor 160/12,5 von TAD wurde von 21 Apotheken vermisst, Valsartan 160/12,5 von Stada von neun.

Augenpharmaka: Salben Fehlanzeige

In der Gruppe der Pharmaka gegen Augenerkrankungen zeigte sich, dass über Monate hinweg die Darreichungsform Salbe praktisch nicht verfügbar war. Für Diefenbach nicht nachvollziehbar und nicht tragbar, schließlich bräuchten kontaminierte Augen Soforthilfe. Konkret war etwa Dexagent ophthal von Dr. Winzer in allen Formen bei 55 Apotheken nicht lieferbar. Bei Dexagentamicin Ursapharm meldeten sogar 73 Apotheken Defekte. 47 Apotheken bekamen Dexamytrex (Augensalbe und Kombipackung) nicht, 30 kamen bei Gentamicin POS nicht weiter. Kanamycin (POS) Augentropfen und Salbe war bei 40 Apotheken defekt. Zum Präparat der Firma Alcon gab es Meldungen von 16 Apoteheken.

Auch Antibiotika bereiten weiterhin Sorgen. Allein in den ersten beiden Monaten 2015 war in 51 Fällen das klassische Penicillin (Phenoxymethylpenicillin) in unterschiedlicher Dosierung und Darreichungsform nicht verfügbar. Amoxicillin Ratiopharm Brausetabletten meldeten 50 Apotheker als nicht lieferbar. Amoxicillin als Trockensaft diverser Firmen war bei 20 defekt. Weitere Engpässe gab es unter anderem bei Cephalosporinen und Makrolidantibiotika – und auch das sind noch nicht alle Antibiotika, bei denen es zu Lieferengpässen kam.

Und nun?

Diefenbach sieht die Lage gegenüber seiner letzten Defektlistenauswertung insofern verschärft, als dass mittlerweile die Substitutionsausschlussliste gilt. Hier müsse sichergestellt sein, dass eine Apotheke diese Vorgaben auch umsetzen kann. Dass der Berufsstand die Liste wollte, so Diefenbach, sei Rahmenbedingungen geschuldet gewesen, die sich heute verschoben hätten.

Um den Problemen Herr zu werden, setzt Diefenbach nicht zuletzt auf eine aktuellere Arzt-Software. Hier müsse der Berufsstand der Pharmazeuten ein Modell entwickeln, das Lieferengpässe und daraus resultierende Versorgungsengpässe aktuell an alle Beteiligten meldet – auch an die Ärzte. Die wenigen Produkte, die die Pharmaindustrie den Behörden als nicht lieferbar melde, gehen für Diefenbach an der Realität vorbei.

Und eine weitere Forderung sollten die Apotheker Diefenbach zufolge aufstellen: Die Politik müsse die Krankenkassen verpflichten, Apotheken von „Retaxschikane“ zu verschonen, wenn sich die Pharmazeuten um Compliance und Adherence der Kranken kümmern, den Patienten also helfen wollen. Auf längere Sicht müsse – auch unter E-Health-Gesichtspunkten – die Auswahl des Medikaments durch die Apotheker erfolgen, wenngleich natürlich mit den Arztpraxen abgestimmt.  


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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