Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

08.11.2015, 08:00 Uhr

Rückblick auf die letzte Woche (imagesab - Fotolia.com)

Rückblick auf die letzte Woche (imagesab - Fotolia.com)


Warum, mein liebes Tagebuch, testen wir Apotheker eigentlich keine OTCs? Damit meine ich nicht den Medizinalhanf, den die Apotheke bald auf Rezept abgeben darf. Warum testen die Stiftung Warentest und Ökotest Arzneimittel und nicht ein Apothekerinstitut? Egal, wir suchen unser neues Berufsbild. Und es gibt Lichtblicke: Ärzte wollen mit Apothekern kuscheln! Aber nicht beim Medikationsplan.

2. November 2015

Ein echtes Novum in Deutschland: Medizinalhanf auf Rezept – die Bundesregierung hat sich dazu durchgerungen, eine staatlich kontrollierte Cannabisproduktion aufzubauen. Profitieren werden davon beispielsweise schwerkranke Schmerzpatienten und Menschen mit Hyperaktivitätsstörungen. Es waren Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe selbst und seine Drogenbeauftragte Marlene Mortler, die sich zu diesem Schritt durchgerungen haben. Eine Cannabis-Agentur wird den Bedarf an Medizinalhanf ausschreiben, Aufträge für den Anbau an geeignete landwirtschaftliche Betriebe  vergeben, die Droge dann an Hersteller von Cannabisarzneimittel Großhändler und Apotheken verkaufen. Und sie legt den Preis dafür fest, den die Krankenkassen zu zahlen haben. Mein liebes Tagebuch, Cannabis als Arzneimittel auf Rezept geht medizinisch voll in Ordnung, ist eigentlich schon überfällig. Und dennoch: politisch gesehen ist das eine kleine Revolution für die CDU, die sich bisher so tapfer gegen Cannabis gewehrt hat. Mit der Agentur, die übrigens laut internationalen Übereinkommen Voraussetzung für den staatlichen Cannabishandel ist, hat man nun eine Lösung gefunden, die den Anbau und Handel in geordneten Bahnen leitet und mit der die CDU leben kann.

Aus Apothekerperspektive hat es andererseits leicht skurrile Züge, dass ausgerechnet hinter dem vergleichsweise schwachen Cannabis eine Agentur steht, die über alles wacht, während man bei Opiumtinktur und Opiumextrakt ohne Agentur auskommt und auf die  herkömmlichen  Betäubungsmittelwege vertraut. Sei’s drum, wenn’s denn hilft. Wann das Gesetz in Kraft tritt, die Agentur arbeiten kann, die staatlich kontrollierte Produktion anläuft und wann die erste Apotheke fünf Packungen Medizinalhanf bei der Agentur ordern kann, ist noch offen.

 

Wow! Noch ein Novum: Im Kammerbereich Westfalen-Lippe wollen Ärzte und Apotheker stärker kooperieren. Ja! Das muss man sich mal vorstellen. Da haben sich die Spitzen von Ärztekammer und Apothekerkammer eine zweitägige Klausur verordnet und ein gemeinsames Positionspapier verabschiedet. Herausgekommen ist der „Baumberger Impuls“ (benannt nach der Region Baumberge im Münsterland), der beschreibt, wie die Doktores und Apothekers noch intensiver zusammenarbeiten wollen und zwar so, dass die Patienten davon profitieren. Mein liebes Tagebuch, ich bin begeistert!  Bisher hörte man nur von Grabenkämpfen der beiden Berufsgruppen, von gegenseitigen Beschimpfungen und Vorurteilen. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Heilberufen wird zwar immer wieder gewünscht und gefordert, aber so richtig ist bisher noch nichts passiert. Wenn der Baumberger Impuls nicht nur ein Papier-Impuls bleibt, sondern tatsächlich eine bessere Kommunikation und Zusammenarbeit daraus entsteht, dann kommt dieses Papier einem echten Durchbruch gleich. Beim Medikationsplan könnte man schon mal üben. Also, mein liebes Tagebuch, drücken wir die Daumen, dass der Impuls zu einem Feuerwerk wird und Nachahmer in anderen Kammerbereichen findet. Aber man sieht: Es kommt immer wieder auf die Menschen an, die dahinter stehen. Auf Apothekerseite: Dank an die Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening, sie ist unsere Frau der Woche!

3. November 2015

Das neue Ökotest-Heft fiel mir in die Hände, dieses Mal mit einem Test von elf rezeptfrei erhältlichen Kortisonsalben. Vier schnitten mit „sehr gut“ ab, der Rest landete im Mittelfeld. Mein liebes Tagebuch, für Verbrauchertests sind in Deutschland Stiftung Warentest und Ökotest zuständig. Auch bei Arzneimitteln. Apotheker und ihre Institutionen haben da nichts zu melden. Ist das nicht irgendwie seltsam? Darf, nein, sollte man mal hinterfragen, warum das so ist, oder? Können wir Apotheker das nicht leisten? Wollen wir das nicht? Käme das nicht gut an in der Bevölkerung, wenn ein apothekereigenes Institut die Waren, die in der Apotheke verkauft werden, mal unter die Lupe nimmt?  Oder scheut man die Auseinandersetzung mit den Herstellern? Stiftung Warentest und Ökotest machen diese Tests nicht allein, sie ziehen Apothekerexperten hinzu wie beispielsweise Glaeske oder Schubert-Zsilavecz. Das könnten wir doch auch. Oder lieber doch nicht? Bei dieser Gelegenheit: Da gab‘ s doch mal einen Antrag auf dem Apothekertag des letzten Jahres, eine Auflistung von OTC-Arzneimittel zu erstellen und deren Evidenz zu Nutzen und Schaden aufzuarbeiten. Der Antrag wurde sogar angenommen und ist nicht im Ausschuss-Orkus der ABDA verschwunden. Aber draus geworden ist sichtlich nichts.  Ach ja, das ist sogar im neuen Berufsbild vorgesehen: „Der Apotheker wählt und empfiehlt… Arzneimittel…auf der Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher Bewertungen…“, heißt es da. Ja, und wo sind die Bewertungen?

4. November 2015

Hab schon mal reingeschaut, mein liebes Tagebuch, in die Online-Diskussion zum Berufsbild. Schon nach wenigen Tagen stehen einige gute Beiträge und Verbesserungsvorschläge drin. So wird beispielsweise mit Recht angemerkt, dass die eine oder andere sprachlich verunglückte  Formulierungen geglättet werden sollte. Auch zum Inhalt gibt’s Anmerkungen, wobei die noch mehr werden könnten. Zum Berufsbild selbst: Es bildet weitgehend den Status quo ab, immerhin, die Patientenorientierung ist drin. Aber umsetzbare Visionen oder Richtungen, die sich in unserem Berufsbild ausdrücken sollten, fehlen. Mein liebes Tagebuch, irgendwie ist die digitale Zukunft und alles, was sich daraus für den Apotheker ergeben könnte, noch nicht vorhanden. Was ist mit E-Health, mit Telepharmazie, mit Online-Beratung, Apps aus der Apotheke – klar, ist noch wenig konkret zu fassen, aber man könnte es im Berufsbild unterbringen.

 

Noch ist alles offen beim Medikationsplan. In der zweistündigen öffentlichen Anhörung zum E-Health-Gesetz nahm sich der Gesundheitsausschuss gerade mal zehn Minuten Zeit für den Medikationsplan. Martin Schulz von der ABDA erklärte den Abgeordneten, warum es wichtig ist, dass der Medikationsplan Rx- und OTC-Arzneimittel beinhalte und Apotheker von vornherein in die Erstellung des Medikationsplans einbezogen werden müssten. Und die Ärzte pochten darauf, die erste Ausstellung eines Medikationsplans zu übernehmen, aber den Apotheker brauche man, klar,  für die Ergänzung und Aktualisierung. Mein liebes Tagebuch, sie wollen einfach nicht loslassen, die Ärzte, sie wollen die Hoheit (und das Honorar), der Apotheker darf ein bisschen OTC und Rabattverträge ergänzen, eben das, was den Ärzten Arbeit machen würde. Es ist noch ein weiter, weiter Weg, bis Ärzte die Kompetenz des Apothekers anerkennen. Ob sich die Gesundheitspolitiker von den Argumenten der Apotheker werden überzeugen lassen? In den kommenden Wochen fällt die Entscheidung. 

5. November 2015

Wenn ein Arzt seinen Patienten anbietet, das Rezept an eine bestimmte Apotheke zu übermitteln, die dann die Patienten umgehend beliefert – ist das dann eine unerlaubte Form der Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker? Verstößt das gegen die freie Apothekenwahl? Die Wettbewerbszentrale mahnte den Arzt ab, das Landgericht entschied zugunsten des Arztes. Mein liebes Tagebuch, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Diese Art von Arztservice bzw. Arzt-Apotheker-Kooperation hat ein G’schmäckle. Man wäre naiv zu glauben, die Zuweisung geschieht aus purer Nächstenliebe. Wenn Arzt und Apotheker so kungeln, nennt man das eine Win-win-Situation und sagt, der Gewinner ist der Patient. Mein liebes Tagebuch, mal im Ernst: Da wird doch ein gewisser Druck auf den Patienten ausgeübt: Wenn der Herr Doktor seinem Patienten anbietet, das Rezept zu übermitteln und die Arzneimittel schicken zu lassen – welcher Patient sagt dann Nein? Irgendwie waren die Landgerichtsrichter wohl blauäugig, oder? Die Wettbewerbszentrale hat Berufung eingelegt.

 

Um Berufsnachwuchs zu werben, gehen Pharmazeuten in Niedersachsen in die Schulen und stellen den Schülern die Apothekenberufe Apotheker, PTA und PKA vor. Der Landesapothekerverband Niedersachsen hat die Kampagne ins Leben gerufen. Die Pharmazeuten zeigen kurze Filme und Präsentationen, verteilen Flyer und erzählen, warum und wie sie zu ihrem Beruf gekommen sind und wie der Apothekenalltag aussieht. Mein liebes Tagebuch, eine Super-Idee aus Niedersachsen! Also: zur Nachahmung freigegeben!

6. November 2015

Jeder Mensch hat zum Thema Sterbehilfe seine ureigene Meinung, abhängig von seinem Glauben oder Nichtglauben, von seinen Erfahrungen, von seiner Sozialisation. Die Bandbreite der Meinungen reicht von vollkommener Ablehnung des Suizids und einer Sterbehilfe bis hin zur Propagierung von Sterbehilfevereinen. Mein liebes Tagebuch, vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Bundestagsabgeordneten der richtige Schritt: geschäftsmäßige Sterbehilfe ist und bleibt verboten. Kein Mensch darf sich unter Druck gesetzt fühlen, sein Leben zu beenden, weil es geschäftsmäßig erlaubt wäre, Giftcocktails zu verabreichen. Andererseits hat jeder Patient das Recht, eine lebenserhaltende Behandlung abzubrechen oder sie erst gar nicht zu beginnen. Und im Extremfall, wenn Schmerzen unerträglich werden, wenn keine Aussicht auf Heilung, auf Besserung besteht und wenn der Patient es ausdrücklich verlangt, darf ein Arzt Beihilfe zur Selbsttötung leisten und zum Beispiel die Morphindosis so erhöhen, dass der Atemstillstand in Kauf genommen wird. Patienten, die ihre qualvolle Krankheit nicht mehr ertragen können und wollen, bleiben damit andere Formen der Selbsttötung  erspart.

Und dennoch, die Entscheidung des Bundestags ist eine Abwägung, die nicht allen gefällt. Aus Umfragen weiß man, dass über 40 Prozent der Deutschen selbst bestimmen möchten, wann sie ihrem Leben ein Ende bereiten. Sie möchten, dass ihnen ihr Arzt die Todesspritze gibt, wenn sie ihn darum bitten. Und für die Ärzte wird es in Zukunft trotz dieser Bundestagsentscheidung nicht leichter werden, ob sie dem Wunsch ihres Patienten nach Selbsttötung nachkommen. Ist es schon geschäftsmäßige Sterbehilfe, wenn sie mehr als einem Patienten helfen? Wie häufig dürfen Sie helfen? Wie gehen Ärzte im Hospiz, auf Palliativstationen mit diesem neuen Straftatbestand der geschäftsmäßigen Sterbehilfe um? Grauzonen bleiben. Andererseits, mein liebes Tagebuch, ist es auch gut so, dass wir hier kein Schwarz-weiß-Denken haben. Die Diskussion wird weiter gehen. Jedes Leben ist anders, ist individuell. Auch das Sterben. 


Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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