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Eine Woche unter der spitzen Überschrift: Apotheker können nichts, Apotheker dürfen nichts, Apotheker sind digital hinten dran – aber sind für alles verantwortlich. Im Klartext: der BAK-Beratungsleitfaden zur „Pille danach“ wird größer als eine Doktorarbeit; Rx-Arzneimittel im Notfall ohne Rezept heißt mindestens ein Bein im Kittchen; und nicht vergessen: einen Knicks und ein Dankeschön für alle Kassen, die bei Rezepten ohne Arztvorname und Telefonnummer noch nicht retaxieren. Mein liebes Tagebuch, und was dürfen wir eigentlich? Na klar, wir dürfen den Bericht des ABDA-Präsidenten zur Lage der Apotheker diskutieren, auch wenn er ein wenig abseits, also außerhalb der Hauptversammlung und damit nicht im Diskussionskreis liegt. Und warum ist das so? Ruhig, mein Tagebuch, frag nicht und binde dir deinen Zopf.
20. Juli 2015
Vorübergehend wollen Krankenkassen – das teilen nun so nach und nach einige, aber beileibe nicht alle mit – auf eine Retaxierung verzichten, wenn auf dem Rezept Vorname und Telefonnummer des Arztes fehlen. Aber theoretisch könnten sie es. Mein liebes Tagebuch, wie geht es dir dabei? Also, irgendwie schwingt da viel von „wir da oben“ und „ihr da unten“ mit. Diese vereinzelten Mitteilungen einiger Kassen, derzeit verzichten zu wollen, klingen so arg gnädig, so ganz von oben herab. Danke, danke, danke liebe Kassen, dass ihr auf Retax verzichten wollt, wenn Onkel Doktors zu nachlässig sind. Danke, wenigstens für die nächsten drei Monate. Aber dann…!
Der Beratungsleitfaden der Bundesapothekerkammer für die Abgabe der „Pille danach“ durch Apothekerhand entwickelt sich zu einer umfassenden Habilitationsschrift. Mein liebes Tagebuch, was Ärzte – und zwar nicht nur Gynäkologen, sondern auch Orthopäden, Allgemeinmediziner, Kardiologen und alle anderen, die im Notdienst eben mal die „Pille danach“ verordneten – bisher mal eben so mit links mitgemacht haben, indem sie mehr oder weniger ein paar beratende Sätze dazu genuschelt haben, wird nun zum ausgefeiltesten Beratungsgespräch aller Zeiten – weil es Apothekers machen dürfen. Und da wollen alle mitreden, das Ministerium sowieso, aber vor allem die Gynäkologen hatten am Erstentwurf einiges auszusetzen. Bis die neuen wissenschaftlich gespickten Handlungsempfehlungen verfügbar sind – kann noch ein wenig dauern –, dürfen Apothekers mit der vorliegenden Version des Leitfadens arbeiten. Aber dann: Am besten alle Dialogmöglichkeiten auswendig lernen.
Notfallregelung ist Regelung für den Notfall. Aber wann ist ein Notfall ein solcher? Ein jetzt bekanntgewordenes Urteil zeigt, dass das Gericht den Notfall enger auslegt, als er bisweilen von manchen Apotheken gehandhabt wird. Die kulante Hilfe der Apotheke, die Antibaby-Pille ohne Rezept, das Asthmamittel, den Blutdrucksenker ohne Rezept – nein, sagt das Gericht, ohne echten Notfall geht das nicht. Nur bei erheblicher akuter Gesundheitsgefährdung dürfte die Apotheke eine Ausnahme machen. Irgendeinen Arzt anzurufen und sich die Abgabe absegnen lassen, geht nicht. Oh, oh, mein liebes Tagebuch, früher gab’s sogar mal Wiederholungsrezepte…
21. Juli 2015
Noweda gegen Brandenburg. Das Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg will dem Pharmagroßhändler Noweda untersagen, Arzneimittelretouren entgegenzunehmen, wenn diese ursprünglich von einem anderen vollsortierten pharmazeutischen Großhandel an die Apotheke geliefert wurden. Der genossenschaftliche Großhändler hat dagegen Widerspruch eingelegt und will, falls nötig, dagegen klagen. Das Landesamt möchte mit seinem Vorstoß verhindern, dass Fälschungen in die Lieferkette eingeschleust werden. Noweda-Chef Hollmann kann das so nicht nachvollziehen. Außerdem, wie sollte eine großhandelsbezogene Lagerung in der Apotheke erfolgen? Mein liebes Tagebuch, da Arzneimittel in der Apotheke nicht chargenbezogen erfasst werden, so dass sie einem Großhändler zugeordnet werden könnten, müsste man Arzneimittel nach Bezugsquellen getrennt lagern. Na, viel Spaß dabei. Irgendwie weltfremd. Danke für den Vorstoß, Herr Hollmann, Und: Hoffen wir, dass Securpharm rasch kommt.
Die Cannabis-Legalisierungswelle scheint auch vor Deutschland nicht Halt zu machen. Wird man nicht Herr eines Problems, verursacht es zu hohe Kosten bei Polizei und Strafverfolgungsbehörden, erklärt man es kurzerhand als rechtmäßig und entkriminalisiert es. Nett, einfach nett, wie sich Politik (und nicht nur die) die Spielregeln zurechtbiegen. Cannabis als Arzneimittel, Vertrieb über Apotheken – das ist die eine Seite, darüber sollten sich Experten in der Tat Gedanken machen. Aber Cannabis als Konsum- und Rauschmittel? Wenn man Berichte liest, wie Cannabis die Persönlichkeitsstruktur verändert, die Gehirnfunktionen beeinflusst, dann möchte man nicht, dass diese Droge frei gegeben wird. Die gesundheitlichen Risiken sind ganz einfach zu groß. Das Argument, der illegale Handel wäre dann ausgetrocknet, trägt nicht, denn der würde sich dann verstärkt anderen Drogen zuwenden.
22. Juli 2015
Wie schön, mein liebes Tagebuch, die Delegierten des Deutschen Apothekertages dürfen über alles diskutieren. Das stellt jetzt ABDA-Geschäftsführer Lutz Tisch gegenüber dem Delegierten Gunnar Müller fest, der danach fragte. Also, die Delegierten dürfen auch über den politischen Lagebericht des ABDA-Präsidenten reden, obwohl er zum Auftakt eines Apothekertags stattfindet und rein formal betrachtet nicht Gegenstand der Hauptversammlung (HV) ist. Denn eigentlich ist es so: Auftakt ist Auftakt und HV ist HV. Und diskutiert wird nur in der HV. Punkt. Irgendwie lustig solche Spielregeln, gell, mein liebes Tagebuch. Einen richtigen nachvollziehbaren Grund gibt’s dafür allerdings nicht, es ist einfach wie’s ist. Und: Haben wir halt schon immer so gemacht. Wie so vieles andere auch. Genau betrachtet spräche auch gar nichts dagegen, dass man den Präsidentenbericht in die HV nimmt und ihn dann offiziell zur Diskussion frei gibt. Na ja, Apothekers lieben alte Zöpfe.
Was der Delegierte Müller auch wollte: alle Kontaktdaten der Delegierten veröffentlichen. Aber da heißt es aus Berlin: Das geht gar nicht. Strengster Datenschutz, wo kämen wir dahin! Na sowas. Außerdem, merke: Die ABDA ist von einer repräsentativ-demokratischen Struktur geprägt. Daher fußt auch das Antragsrecht eines einzelnen Delegierten nicht auf basisdemokratischem Gedankengut. Und deshalb kann ein einzelner Delegierter nur innerhalb der eigenen Delegation Anträge einbringen, nicht delegationsübergreifend. Also, die Kontaktdaten der Mitglieder anderer Delegationen braucht man gar nicht. So, das war die Lektion für heute in Sachen ABDA, Demokratie, Spielregeln und Zöpfen. Wie schön.
Securpharm, das Projekt zum Schutz vor gefälschten Arzneimitteln, kommt gut voran. Das System funktioniert im täglichen Apothekenbetrieb, Deutschland hat da seine Hausaufgaben gemacht. Dieses Mal hinkt die europäische Ebene hinterher, die noch die verbindlichen technischen Details verabschieden muss, damit die Standards gegen Arzneifälschungen in allen europäischen Ländern einheitlich sind. Hat zwar alles länger gedauert als ursprünglich gedacht – wie immer bei IT-Geschichten –, aber andererseits ist das Projekt wirklich eine große Herausforderung. 2019 soll’ s richtig losgehen: Dann dürfen keine Rx-Arzneimittel mehr ohne die Sicherheitsmerkmale (ein aufgebrachter 2D-Matrix-Code und ein spezielles Packungssiegel) in den Verkehr gebracht werden. Mein liebes Tagebuch, bis dahin muss dann allerdings nur noch eine Kleinigkeit erledigt sein: ein schnelles Internet in jeder Apotheke. Und der Strom darf nicht ausfallen.
23. Juli 2015
Nicht in allen Heilberufen geht’s digital so gemütlich zu wie bei Apothekers. Die Knappschaft-Bahn-See-Krankenkasse (KBS) und die Telekom machen da mächtig Tempo: Alle von der KBS betriebenen Krankenhäuser erhalten insgesamt 1500 iPad Mini-Tablets mit einer speziellen App, mit der die Ärzte und Pflegekräfte an jedem Ort im Krankenhaus die Patientendaten einsehen, die Medikamentenverordnungen ändern, Befunde diktieren oder auch Wunden fotografieren können. Die Medikationsmanagement-Software der App kann anhand der PZN die AMTS-Prüfung durchführen. Bei Problemen erscheint eine gelbe oder rote Hand als Warnzeichen, der Arzt kann entscheiden, ob er die Medikation ändern will. Mein liebes Tagebuch, wenn man das liest, dann fühlt man sich als Apotheker angesichts des Gerangels um E-Health, Medikationsplan, elektronischer Gesundheitskarte und einer ABDA-IT-Abteilung, die sich gerade erst mal sammelt, irgendwie hinterm Mond. Oder noch besser: hinterm Pluto.
Da kommt was auf uns zu: Die Europäische Zulassungsbehörde EMA hat die Überprüfung generischer Arzneimittel abgeschlossen, die aufgrund zweifelhafter Studiendaten indischer Firmen zugelassen wurden. Und das Fazit: ab dem 21. August müssen europaweit bis zu 700 Zulassungen ruhen – solange bis der Hersteller neue Studiendaten bringt. Für Deutschland sind 49 generische Zulassungen gelistet. Mein liebes Tagebuch, das bedeutet Rückrufe, Ärger bei Rabattvertragsarzneimitteln. Das BfArM aktualisiert gerade seine Listen…
24. Juli 2015
Im „Stern“ kommt eine Ärztin und Homöopathin zu Wort, die ihre Praxis aufgibt, weil sie es nicht mehr verantworten kann, Patienten mit homöopathischen Arzneimitteln zu versorgen. Es sei ihr erst jetzt klar geworden, dass die homöopathischen Arzneimittelprüfungen nichts mit Naturwissenschaft zu tun hätten. Dem homöopathischen Setting, also beispielsweise den Erstgesprächen mit den Patienten, steht sie dagegen eher positiv gegenüber, nur: Das werde in den Studien nicht berücksichtigt. Eigentlich könnte die Homöopathie sogar erfolgreicher als Placebos sein, wenn Studien das Setting mit einschließen würden, aber „es ging nur um die Frage, ob die Globuli besser wirken als ein Placebo, in dem nichts drin ist. Da aber auch in den Globuli nichts drin ist, kann es ja gar keinen Unterschied zwischen den beiden untersuchten Gruppen geben“. Mein liebes Tagebuch, wie sagt diese Ex-Homöopathin im Stern-Interview: „Auch wenn sich jetzt viele aufregen werden, aber Homöopathie und Religion haben einiges gemeinsam.“
Ach ja, es ist Sommerzeit, nachrichtenarme Zeit. Wer mit abgefahrenen Thesen auffallen will, platziert sie jetzt. Diesen Effekt nutzt auch ein „Professor für generationenübergreifende Wirtschaftspolitik“: Christian Haigst. Der Ökonom versucht sich einen Namen zu machen, indem er in einem Gastbeitrag im Manager Magazin weitreichende Liberalisierungen auf dem deutschen Apothekenmarkt nach dem Vorbild der für griechische Apotheken eingeleiteten Reformen fordert. Also: weg mit Fremd- und Mehrbesitzverbot, her mit OTCs im Supermarkt. Mein liebes Tagebuch, es ist das übliche Gewäsch von Ökonomen, die von Pharmazie, Arzneimitteln und den Besonderheiten dieses Marktes so viel Ahnung haben wie Eintagsfliegen vom nächsten Morgen. Das Lustige dabei: Dem Professor geht es in erster Linie gar nicht um Kostensenkungen, sondern um „Abbau von Privilegien“. Ach so. Also, Herr Professor, nach dem Sommer kommt der Herbst, dann wird sich wieder mit richtigen Themen befasst.
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