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Spezial: Klinische Studien in der DDR
Heimliche Spritzen von Knorpelschutzmittel Arteparon
Die Journalistin Dagmar Möbius will wissen, ob das Arzneimittel Arteparon, das ihr zu DDR-Zeiten injiziert wurde, ihr Leiden vielleicht weiter verschlimmert hat. Doch die verantwortlichen Mediziner in Dresden schweigen. Ihr Bericht.
Die Kopie
meiner Patientenakte, sie stammt aus der Medizinischen Akademie Dresden, lag
viele Jahre im Schrank. Bis 2013. Bei einer Expertendiskussion in der Charité,
Thema DDR-Medikamententests, erfahre ich, dass Medizinhistoriker im
Bundesarchiv in Berlin Verträge über honorierte klinische
Auftragsuntersuchungen gefunden haben. Sind vielleicht auch Unterlagen der
Münchener Firma Luitpold, genauer, zu ihrem umstrittenen Knorpelschutzmittel Arteparon
dabei? Das habe ich erhalten.
In meiner Patientenakte finden sich jedenfalls keine Hinweise auf eine Studie. Die Aufzeichnungen sind unvollständig, sie beginnen im Oktober 1983 mit Seite 3. Seite 1 und 2 fehlen komplett. Ein Aufklärungsgespräch ist nicht dokumentiert. Dass die Arteparon-Injektionen teilweise ohne Assistenz in einer Abstellkammer der Orthopädischen Klinik stattfanden, auch nicht.
„5.10.83 Beschwerden rechts weniger, links mehr. (KG). Befund: 7 /Ex 135/0/0 bds. Keine Meniskuszeichen.“ Drei Zeilen unleserlich . „Diagnose: Retropatellararthrose li, re. Op nach Bandi re. 4/83. Ordo: Arteparonkur li (Voltaren ohne Wirkung, Metindol nicht vertragen).“
„3.1.84 1. Inj. Artep. + Xylo li. KG ….“
Die Erinnerungen sind sehr präsent. Arthrose. Eine Diagnose für Rentner. Mit 16 Jahren! Das ist so selten, dass das Robert Koch-Institut die Lebenszeitprävalenz von Arthrose bei unter 18-Jährigen gar nicht erhoben hat. Für 18- bis 29-jährige Frauen liegt sie bei 2,7 Prozent. Man greift nach jedem Strohhalm, der Besserung verspricht. So auch ich: Das Angebot meines damaligen Arztes, er sagte „das Medikament gibt es bei uns nicht, es könnte Ihnen helfen“, klang vielversprechend. Also habe ich zugestimmt.
Todesfälle und Gerichtsverfahren
Nach dem Vortrag in der Charité fällt mir dies alles wieder ein. Ich beginne nachzuforschen. Ich möchte wissen, ob mir das Mittel damals geholfen hat – oder hat es mein Leiden vielleicht nur noch schlimmer gemacht? Ich suche die Wahrheit, keinen Skandal.
Die Zeitschrift arznei-telegramm berichtete bereits 1982 über „immunallergische Reaktionen mit tödlichem Ausgang“ nach einer Anwendung von Arteparon. 1986 bescheinigte eine Kommission des Bundesgesundheitsamts dem Mittel „fehlende Wirksamkeit, aber nicht vertretbare Risiken“, es durfte nur noch direkt in das betroffene Gelenk gegeben werden.
Von diesen Gefahren müssen die Ärzte in Dresden gewusst haben, als sie mich behandelten. Sie verloren mir gegenüber allerdings kein Wort darüber.
Nach weiteren Todesfällen ordneten die Behörden 1988 ein vorläufiges Ruhen der Zulassung an. Nach einigen vom Hersteller betriebenen juristischen Gefechten kam das Medikament wieder auf den Markt. 1990 wurden 100.000 Packungen mit je fünf Ampullen abgesetzt. Nachdem es 1992 zu einem erneuten Todesfall gekommen war, veranlasste Luitpold bis zur Aufklärung des Falles vorsorglich einen Stopp der Produktion und des Vertriebs. Gutachter fanden zwar keine Kausalität zwischen der Gabe von Arteparon und dem Tod der Patientin, dennoch nahm Luitpold das Medikament 1993 schließlich freiwillig vom Markt.
(Bild: Volker Hess, Institut für Geschichte in der Medizin an der Charité - der die DDR-Pillentests untersucht - mit Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStA, dpa)
Suche in Archiven
Für den Konzern scheint das Thema damit beendet. Für mich nicht. Wie viele Menschen in der DDR haben Arteparon erhalten? Häufen sich ungewöhnliche, altersuntypische Folgeerkrankungen? Das alles ist bis heute nicht bekannt.
Auf meine Rückfragen reagieren alle Verantwortlichen gereizt. Dennoch: In der Außenstelle des Universitätsarchivs am Dresdner Uniklinikum finde ich Hinweise in anderen Zusammenhängen (siehe Foto). So erwähnt eine Patientin in einer im April 1980 formulierten Beschwerde über das Verhalten des Klinikdirektors eine geplante mehrmonatige Injektionsbehandlung wegen Arthrose.
In den nächsten Wochen muss ich lernen: In der Außenstelle des Universitätsarchivs am Dresdner Uniklinikum lagern zwar Verträge zwischen dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR und der Medizinischen Akademie, Protokolle des Wissenschaftlichen Rates, Informationsberichte, Eingaben, Ernennungsurkunden, Publikationen und Jahresberichte. Doch aus der Orthopädischen Klinik fehlt Schriftverkehr ganzer Jahrgänge, vor allem der fraglichen. Vorschriftswidrig und trotz wiederholter Aufforderungen hat sie ihren Aktenbestand als einzige Klinik des Uniklinikums nicht ins Universitätsarchiv überführt.
(Foto: In der Außenstelle des Universitätsarchivs am Dresdner Uniklinikum werden unter anderem Schriftverkehr administrativer Vorgänge, wissenschaftliche Publikationen und Personalangelegenheiten aufbewahrt. Patientenunterlagen sind hier nicht archiviert. Forschungsunterlagen sind erst ab 1991 verfügbar. Dokumente der Orthopädischen Klinik der früheren Medizinischen Akademie aus den 1980er Jahren wurden dem Archiv bisher nicht zugeführt. Foto: Dagmar Möbius)
Ich bitte Professor Klaus-Peter Günther, seit 2002 Direktor der Orthopädischen Klinik, um eine schriftliche Stellungnahme, auch zu fachlich-medizinischen Konsequenzen für Betroffene. Eine Antwort erhalte ich nur über die Pressestelle des Uniklinikums: Per Mail schreibt mir die Praktikantin, meine Anfrage könne nicht beantwortet werden, „da uns aus jener Zeit leider keine Unterlagen mehr vorliegen“. Weiter: „Wir bitten um Ihr Verständnis dafür, dass wir ohne fundierte Informationen aus der Vergangenheit keine aktuelle Einschätzung zum damaligen Einsatz von Arteparon geben können.“
Es will sich einfach niemand erinnern, fürchte ich.
Auch Dr. B., heute niedergelassener Orthopäde in Dresden, konfrontiere ich stellvertretend mit der Vergangenheit. Ich bin sicher, dass er das damals Bestmögliche getan hat. Nach insgesamt drei wirkungslosen Spritzenkuren schloss er mich in eine Akupunkturstudie ein. Mit korrekter Aufklärung und ganz offiziell als Forschungsprojekt. Vielleicht verdanke ich ihm, dass ich heute nicht, wie damals befürchtet, im Rollstuhl sitze. Doch auch er schweigt.
Arteparon-Studien bestätigt
Zwischenzeitlich berichtet das Unternehmen Daiichi Sankyo Deutschland, das den Arteparon-Hersteller Luitpold aufgekauft hat: „In unseren Nachforschungen haben wir aussagekräftige Hinweise darauf gefunden, dass der Vertrieb von Arteparon in der DDR auf Initiative des DDR-Gesundheitsministeriums genehmigt war. Dass Medikamente aus dem Westen auf Initiative der DDR dort getestet und vertrieben wurden, scheint keine Seltenheit gewesen zu sein. Auch die DDR wollte am medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritt teilhaben, so dass der Zentrale Gutachterausschuss für das Arzneimittelwesen eine systematische klinische Erprobung erfolgsversprechender Medikamente aus dem Westen unterstützte und entsprechende Studien durchführen ließ. Auch bei Arteparon war dies der Fall. (...) Da in späteren Publikationen der Produktname Arteparon genannt ist, gehen wir davon aus, dass der Vertrieb und die Anwendung von Arteparon daraufhin in der DDR genehmigt wurden.“
Sicher sei, dass Arteparon über einen großen Rückhalt seitens der Ärzteschaft verfügte, schreibt Daiichi Sankyo.
Aktenkopien trotzdem vorhanden
Diese Ausführungen helfen den in den Achtzigerjahren behandelten DDR-Patienten nicht viel. Wer kann ihnen Klarheit verschaffen?
Hoffnungslos ist die Lage trotz teils bereits geschredderter Akten nicht. Wissenschaftler der Charité Berlin sowie der Universitätsstandorte Jena, Halle-Wittenberg und Leipzig versuchen derzeit, Licht ins Dunkel der DDR-Pharmatests zu bringen. Bisher haben sie keine Hinweise darauf gefunden, dass Unregelmäßigkeiten in der Medizinischen Akademie Dresden gemeldet worden seien. Das wundert mich nicht – ich wusste jedenfalls nicht, dass ich mich wegen meiner Beschwerden hätte melden können und müssen.
7 Kommentare
Arteparon
von Amina Dreetz am 01.05.2019 um 20:50 Uhr
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Arteparon Injektionen
von Evelyn Ludwig am 08.02.2019 um 19:29 Uhr
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Arteparon
von Werner Rönnfeldt am 05.02.2017 um 12:33 Uhr
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Arteparon
von Lutz Kunze am 28.01.2017 um 17:40 Uhr
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Arteparon-Injektionen
von Margarete Schwer am 25.06.2016 um 18:51 Uhr
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AW: Arteparon-Injektionen 1981
von Stefan Waskönig/Cronberger am 19.11.2016 um 16:01 Uhr
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