Antibiotika-Resistenzen

Vom Mensch zum Tier – und zurück

Berlin - 13.01.2016, 10:10 Uhr

Antibiotika-Einsatz weltweit: Die Karte zeigt die Menge der in der Tiermast verwendeten Antibiotika. (Quelle: Dr T.P. Van Boeckel, Princeton University)

Antibiotika-Einsatz weltweit: Die Karte zeigt die Menge der in der Tiermast verwendeten Antibiotika. (Quelle: Dr T.P. Van Boeckel, Princeton University)


Was hilft gegen die Zunahme an resistenten Keimen? Anwendungsverbote von Reserve-Antibiotika für Tiere werden diskutiert. Niedersachsens Landwirtschaftsminister will das Dispensierrecht der Tierärzte überprüfen. Die ABDA sieht hier nach DAZ.online-Informationen weiterhin keinen Handlungsbedarf.

Die Meldungen haben sich in den vergangenen Tagen und Wochen überschlagen: Resistenzgene gegen das Notfall-Antibiotikum Colistin sind schon lange in Deutschland verbreitet, 80 Prozent der Milchkühe erhalten regelmäßig Antibiotika, die EU fordert, den Colistin-Einsatz bei Tieren zu überdenken...

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer lud jetzt zur Diskussion über den Umgang mit Antibiotika in der Tierhaltung – durch den übermäßigen Einsatz wohl einer der Hauptauslöser für die aktuelle Misere. In seinem Eröffnungsvortrag in der vergangenen Woche in Berlin machte er deutlich, vor welchen Problemen die Menschen stehen könnte: In der EU sterben allein durch die direkten Folgen der Resistenzen nach Schätzungen jährlich rund 25.000 Menschen, und laut einem britischen Bericht von Dezember könnte sich diese Zahl bis 2050 weltweit auf 10 Millionen zusätzliche Tote erhöhen – oder mehr.

Antibiotika statt Stallhygiene

Zwar seien bei den meisten Tierarten seit Inkrafttreten der AMG-Novelle 2014 deutliche Rückgänge der Antibiotika-Behandlungen zu vermelden, doch sei diese erfreuliche Entwicklung überschattet von einem gestiegenen Einsatz bei Ferkeln in Niedersachsen um 30 Prozent. Und bei Reserveantibiotika gäbe es teilweise Steigerungen um 50 Prozent, so Meyer. „Wir müssen hinkommen zu einem System, das eine Einzeltierbehandlung macht“, sagte er – bisher sei dies außer bei Rindern selten der Fall. 

Antibiotika würden nach Meyers Einschätzung dazu genutzt, schlechte Hygiene- und Haltebedingungen zu kaschieren. Daher sieht der Minister die Landwirtschaft in der Pflicht, auch wenn es ihm nicht um die Diffamierung von Tierärzten oder Tierhaltern ginge. Deutschland könne in diesem Punkt von den Niederlanden oder Norwegen lernen, denen eine nachhaltige Reduktion von Antibiotika gelungen sei. 

Bio-Bauern im Vorteil

In den letzten Jahren waren Livestock-assoziierte MRSA-Bakterien das wohl größte Problem in der Landwirtschaft, so Christiane Cuny vom Robert-Koch-Institut. Mehr als drei Millionen konventionell gehaltene Mastschweine seien besiedelt, und vier von fünf Landwirten. Bio-Bauern hätten hingegen eine geringere Belastung als die Durchschnittsbevölkerung. Doch während es gelungen ist, die MRSA-Last etwas herunterzudrücken, kommt mit Enterobacteriaceae ein neues Problem auf, da sie zunehmend Beta-Laktamasen mit erweitertem Spektrum (EBSL) bilden. Hier helfen nur wenige Antibiotika. Da die Resistenzgene auf mobilen genetischen Elementen sitzen und zwischen Bakterienarten wechseln können, sei es "so fatal". Resistente Keime wurden auch schon in Salat nachgewiesen – oder in Oberflächengewässern.

Eine Welt ohne Grenzen

Das Stichwort „One Health“ fiel vielfach, denn angesichts globaler Resistenzen ist es nicht mehr hilfreich, nur noch mit dem Finger auf einzelne Länder zu zeigen. Sogar innerhalb der G7, die sich im vergangenen Jahr Antibiotikaresistenzen als Schwerpunktthema ins Programm genommen hatten, gäbe es noch Gesprächsbedarf zur Verschreibungspflicht.

Der ehemalige Staatssekretär im niedersächsischen Landwirtschaftsminister Friedrich-Otto Ripke zitierte daher auch Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, der dazu aufgerufen habe, den „kalten Krieg“ zwischen Human- und Veterinärmedizin zu beenden.

Inzwischen ist Ripke Präsident des Interessenverbandes der niedersächsischen Geflügelwirtschaft – und versprach als solcher, dass auch die Nutztierhalter ihren Beitrag leisten werden. Hubert Weiger, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), drängte darauf, dass Antibiotika als „zentrale Überlebensmittel“ sowohl für den Tier- als auch Humanbereich erhalten bleiben müssen.

Zwangsmaßnahmen und Rabattverbote

Was bleibt, um den Antibiotikaeinsatz in der Tiermast weiter zu reduzieren? Die 2014 verschärften Bestimmungen des Arzneimittelrechts sehen vor, dass Tierhalter mit dem höchsten Antibiotika-Einsatz Vorkehrungen entwickeln müssen, um sie zu reduzieren. Falls dies wiederholt nicht klappt, können am Ende sogar Ställe geschlossen werden.

In Norwegen werden bei MRSA-Befall sogar ganze Herden gekeult, so Meyer. Aktuell haben Landes-Landwirtschaftsminister die Bundesregierung aufgefordert, eine Liste von Notfall-Antibiotika vorzulegen, die nur noch in Ausnahmefällen in der Tiermast verwendet werden dürfen. 

Gleichfalls gibt es Pläne, durch Rabattverbote und Fixpreise Fehlanreize beim Antibiotika-Einsatz zu verringern. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und gelernte Tierarzt Wilhelm Priesmeier wies darauf hin, dass Tierarztpraxen einen recht großen Anteil der Einnahmen durch den Verkauf von Medikamenten erzielen. Bei großen Praxen mache dies 70 bis 80 Prozent aus. 

Umstrittene Rechte und Strukturen

Durch die Preisgestaltung der pharmazeutischen Industrie könnten kleine Firmen nicht einmal zu den Preisen einkaufen, zu denen Großpraxen verkaufen, sagte Priesmeier. „Ich glaube nicht, dass es für einen freien Beruf zielführend ist, dass er sich solchen Strukturen zu unterwerfen hat.“

Auch Landwirtschaftsminister Meyer wiederholte seine Forderung vom Oktober, das Dispensierrecht der Tierärzte zu überdenken. Doch damit wird er bei vielen Politikern wie Standesvertretern nicht auf viel Gegenliebe stoßen. Der ehemalige Präsident der Bundestierärztekammer Theo Mantel hatte dazu erklärt, dass die Apotheker gerne auf dieses Geschäft verzichten und einsehen würden, dass die qualifizierte Beratung, Diagnose und Therapie aus einer Hand kommen sollte: „Sie bescheinigen den Tierärzten einen sorgfältigen Umgang mit dem Dispensierrecht.“

Dies bezog sich auf Aussagen von ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt, sagt Mantel jetzt. Die ABDA gibt sich bedeckt: Im Veterinärbereich sehe der Verband keinen Änderungsbedarf, sagte eine Pressesprecherin auf Nachfrage. 


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