GKV-Spitzenverband

Eine Nutzenbewertung reicht nicht

Berlin - 11.12.2015, 13:54 Uhr

Neue Arzneimittel: Welche Risiken im Versorgungsalltag auftreten können, ist bei der Zulassung noch ungewiss. (Foto: grafikplusfoto/Fotolia)

Neue Arzneimittel: Welche Risiken im Versorgungsalltag auftreten können, ist bei der Zulassung noch ungewiss. (Foto: grafikplusfoto/Fotolia)


Dass die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel nur begrenzte Aussagekraft hat, ist allen bewusst: Während die Hersteller jedoch eher davon ausgehen, dass der Nutzen im Versorgungsalltag klarer sichtbar wird, weist der GKV-Spitzenverband auf die Risiken hin, die sich erst nach Markteinführung zeigen.    

Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) und sein Herzstück, die frühe Nutzenbewertung, sind jetzt fast fünf Jahre alt. Nach wie vor gilt das AMNOG-Verfahren als ein lernendes System. An einigen Stellschrauben wurde bereits gedreht – im kommenden Jahr könnte der Gesetzgeber nochmals Hand anlegen. Dabei gehen die Meinungen, wo Nachbesserungsbedarf ist, auseinander - die Hersteller haben selbstverständlich einen anderen Blick auf die Dinge als die Kostenträger. An Vorschlägen zur Nachjustierung mangelt es jedenfalls nicht.

Der GKV-Spitzenverband, maßgeblicher Player im Verfahren, hat sich nun für regelhafte weitere Bewertungen von neuen Arzneimitteln ausgesprochen, um spätere Erkenntnisse aus dem Versorgungsalltag einfließen zu lassen.

27 Warnungen seit 2012 zu AMNOG-Arzneimitteln

Der GKV-Spitzenverband argumentiert mit den 27 Rote-Hand- oder Informationsbriefen, die es in den vergangenen Jahren zu Arzneimitteln gab, die die frühe Nutzenbewertung durchlaufen haben. 17 dieser 27 verschickten Hinweise hätten vor bisher unbekannten und durchaus schwerwiegenden Nebenwirkungen gewarnt. 15 davon betrafen Arzneimittel mit einem attestierten Zusatznutzen.

Etwa Wirkstoffe aus dem Hepatitis C Bereich, die die Kostenträger angesichts ihrer hohen Preise ohnehin mit gemischten Gefühlen betrachten: Hier wurde vor schwerwiegenden Wechselwirkungen zwischen fixen wie freien Hepatitis C-Kombinationstherapien und Amiodaron zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen gewarnt. Seit Markteinführung im Jahr 2014 habe es acht Fälle von schwerem verlangsamten Herzschlag oder Herzblock bei Patienten gegeben, die entsprechende Arzneimittel erhielten, so der der GKV-Spitzenverband. Der Mechanismus, der diesen Befunden zu Grunde liegt werde erst jetzt näher untersucht.  

Ein weiteres Beispiel betrifft die Multiple-Sklerose-Behandlung. Hier informierten vor einem Jahr und im Februar 2015 Rote-Hand-Briefe, dass es nach der Einnahme von zwei dimethylfumerathaltigen Arzneimitteln zu einer schweren viralen Erkrankung des zentralen Nervensystems (progressiven multifokalen Leukenzephalopathie = PML) kommen kann. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte habe im April 2015 über elf PML-Fälle im Zusammenhang mit der Anwendung der Arzneimittel in Deutschland informiert.

Stackelberg: Neuer Erkenntnisgewinn muss abgebildet werden

„Das grundsätzlich begrüßenswerte Bemühen, Patienten möglichst früh einen Zugang zu neuen Arzneimitteln zu eröffnen, birgt leider auch Risiken“, betont Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. Die angeführten Beispiele zeigten „in bedrückender Weise“, dass bei Arzneimitteln nach der Zulassung eine neue Stufe des Erkenntnisgewinns beginne. „Diese Dynamik müssen wir in den Nutzenbewertungen abbilden“, fordert von Stackelberg. Statt den Nutzen eines neuen Arzneimittels nur einmal zu prüfen, sollten regelhaft erneute Bewertungen auf Basis realer Versorgungsdaten als verpflichtender Standard beim Gemeinsamen Bundesausschuss verankert werden, schlägt er vor. So könnten Erkenntnisse über schwere Nebenwirkungen, die erst nach langer Behandlung auftreten, in eine erneute Bewertung einfließen.

BPI: Aufgabe der Behörden, nicht der Selbstverwaltung

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) konterte prompt: Was der GKV-Spitzenverband fordere, sei eine seit Jahrzehnten geregelte Aufgabe der behördlichen Überwachung im Rahmen der Pharmakovigilanz – und keine Aufgabe der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. „Der GKV-Spitzenverband tut geradezu so, als ob es das ausgefeilte Instrumentarium der Pharmakovigilanz nicht gäbe und die Arzneimittelsicherheit von ihm bzw. dem Gemeinsamen Bundesausschuss abhänge“, sagt Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer. Sollten sich aus den Bewertungen der Zulassungsbehörden Rückwirkungen auf die Zusatznutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses ergeben, könne dieser schon heute eine erneute Bewertung des Arzneimittels anstoßen.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

frühe Nutzenbewertung

von Dr. Peter Post am 11.12.2015 um 21:59 Uhr

Warum sollen eigentlich nur Arzneimittel der Nutzenbewertung unterzogen werden? Wenn man den Nutzen der vielen gesetzlichen Kassen bewertete und daraus Konsequenzen zöge, blieben uns gewaltige Verwaltungskosten erspart und könnten einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.

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Nutzenbewertung

von Bernd Küsgens am 11.12.2015 um 18:31 Uhr

Warum will der GKV-Spitzenverband nicht selber die Bewertung von Zusatznutzen und weiteren Erkenntnisgewinn selber übernehmen? Dann kann man doch endlich den GBA auflösen. Außerdem kann doch der Spitzenverband die Novellierung des AMNOG übernehmen. Dann ist der KK-Staat endlich komplett.

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