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Vor dem nächsten Coup
Gieriger Pharma-Manager festgenommen
Das Enfant terrible der Pharma-Branche sorgt nach dem Skandal um die Preiserhöhung für ein Arzneimittel, auf das HIV-Erkrankte angewiesen sind, erneut für Aufregung. Diesmal geht es um Arznei gegen die Chagas-Krankheit, die meist arme Menschen in Lateinamerika trifft. Dass er wegen dubioser Finanzpraktiken jetzt sogar festgenommen wurde, ist dabei beinahe der kleinere Aufreger.
„Meistgehasster Mann Amerikas“, „Geldgierig“, „Gewissenlos“, „Kapitalist“ – auf diese Attribute trifft, wer im Internet nach Martin Shkreli sucht. Der 32-Jährige Vorstandsvorsitzende des Pharma-Unternehmens Turing Pharmaceuticals AG mit Sitz in New York und im Schweizer Zug macht nicht nur in der Pharma-Branche mit seinem Geschäftsgebaren von sich reden. Dabei zieht er sich den Unmut von Branchen-Kollegen, Ärzten, Patienten, Politikern, Menschenrechtlern und sozial Engagierten zu, einzig in der Finanzwelt gab es einige wenige lobende Worte. Und selbst dort dürfte er nun unbeliebt sein, nachdem er jetzt wegen des Verdachts festgenommen wurde, Investoren um zehn Millionen Euro betrogen zu haben.
Der neben der Festnahme neueste Aufreger trägt den Namen „Benznidazol“. Der Arzneimittel-Wirkstoff aus der Gruppe der Nitroimidazole wird zur Behandlung der Chagas-Krankheit eingesetzt, einer vom parasitischen Einzeller Trypanosoma cruzi verursachten und von Raubwanzen übertragenen Infektion. Hauptsächlich in Lateinamerika ist die Krankheit verbreitet, insgesamt sind nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO rund 18 Millionen Menschen infiziert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2009 gibt es jährlich 50000 Neuinfektion und rund 15000 Todesfälle.
Rechte an nicht zugelassenem Benznidazol erworben
Shkrelis Firma hat nun im November 2015 die Mehrheit an dem kriselnden kalifornischen Biotechnologie-Unternehmen KaloBios erworben, das anschließend unter Shkrelis Führung die Rechte an einer Variante des bereits in den 70er-Jahren entwickelten Wirkstoff Benznidazol für die USA erwarb. KaloBios kaufte sie vom Unternehmen Savant Neglected Diseases LLC. In den Vereinigten Staaten ist das Arzneimittel bislang nicht zugelassen – seit 1955 gab es in den USA nach Angaben des amerikanischen Seuchenkontrollzentrums CDC nur sieben akute Fälle.
Bald Preise auf dem Niveau von Hepatitis-C-Arzneimitteln?
KaloBios will nun die Zulassung durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA beantragen. Wird sie erteilt, soll – so sagte Shkreli laut New York Times auf einer Konferenz mit KaloBios-Investoren Anfang Dezember – der Preis für das lebensrettende Arzneimittel auf „das Niveau von Hepatitis C-Arznei steigen“. Die Kosten dafür lägen dann bei rund 100.000 Dollar pro Behandlungszyklus. Nach der Zulassung dürfte KaloBios das Mittel in den USA für fünf Jahre exklusiv vertreiben. Ferner wolle man die weltweite Lizensierung dieser Variante vorantreiben.
Betroffen wären die Ärmsten
„Das wäre eine Katastrophe, reine Geldgier auf dem Rücken von Menschen, die an schweren Krankheiten leiden“, sagt Thomas Zoller, Leiter des Deutschen Chagas-Projektes „ElCiD“ (http://chagas.info ) und Oberarzt der Infektiologie der Berliner Charité. ElCiD will die Erforschung und Verbreitung des Wissens über die Krankheit fördern. Chagas sei eine Krankheit, die vor allem Arme in Lateinamerika beträfe. Dort, wo die Menschen in einfachen Häusern oder Hütten leben, können die Raubwanzen in die Unterkünfte gelangen und nachts, wenn die Menschen schlafen, zustechen und Blut saugen. Über den Kot der Wanzen, der in die Wunden und die Schleimhäute gerieben wird, gelangt dann der Erreger ins Blut. Betroffen sind demnach vor allem ländliche Gebiete. „Der gezielte Aufkauf von Patenten von Arzneimitteln zur Behandlung vernachlässigter oder armutsbedingter Erkrankungen zum Zwecke der Profitmaximierung ist moralisch äußerst fragwürdig. Es sollte sichergestellt werden, dass die Rechte an diesen Arzneimitteln in den Händen öffentlicher oder gemeinnütziger Institutionen liegen", erklärt Zoller.
Die Infektion mit Trypanosoma cruzi kann akut zu Fieber, Luftnot, Bauchschmerzen oder sogar Krampfanfällen führen. Wird die Krankheit nach einer manchmal jahrelangen Latenzphase chronisch, kann es zu schweren Komplikationen der Verdauungsorgane bis hin zum Tod sowie zu Herzvergrößerung und sogar -versagen kommen.
Ein Präparat der WHO-Liste unverzichtbarer Arzneimittel
„Benznidazol ist das hauptsächliche Arzneimittel gegen den Erreger“, sagt Zoller. Die WHO hat es in die Liste unverzichtbarer Arzneimittel aufgenommen. Bislang wird es zum Teil kostenlos durch die Weltgesundheitsorganisation verteilt. Ursprünglich wurde es von Roche entwickelt. 2003 spendete das Unternehmen das Patent an den brasilianischen staatseigenen Pharma-Hersteller Lafepe. Derzeit wird es auch in Argentinien hergestellt, die Kosten für eine typische zwei Monate dauernde Therapie liegen derzeit bei nur rund 100 Dollar. Befürchtet wird, dass sich das durch Shkrelis Agieren mit den Rechten für das Arzneimittel ändert und der Wirkstoff in Zukunft nicht mehr oder nur sehr schwierig für die Erkrankten zu bekommen sein wird.
Das einzige andere Arzneimittel gegen Chagas stammt vom deutschen Pharma-Riesen Bayer. Die Versorgung mit Nifurtimox gilt nach einer Vereinbarung zwischen WHO und Bayer als gesichert.
Die eigentliche Motivation könnte eine andere sein
Experten vermuten allerdings, dass der eigentliche Beweggrund des Pharma-Managers Shkreli, die Rechte an Benznidazol zu erwerben, ein anderer ist. Da die hauptsächlich Betroffenen die dann hohen Preise wohl gar nicht bezahlen könnten und es im Markt USA bislang – trotz einer steigenden Tendenz vor allem im Süden – kaum genügend Erkrankte gibt, um mit Benznidazol ein Geschäft zu machen, gehe es dem Unternehmen wohl eher um den Erwerb eines sogenannten FDA-Gutscheins. Die US-Behörde vergibt diese seit 2007 für Arznei gegen vernachlässigte tropische sowie bestimmte Kinder-Krankheiten. Diese Voucher können die Zulassung von Arzneimitteln auf dem US-Markt erheblich beschleunigen, werden von der FDA kostenlos vergeben und sind handelbar. Der Verkauf solcher Gutscheine hat sich zu einem lukrativen zweiten Markt entwickelt, schrieb das Wall Street Journal im November 2015. Es werden zum Teil dreistellige Millionen-Beträge dafür gezahlt.
Erst im September 2015 hatte Shkreli für Aufregung gesorgt, als Turing Pharmaceuticals die Rechte für das Arzneimittel Pyrimethamin mit dem Handelsnamen Daraprim kaufte. Es ist das einzige Mittel gegen den Parasiten Toxoplasma gondii, der von Katzen auf den Menschen übertragen wird und hauptsächlich bei Immungeschwächten wie etwa HIV-Patienten die Krankheit Toxoplasmose auslöst. Obwohl der Patentschutz für das über 60 Jahre alte Arzneimittel längst abgelaufen ist, hat Turing eine Art Monopol-Stellung inne, da sonst kein Unternehmen Pyrimethamin produziert. Für einen Aufschrei sorgte Shkreli dann, als quasi über Nacht der Preis des Arzneimittels um über 5000 Prozent von bis dahin 13,50 US-Dollar auf 750 US-Dollar pro Tablette stieg.
Nachdem Shkreli unter anderem via Twitter diese Aktion mit Bezug auf die Regeln von Angebot und Nachfrage im Kapitalismus verteidigte, brachte ihm das viel Kritik in den Medien und den sozialen Netzen ein sowie einen Ruf als skrupelloser Geschäftemacher. Inzwischen ruderte das Unternehmen zumindest teilweise zurück und will Ärzten Daraprim günstiger anbieten.
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