Gehirnaktivität

Der Erinnerungsturbo

Stuttgart - 06.01.2016, 08:17 Uhr

Von wegen halbe Sekunde: 100 bis 200 Millisekunden! Das Gehirn muss gar nicht so lang nach Erinnerungen im Hippocampus suchen. (Foto: adimas / Fotolia)

Von wegen halbe Sekunde: 100 bis 200 Millisekunden! Das Gehirn muss gar nicht so lang nach Erinnerungen im Hippocampus suchen. (Foto: adimas / Fotolia)


Denkt der Mensch an Erlebtes, werden dieselben Areale aktiv wie beim Abspeichern dieser Ereignisse. Forscher aus Konstanz und Birmingham entdeckten nun, dass dies schneller erfolgt, als bislang geglaubt. Sehr viel schneller.

Erinnerungen an Erlebtes hat das Gehirn weit schneller wieder parat als bisher angenommen. Die sensorischen Hirnbereiche werden binnen 100 bis 200 Millisekunden aktiv, berichten Neurowissenschaftler der Universitäten in Konstanz und Birmingham im "Journal of Neuroscience". Zuvor habe man angenommen, das Gehirn müsse länger nach Erinnerungen im Hippocampus suchen. "Wir gingen bisher von etwa einer halben Sekunde aus. Das ist in den Dimensionen der Gehirntätigkeit sehr lang", sagt Gerd Waldhauser, der inzwischen an der Ruhr-Universität Bochum forscht.

Jede Erinnerung ist einzigartig

Die Wissenschaftler baten Teilnehmer zunächst, sich bestimmte Objekte möglichst genau einzuprägen. Später wurden die Erinnerungen wieder abgefragt. Als Analysemethode wurde die Elektroenzephalografie (EEG) verwendet, bei der aus Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche mit hoher zeitlicher Auflösung auf die Aktivität einzelner Hirnbereiche geschlossen werden kann.

Bei Erinnerungen an Erlebtes sind im Gehirn zum großen Teil dieselben Areale aktiv wie beim Abspeichern dieser Erlebnisse. Jede episodische Erinnerung ist einzigartig und an einen bestimmten Ort und Zeitpunkt gebunden. Im Erinnerungsprozess werden die Sinnesinformationen reaktiviert - also zum Beispiel Areale des Sehsinns wieder aktiv. Die Analyse ergab nun, dass dies bereits nach 100 bis 200 Millisekunden geschieht.

Suche im Hippocampus

„Man hat gedacht, dass das Gehirn eine Weile braucht, um im Hippocampus – einer wichtigen Region für das Langzeitgedächtnis – danach zu suchen“, erklärt Simon Hanslmayr von der Universität Birmingham. "Unsere Ergebnisse rütteln an dieser Vorstellung, denn sie zeigen eine sehr schnelle Reaktion des Gehirns." Erste Hinweise darauf hätten zuvor bereits andere Studien ergeben.

Gerade diese frühen Prozesse seien entscheidend für das erfolgreiche Erinnern an ein Geschehen, fanden die Forscher zudem heraus. Hemmten sie die frühe Reaktivierung mit sogenannter transkranieller Magnetstimulation (rTMS), störte das den Abruf der Erinnerungen. "Die Ergebnisse helfen uns, das episodische Gedächtnis, also die Erinnerung an Erlebnisse des Menschen, besser zu verstehen", erklärt Waldhauser. Im Unterschied dazu speichert das semantische Gedächtnis Fakten - wie zum Beispiel, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist.

Einen Nutzen könne möglicherweise die Psychiatrie haben, hieß es. "Es wäre hilfreich, in den Abruf von Erinnerungen eingreifen zu können, zum Beispiel bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, die von wiederkehrenden unerwünschten Erinnerungen geplagt werden", so Waldhauser. Womöglich könne man in Zukunft einmal gezielt gegen diese immer wieder auftretenden Bilder vorgehen - allerdings seien zunächst weitere Studien nötig.


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Plasma aus Nabelschnur verbessert kognitive Funktionen

Quelle der ewigen Jugend?

Gedächtnisleistung ist eng mit Geruchswahrnehmung verknüpft

Duft stärkt Erinnerung

Wie DNA-Bruchstücke Erinnerungen zementieren

Vergissmeinnicht

Donepezil verlangsamt den Verlust an Hippocampus-Volumen

Kann eine frühzeitige Therapie Alzheimer bremsen?

Ursprung des rauschhaften Ausnahmezustands identifiziert

Insel der Ekstase

Wie Sie sich Namen leichter merken können

Dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.