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Wenn Frauenärzte die „Pille“ verschreiben, sind sie angehalten, auf das Thromboserisiko der Frauen zu achten. Vor allem bei der Erstverordnung bei jungen Frauen wird zu älteren Präparaten geraten, deren Risiko gut einzuschätzen ist. Durch geschicktes Marketing wird versucht, diese Empfehlung zu umgehen. Ein Kommentar von Doris Uhl.
Es ist bitter zu sehen, wenn junge Frauen an den Folgen einer Lungenembolie sterben müssen oder für ihr Leben geschädigt werden. Besonders bitter ist es, wenn die „Pille“ dafür verantwortlich zu machen ist. Und noch bitterer ist es, wenn die Betroffenen erfahren, dass das ihnen verordnete Kontrazeptivum mit einem besonders hohen Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) behaftet war. Dann stehen plötzlich Vorwürfe im Raum wie „Der Arzt hat mich über dieses Risiko nicht aufgeklärt“ oder „Der Hersteller hat mit seiner Werbung suggeriert, dass die Pille ein harmloses Lifestyle-Produkt ist, das volles Haar, eine wunderbare Figur und aknegeplagten Teenagern eine schöne Haut beschert“.
Spiel mit der Werbung
Und in der Tat: Solche Vorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen. Das zeigt einmal mehr eine Werbung der zur Bayer AG gehörenden Firma Jenapharm für das hormonelle Kontrazeptivum Maxim®. Sie findet sich auf einem Flyer der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und zeigt eine junge Frau – halb im normalen Outfit, halb sportlich mit Fußball unter dem Arm. Daneben steht der Slogan: „Eine für alle* - wenn Pille, dann Maxim®*“.
Nun ist Maxim® ein kombiniertes orales Kontrazeptivum, das mit Dienogest ein Gestagen der sogenannten 3. und 4. Generation enthält. Damit zählt sie zu den „Pillen“, die pauschal zunächst einmal unter Verdacht stehen, ein höheres Thromboserisiko zu haben als „Pillen“ mit Gestagenen der 1. und 2. Generation.
Risiken 2013 bewertet
Da Gestagen nicht gleich Gestagen ist, hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zusammen mit anderen europäischen Behörden und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) im Jahr 2013 das Nutzen-Risiko-Verhältnis kombinierter oraler Kontrazeptiva bewertet und kam zu dem Schluss: Das Thromboserisiko wird durch alle KOKs erhöht, aber es ist unter Präparaten mit Drospirenon, Gestoden oder Desogestrel 1,5 bis zweifach höher als unter Präparaten mit Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat. Deshalb wird dringend geraten, bei Frauen unter 30 Jahren Levonorgestrel-haltige Präparate zu bevorzugen.
Für Dienogest fehlten den Behörden ausreichend Daten zur sicheren Abschätzung des Thromboserisikos. Darauf weist das BfArM auf seinen Seiten ausdrücklich hin. Doch ungeachtet dessen findet sich in den Fachinformationen Dienogest-haltiger Präparate folgender Satz: „Begrenzte epidemiologische Daten lassen vermuten, dass das Risiko für eine VTE bei Dienogest-haltigen KHK ähnlich wie bei Levonorgestrel-haltigen KHK ist". Ein Satz, der dem Marketing ungeahnte Möglichkeiten eröffnet.
Fachinfos für „interessierte Anwenderinnen“
So hat sich Jenapharm vor dem Hintergrund der jüngsten Warnung der Techniker Krankenkasse und einem in der ARD ausgestrahlten Beitrag „Todkrank durch die Pille – Klage gegen den Pharmakonzern Bayer“ mit einem Schreiben zu Maxim® und dessen Thromboserisiko an die Frauenärzte gewandt. Darin wird kritisiert, dass auf „diese für Ethinylestradiol-Dienogest-Kombinationen geltende Besonderheit“ weder im Rote-Hand-Brief noch in der Packungsbeilage hingewiesen wird. Auch in den Medien werde darüber in der Regel nicht berichtet!
Jenapharm gibt deshalb den Ärzten den Tipp, „interessierten Anwenderinnen" auf Nachfrage die Fachinformation zu geben und im Rahmen des Aufklärungsgesprächs auf diese Aussage in den Fachinformationen hinzuweisen. Es gebe keinen Grund, Kombinationen aus Ethinylestradiol und Dienogest nicht zu verordnen, sofern keine Gegenanzeige vorliegt.
Spiel mit Vermutungen
Das alles ist wahrscheinlich juristisch nicht zu beanstanden, aber es ist ein perfides Spiel mit der tatsächlichen Datenlage. Denn die begrenzten epidemiologischen Daten zum venösen Thromboembolie-Risiko unter Dienogest lassen nur Vermutungen zu, sie sind einfach kein Beleg für ein im Vergleich beispielsweise zu Drospirenon geringeres Risiko. Natürlich muss an dieser Stelle hinterfragt werden, warum die europäische Zulassungsbehörde es zulässt, dass solch eine Vermutung in die Fachinformationen Eingang findet. Dass diese Information falsch verstanden werden kann, scheint ihr zumindest klar gewesen zu sein. Warum sonst wurde diese Information in die für Anwenderinnen gedachte Packungsbeilage nicht aufgenommen?
BfArM wartet auf Daten
Ungeachtet dessen empfiehlt das BfArM konsequent, vor allem bei Erstanwenderinnen unter 30 Jahren KOKs mit bekannt niedrigem Risiko (Levonorgestrel-haltige KOKs) zu bevorzugen. Denn bis heute liegen der Behörde zu Dienogest keine neuen Studiendaten vor, aus denen sich Hinweise auf ein sehr niedriges, dem Levonorgestrel vergleichbaren VTE-Risiko ableiten lassen. Und so schnell wird sich das wohl nicht ändern: mit einer finalen Auswertung einer von der EMA als Auflage erteilten Metaanalyse zu dieser Problematik ist laut BfArM frühestens im dritten Quartal 2017 zu rechnen.
Solange das so ist, lässt sich wunderbar die Lifestyle-Werbestrategie, die schon bei YAZ und Co. hohe Verordnungszahlen beschert hat, auf Maxim® übertragen. Maxim®-ales Marketing also – hoffentlich nicht mit einem bitteren Ausgang für irgendeine der Anwenderinnen.
Aktualisierung (12/2018): Auch erhöhtes Thromboembolie-Risiko unter Dienogest. Inzwischen liegen die Daten der erwarteten Metaanalyse zum venösen Thromboembolie-Risiko unter Dienogest vor. Es ist höher als das unter Levonorgestrel-, Norethisteron- und Norgestimat-haltigen oralen Kontrazeptiva und liegt in der gleichen Größenordnung von Desogestrel, Gestoden und Drospirenon. In einem Rote-Hand-Brief informierte der Hersteller am 11. Dezember 2018 über die Ergebnisse und die sich daraus ergebenden Änderungen in den Fachinformationen.
*Mit folgender Fußnote weist Jenapharm auf das VTE-Risiko hin: Bei der Entscheidung Maxim® zu verschreiben, sollten die aktuellen, individuellen Risikofaktoren der einzelnen Frauen im Hinblick auf VTE berücksichtigt werden. Das Risiko sollte mit dem anderer kombinierter hormoneller Kontrazeptiva verglichen werden.
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