Apotheker ohne Grenzen in Berlin

"Ich möchte mich mit meinen Kompetenzen nützlich machen“

Berlin - 29.10.2015, 16:41 Uhr


In Berlin-Wilmersdorf wurde das alte Rathaus zur Notunterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert. Mehrere hundert Helfer kümmern sich um rund 800 Flüchtlinge. Mittendrin die Apothekerin Dorothee Giese.

„Schmerz“ – „Bluthochdruck“ – „Epilepsie“ – „Erkältung“: Provisorisch aufgebaute Metallregale säumen die Wände der kleinen Apotheke in der Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Wilmersorf. Handgeschriebene Zettel kleben an den Regalen und an den Wänden darüber: In der Mitte steht ein kleiner Tisch mit medizinischen Geräten und Paketen voller neuer Spenden.

 Dazwischen läuft Dorothee Giese von Regal zu Regal und prüft die Verfallsdaten auf den Verpackungen der Arzneien. Zahlreiche Mittel landen hier in der Flüchtlingsnotunterkunft in Wilmersdorf im Müll. Was abgelaufen ist, darf nicht mehr an die Flüchtlinge ausgegeben werden – auch wenn die Medikamente vielleicht dringend benötigt werden.

Spenden dürfen oft nicht verwendet werden

Das alte Rathaus in Wilmersdorf gehört der Stadt. Es wurde zur Notunterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert, nachdem andere Häuser komplett überfüllt waren. Mittlerweile leben in Wilmersdorf etwa 800 Menschen. Ursprünglich hieß es einmal, dass hier maximal für 500 Platz sei.

Der Medizintrakt, in dem auch die Apotheke untergebracht ist, liegt neben dem Eingang zur Unterkunft. Hier muss sich jeder ausweisen, der das Gelände betreten möchte. Sicherheitsleute protokollieren die Dauer des Aufenthaltes.

Dorothee Giese ist eine von unzähligen Helfern im alten Rathaus im Berliner Bezirk Wilmersdorf. Sie ist Mitglied der Apotheker ohne Grenzen (AOG) und engagiert sich wie die meisten ehrenamtlich in der Notunterkunft für Flüchtlinge. Der Grund für ihr Engagement sei ganz einfach: „Ich möchte mich mit meinen Kompetenzen nützlich machen.“

 Außer mittwochs arbeitet sie eigentlich in einer Apotheke im Berliner Stadtteil Schöneberg. An ihrem freien Tag kommt sie in die Notunterkunft, nimmt neue Medikamente an und überprüft, was knapp wird. Leider mangelt es oft an den einfachsten Dingen. Antibiotika zum Beispiel.

Liste der wichtigsten Medikamente

 „Auch wenn Pharmafirmen die Laufzeit ihrer Produkte zur Umsatzsteigerung vielleicht gerne kürzer ansetzen und viele Medikamente nach Ablauf des Verfalldatum möglicherweise noch verwendbar sind, dürfen wir diese Spenden aus Gründen der Arzneimittelsicherheit nicht mehr abgegeben werden“, sagt Giese. Spenden aus Privathaushalten darf sie ebenfalls nicht annehmen, angebrochene Medikamente schon gar nicht.

Grundsätzlich können die Flüchtlinge hier nur rezeptfreie Medikamente bekommen. Wer hier rezeptpflichtige Mittel braucht, muss in eine normale Apotheke gehen und die Medikamente privat bezahlen.

Welche Medikamente standardmäßig in allen Berliner Flüchtlingsunterkünften vorrätig sein sollen, hat AOG auf einer Liste festgehalten. Die Ärzte suchen in der Apotheke, die eigentlich eher ein Arzneilager ist, jeweils Medikamente heraus, die sie für die Therapie eines Flüchtlings benötigen.

Die Bedarfsliste der AOG liegt auch der Senatsverwaltung vor. Trotzdem erhalten die Unterkünfte aus öffentlicher Hand kaum Unterstützung, sagt Giese. Die gespendeten Medikamente kommen von Apothekern und Ärzten, die die Mittel vom eigenen Geld bezahlen.

„Dafür hätten wir ja die Apotheke“

Auf der AOG-Liste sind Arzneien gegen Allergien, Asthma und Durchfall aufgeführt – und natürlich Antibiotika. „Die brauchen wir am meisten, deshalb sollte der Bestand unbedingt gedeckt sein“, sagt Dorothee Giese. Nasensprays und Arzneien gegen Husten werden jetzt ebenfalls wichtiger, denn die Erkältungssaison rückt näher.

Die Liste ist keine feste Vorgabe. Die Apotheker in den Einrichtungen richten den Bedarf nach saisonalen Krankheiten, der Herkunft der Flüchtlinge, dem Wetter und der Art der Unterbringung. Je nach Heimatland können die Menschen unterschiedlich krank sein. Zugleich verändern sich Krankheitsbilder, wenn die Patienten im Winter nicht so viel Zeit an der frischen Luft verbringen können oder wenn es keine Duschen in der Unterkunft gibt. Das war auch im alten Rathaus in Wilmersdorf bis vor kurzem der Fall.

An die Apotheke grenzt ein weiterer Raum mit medizinischem Material wie Pflaster, Verbände oder Kanülen. Dahinter liegt das Sprechzimmer des diensthabenden Arztes. Auch Psychologen helfen in der Unterkunft.

An diesem Mittwochnachmittag ist es ruhig auf der Krankenstation. Am Tag zuvor seien sie kaum hinterhergekommen mit der Arbeit, erzählt ein medizinischer Helfer. Die Sprechstunde von 15 bis 18 Uhr war überfüllt. Zusätzlich kamen Mitarbeiter des Gesundheitsamtes vorbei, weil kurz vorher bei einigen Bewohnern die meldepflichtige Krätze diagnostiziert worden war. „Die Mitarbeiter waren allerdings der Meinung, dass das Gesundheitsamt für die Versorgung der betroffenen Personen nicht bezahlen muss“, sagt Dorothee Giese. „Dafür hätten wir ja die Apotheke.“

Die Politik müsse dringend Gelder in die Unterkünfte investieren, sagt sie. Medizinisches Material und Medikamente müssen dauerhaft finanziert werden. Sonst drohen Lücken in der Versorgung, wenn die Spendenbereitschaft einmal einbricht. Und auch die Ehrenamtler stoßen an ihre Grenzen. Die meisten helfen neben ihrem Hauptberuf. „Da muss ein finanzieller Ausgleich geschaffen werden“, fordert sie.

Giese macht weiter

An Helfern mangelt es bislang zumindest nicht in Wilmersdorf. Einige blieben zwar nicht lange dabei, aber es kämen auch immer wieder neue dazu, sagt Giese. So auch Bettina Graupner. Gerade hat sie ihr Pharmaziestudium beendet, nebenbei hilft sie in der Apotheke in der Flüchtlingsunterkunft. Kommilitonen fänden toll, was sie macht und würden auch gern helfen, erzählt sie einer Koordinatorin. Aber die winkt ab. Sie kann nur noch Helfer unterbringen, die zum Beispiel besondere Fremdsprachenkenntnisse mitbringen, weil sich inzwischen viel mehr Leute melden, als benötigt werden. 

Am frühen Abend hat Dorothee Giese die neuen Spenden einsortiert und die Bestände gecheckt. Bevor sie geht, nimmt sie die große Kiste mit den abgelaufenen Medikamenten mit, um sie zu entsorgen. Auf die Frage, wie lange sie im alten Rathaus noch helfen wird, sagt sie: „Ich mache das auf jeden Fall bis zum Jahresende. Dann sehen wir weiter.“ Gebraucht wird sie sicher weiterhin. Die Zahl der Flüchtlinge hier soll schon bald auf 1.000 steigen.


Saskia Gerhard, Freie Autorin
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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