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Berlin - Schrittinnovationen können für Patienten – vor allem für Kinder, aber etwa auch für Chroniker – sehr hilfreich sein. Doch die Weiterentwicklung bekannter Substanzen wird hierzulande nicht honoriert. Ein Unternehmen, das eine schlecht schmeckende Tablette in einen süßen Saft wandelt und dadurch einen Wirkstoff einer Anwendung für Kinder zuführt, kann nicht erwarten, dafür besser bezahlt zu werden als jeder andere Generikahersteller dieser Substanz. Der Festbetrag ist für alle gleich. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) wünscht sich mehr Anerkennung für diese Art der Innovation und widmete daher heute seine „Berliner Runde“ dem Thema. Die Diskussion zeigte: Das Problem ist wohl erkannt – beim Vorschlag eine eigene Festbetragsgruppe für Kinderarzneimittel einzurichten, winkt die Politik allerdings ab.
Schrittinnovationen genießen kein gutes Image. Mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) rief man die Devise aus, dass nur noch „echte Innovationen“ einen höheren Preis haben dürfen als andere Arzneimittel für die betreffende Indikation. Scheininnovationen sollten ausgebremst werden – doch Schrittinnovationen liegen möglicherweise genau dazwischen. Für betroffene Patienten mögen eine galenische Weiterentwicklung, eine Darreichungsform, die eine weniger häufige Einnahme erfordert oder eine Kinderdosierung ein echter Zugewinn sein, doch der Wirkstoff selbst ist nun einmal derselbe. Das heißt: Festbetrag.
Gerade bei Kinderarzneimitteln besteht aus BAH-Sicht eine große Spannung: Auf der einen Seite sollen sie etwa durch die sogenannte PUMA-Zulassung gefördert werden – auf der anderen Seite sieht unser Sozialgesetzbuch ein undifferenziertes Festbetragssystem vor. Gerne verweist die Industrie derzeit auf das erste Arzneimittel, dem im Verfahren der frühen Nutzenbewertung ein „erheblicher“ Zusatznutzen zugesprochen wurde: Propranolol (Hemangiol®), ein Präparat zur Behandlung von Säuglingen mit proliferativen infantilen Hämangiomen (Blutschwämmchen). Es ist das zweite existierende Arzneimittel mit PUMA-Zulassung. Beim BAH meint man, dass bei PUMA-Arzneimitteln der Zusatznutzen eigentlich schon durch die zentrale Zulassung und den positiv bewerteten pädiatrischen Prüfplan belegt ist.
Lutz Boden vom BAH betonte in der Diskussionsrunde, dass am AMNOG-Verfahren nicht gerüttelt werden solle. Es müsse aber dazu gelernt werden können. Es dürfe nicht ausschließlich auf neue innovative Wirkstoffe geschaut werden, sondern auch auf Schrittinnovationen. Anderenfalls schafften diese es gar nicht mehr in die Versorgung, da die Unternehmen sie nicht mehr marktgerecht finanzieren könnten. Ministerialrat Joachim Becker, Leiter der Unterabteilung Krankenversicherung im BMG, verwies darauf, dass der Gesetzgeber die Qualität von Schrittinnovationen nicht bewerte – dies werde anderen Beteiligten überlassen, im Fall der Festbeträge sind dies der Gemeinsame Bundesausschuss und der GKV-Spitzenverband. Becker verwies zudem auf die Schwierigkeit, Schrittinnovationen in Euro und Cent zu beziffern.
Erdbeere oder Vanille ist egal - aber schlechter Geschmack geht nicht
Bislang gibt es bei einem gleichen Wirkstoff, also Festbeträgen der Gruppe 1, jedenalls keinen Spielraum. Sicher sei es kein wesentlicher Fortschritt, wenn ein Kinderarzneimittel in mehreren Geschmacksrichtungen zu haben sei: „Ob Himbeer-, Erdbeer- oder Vanille-Geschmack ist egal“, so Dr. Markus Rudolph, Vorsitzender der BAH-Initiative für Kinderarzneimittel. Dagegen sei es durchaus relevant, ob ein Arzneimittel einen schlechten und ein guten Geschmack hat. Doch beispielsweise Antibiotika fielen durchweg in die Festbetragsstufe 1. Der BAH schlägt daher vor, für Kinderarzneimittel separate Festbetragsgruppen einzuführen.
Das wiederum lehnt der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich rundweg ab. Seine Befürchtung: Wenn man bei Kindern eine Ausnahme einführt, wird bald für die nächste Gruppe angeklopft und das so gut funktionierende Festbetragssystem ausgehöhlt. Auch das AMNOG-Verfahren will er nicht durch weitere Ausnahmen aufweichen. Dennoch hält Hennrich ebenso wie Becker die vom BAH angestoßene Diskussion für berechtigt. Er ist überzeugt, dass es für die Selbstverwaltung genügend Freiräume gibt, das Problem der Kinderarzneimittel zu erfassen. Zudem kann er sich gut vorstellen, das PUMA-System noch zu optimieren. Auf jeden Fall müsse es juristisch saubere Lösungen geben. Auch beim BAH steht man dem Ansatz, bei PUMA-Zulassungen etwas analog der Orphan Drug-Regelungen in die Wege zu leiten, offen gegenüber.
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