Anzeige gegen Pradaxa-Zulassung

Boehringer im Visier der Staatsanwaltschaft

Berlin - 08.12.2015, 08:30 Uhr

Boehringer Ingelheims Pradaxa beschäftigt jetzt die Mainzer Staatsanwaltschaft. (Foto: Boehringer)

Boehringer Ingelheims Pradaxa beschäftigt jetzt die Mainzer Staatsanwaltschaft. (Foto: Boehringer)


Die neuen oralen Antikoagulanzien stehen unter besonderes kritischer Beobachtung. In den USA trommeln Anwälte bereits seit 2012 Kläger für eine Sammelklage gegen die Hersteller zusammen. Nun ist auch eine deutsche Staatsanwaltschaft gegen Pradaxa-Hersteller Boehringer aktiv geworden.

Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen, sind ein weltweites Milliardengeschäft. 2014 wurden laut Arzneiverordnungs-Report mehr als 557 Millionen Tagesdosen orale Antikoagulanzien verordnet. Die neueren Präparate Pradaxa® (Boehringer), Xarelto® (Bayer) und Eliquis® (Bristol Myers Squibb), die zur Vermeidung von Schlaganfällen bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern eingesetzt werden, legten in den letzten Jahren kräftig zu. Dagegen gingen die Verordnungszahlen von Marcumar® und seinen Generika zurück. Doch die neuen Arzneimittel stehen auch in der Kritik – nicht nur, weil sie teurer sind als die bewährte Standardtherapie. Man hat zudem noch nicht die gleichen Erfahrungswerte. Den neuen Substanzen wird vielmehr ein höheres Risiko zugeschrieben – bis hin zu Todesfällen. Bei der Mainzer Staatsanwaltschaft ist im Sommer eine Anzeige gegen Boehringer Ingelheim eingegangen. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, wird den Verantwortlichen des Pharmakonzerns vorgeworfen, die europäische Zulassungsbehörde EMA sowie Patienten und Ärzte getäuscht zu haben.

Die Staatsanwaltschaft Mainz bestätigte gegenüber DAZ.online, dass am 30. Juli eine Strafanzeige von privater Seite eingegangen sei. Ein offizielles Ermittlungsverfahren gibt es allerdings noch nicht. Es wird noch geprüft, ob ein Anfangsverdacht verfolgbarer strafbarer Handlungen auszumachen ist. Dass die staatsanwaltliche Vorarbeit einige Zeit in Anspruch nimmt, erklärt die Behörde auch damit, dass die rechtlichen Probleme in diesem Fall „relativ komplex“ seien.

Interne Erkenntnisse verschwiegen?

Laut „Handelsblatt“ geht es darum, dass Boehringer gegenüber der EMA interne Erkenntnisse verschwiegen habe. Dabei soll es um Zahlen zu Unter- und Überdosierungen gegangen sein, die einem Boehringer-Forscher schon 2011 vorgelegen hätten. Sie sollen ein wesentliches Verkaufs-Argument für Pradaxa® ins Wanken bringen: dass regelmäßige Bluttests beim Arzt nicht mehr nötig sind. 2014 hatte bereits das „British Medical Journal“ (BMJ) von entsprechenden internen Analysen des Konzerns aus dem Jahr 2011 berichtet.

Boehringer Ingelheim weist die Vorwürfe zurück. Das Unternehmen stehe „fest hinter dem positiven Nutzen-Risiko-Profil von Pradaxa®, das von über 100 Gesundheitsbehörden weltweit bestätigt wurde“. Das Unternehmen verweist auf seine Zulassungsstudie, die für Pradaxa® ein gegenüber Marcumar und anderen Vitamin-K-Antagonisten überlegenes Nutzen-Risiko-Profil gezeigt habe. Seit der Markteinführung hätten die EMA und die US-amerikanische FDA dieses regelmäßig bestätigt.

Boehringer: Wachsende Erfahrung und keine Zweifel am Sicherheitsprofil

Zudem sei Pradaxa® mittlerweile seit mehr als sieben Jahren auf dem Markt. Die Erfahrung mit dem Präparat wachse damit stetig an. Sie umfasse inzwischen weit über 5 Millionen Patientenjahre in allen zugelassenen Indikationen. Es lägen keinerlei neue Erkenntnisse vor, die das Sicherheitsprofil von Pradaxa® in Zweifel ziehen. Boehringer warnt sogar: In keinem Fall sollten Patienten einen eigenmächtigen Therapieabbruch erwägen, da sie damit ihr Risiko für einen Schlaganfall erhöhen würden.

Tatsächlich gibt es für Pradaxa seit Kurzem sogar ein Antidot: Idarucizumab (Praxbind®). Soweit sind die Mitbewerber noch nicht.

Was das Verfahren in Mainz betrifft, heißt es bei Boehringer: „Wir werden wie immer in solchen Fällen mit der Staatsanwaltschaft in Mainz kooperieren und alle Unterlagen vorlegen“.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Hat das Pharmaunternehmen Erkenntnisse aus Studien zurückgehalten?

Boehringer im Visier der Staatsanwälte

Defektes Messgerät verwendet

Xarelto-Zulassungsstudie wird überprüft

Staatsanwaltschaft lehnt Anzeige ab – Nutzen-Risiko-Verhältnis von Pradaxa® positiv

Kein Strafverfahren gegen Boehringer

Gerinnungshemmer I: Boehringer schließt Vergleich

Pradaxa® kostet Millionen

USA: 150 Klagen gegen Boehringer

Pradaxa® wegen Blutungsrisiko unter Beschuss

Phase-IV-Studie belegt Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten nach tiefer Venenthrombose

Rivaroxaban zeigt sich alltagstauglich

3 Kommentare

Pradaxa

von Dr Schweikert-Wehner am 09.12.2015 um 9:25 Uhr

Danke Herr Dr. Pommer für den treffenden Kommentar! Pradaxa wird zu 80% über die Nieren abgebaut. Da muss man schon im Pharmakologieunterrricht komplett gepennt haben um zum Schluss zu kommen, daß es dann keine Einschränkung bei Niereninssufizienz gibt. Auch die Pradaxa Toten waren denen egal. Erst mit der Klagewelle haben die die Warnhinweise publiziert. Das sind mal Geschäfte ohne Skrupel!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Boehringer und Pradaxa

von Dr. Peter Pommer am 08.12.2015 um 17:40 Uhr

Das Gegenmittel Idarucizumab (Praxbind®) ist nicht mehr als ein wirkungsloser Fake.

Pradaxa wird alle 12 Stunden eingenommen. Die im New England Journal of Medicine veröffentlichte Vorauswertung der zur Zulassung führenden Studie (http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1502000) sagt wörtlich: " hemostasis, as determined by local investigators, was restored at a median of 11.4 hours" .
Das ist doch wohl ein wirklich schlechter Witz bei 12-stündigem Einnahmeintervall?!

Anfänglich wurde das Problem der Überdosierung bei Niereninsuffizienz nicht aktiv von Aussendienst kommuniziert um die Marktübernahme mit kurzem Vorsprung vor Xarelto von Bayer nicht zu gefährden. Das hat Tausenden von Menschen in der Welt das Leben gekostet (siehe Prozess in den USA), man könnte auch behaupten, hier ist Boehringer aus unternehmenspolitischen Gründen über Leichen gegangen, was ja nichts Neues wäre, wenn man an die Produktion von Agent Orange in den 60ern denkt.

Nicht vom Aussendienst kommuniziert wurde bisher auch, dass es sich bei Dabigatran um eine Prodrug handelt, so dass bei schlechter Leberfunktion auch die Wirkung von Dabigatran versagen kann. Auch hier liegen vielleicht noch weitere Leichen im Keller, die erst noch gefunden werden müssen.

Aber so lange man einen Kirchentagspräsidenten als Chef hat, heute Andreas Barner, damals in der Agent Orange Ära Richard von Weizäcker, hat man gute Hoffnung auf Absolution.

Dr. med. Peter Pommer

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Pradaxa

von Dr Schweikert-Wehner am 08.12.2015 um 8:44 Uhr

BI sollte endlich reinen Tisch machen und alle Daten veröffentlichen. Dagegen ist der VW Skandal wahrscheinlich Peanuts.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.