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Organisierte Arzneimittelkriminalität: Darknet
Genialer Tummelplatz für Drug-Dealer
Im Darknet kauften die IS-Terroristen von Paris ihre Kalaschnikows. Auf der Schattenseite des Internets werden nicht nur Waffen, Sprengstoff oder Drogen angeboten: Im Schutz des Geheimen floriert auch der Handel mit Arzneimitteln. Die Behörden sind weitgehend machtlos.
Weder beim Bundeskriminalamt noch bei der Zollfahndung existieren Spezialeinheiten, die sich um die offensichtliche Kriminalität in den Tiefen des Internets kümmern. Wer sich über zahlreiche Sperren ins weltweite Darknet einloggt, stößt im Schattenreich des www. auf eine facettenreiche illegale Handelswelt: Sprengstoff, Pistolen und automatische Waffen aller Größen werden dort angeboten. Es gibt Reisepässe zu kaufen und Kreditkarten. Handelssparte Nummer zwei sind Drogen und Arzneimittel. Cannabis, Heroin, Kokain, Crack – alles wird feilgeboten in handlicher Menge für den Endverbraucher. Bezahlt wird im Darknet mit der Kunstwährung Bitcoin. Wer einen Anbieter kontaktieren und einen Deal abschließen will, muss sich mehrfach einloggen.
Seiteneffekt des amerikanischen Gesundheitssystems?
Nicht jeder verwendet das Darknet aus niederen Gründen. Der Artikel Why I Had to Buy My Wife's Inhaler on the Dark Web von Ross Whitaker beschreibt den Fall einer Frau, die die unverhältnismäßig hohen Kosten für dringend benötigte Asthma-Inhalatoren nicht aufwenden kann. Im Darknet findet sie Angebote des identischen Produkts zu einem Zehntel des Preises.
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Breites Angebot an Arzneimitteln
Das mehrfache Einloggen im Darknet verschleiert die Spuren von Anbietern und Käufern. Das Bundeskriminalamt hat das Darknet zwar im Blick, ist aber weitgehend machtlos. „Die Spuren sind kaum nachzuvollziehen“, bestätigt eine Sprecherin gegenüber DAZ.online: „Das ist ein schwieriges und langwieriges Puzzlespiel.“
Beim BKA ist man immerhin froh, dass im Darknet Drogen nur in kleinen Mengen für die Endverbraucher angeboten werden. Der Drogen-Großhandel findet jenseits des Internets in noch dunkleren Kanälen statt.
Besonders im Blick haben die Kriminalisten die Arzneimittelszene im Darknet nicht. Es existiert keine Darknet-SoKo Arzneimittel, weder beim BKA noch bei anderen Ermittlungsstellen. Dabei gibt es im Darknet ein breites Angebot an rezeptpflichtigen Arzneimitteln für Jedermann. Käuflich ohne vorhergehende Konsultation eines Arztes. Potenz- und Aufputschmittel werden ebenso angeboten wie Steroide, Schlankmacher und Valium. Wer sich auf der bevorzugten Suchmaschine einloggt, findet knapp 40.000 Angebote unter der Rubrik „Drugs&Chemicals“. Über andere Wege zeigen sich zahllose weitere Anbieter. Niemand weiß, wie groß der Umsatz im Darknet tatsächlich ist.
Geduld ist erforderlich. Weil die Verbindungen über private Computer laufen, arbeitet das Darknet langsam – vor allem am Abend. Experten schätzen, dass die Traffic im Darknet zeitweise das offizielle Internet überholt. Es gibt Blogs zu allen möglichen Themen, radikale Aussagen und Meinungen unterliegen dort keiner Zensur. In den Foren existieren auch Chats zur Sicherheit der dort angebotenen Arzneimittel und Qualität der Drogen. Erfahrungen mit Anbietern und Produkten werden ausgetauscht.
„Wenn man Arzneimittel in einer echten Apotheke mit einem offiziellen Rezept kauft, ist die Chance einer Verfälschung oder eines Betrugs gleich Null. Dieses Risiko wird im Deep Web erhöht“, schreibt etwa ein Dr. Fernando Caudevilla, der sich im Darknet-Forum „Silk Road" auch DoctorX nannte. Er warnt, es sei nicht ideal, verschreibungspflichtige Medikamente im Darknet zu kaufen. Allerdings hätten einige Verbraucher keine andere Wahl, zitiert ihn das Online-Magazin „Motherboard“.
Silk Road-Boss verurteilt
Bei generischen Handelsmarken von Herstellern aus Osteuropa, Indien oder Brasilien, die in Blistern geliefert würden, gebe es nur eine sehr niedrige Rate von Fälschungen, schrieb er in seinem Blog. Bei Pulver ohne Identifikation, Tabletten in Beutel verpackt oder neuen Artikeln ohne Rückkopplungen oder Bewertungen sei die Gefahr deutlich größer. Von etwa 20 im Jahr getesteten Arzneimittel-Proben seien 90 Prozent in Ordnung gewesen. Dadurch, dass Verkäufer durch Käufer bewertet werden, sei außerdem eine gewisse Kontrolle vorhanden. Niemand im Darknet könne sich schlechte Bewertungen leisten - solche Aussagen sind allerdings nur mit großer Vorsicht zu bewerten.
Ross Ulbricht ist der Gründer der Drogenhandelsplattform Silk Road. Er wurde kürzlich von einem US-Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Februar 2015 hatte die Jury im Prozess Ross Ulbricht unter anderem der Verschwörung zum Drogenhandel, der Geldwäsche, des Hackings sowie des Identitätsdiebstahls schuldig gesprochen. Laut Schuldspruch betrieb Ulbricht seit 2011 die Plattform Silk Road.
Allerdings ist der Prozess noch nicht zu Ende. Die nächste Instanz wird folgen. Und es steht noch ein Urteil wegen sechsfachen versuchten Mordes aus – Morde, die Ulbricht in Auftrag gegeben haben soll. Diese wurden jedoch nicht ausgeführt. Der Fall wird derzeit bei einem Gericht in Baltimore verhandelt. Zudem verlangt die US-Justiz von Ulbricht hohe Rückzahlungen von etwa 184 Millionen US-Dollar. Das entspricht dem Gesamtwert der auf Silk Road gehandelten Drogen und gefälschten Papiere.
Die Zerschlagung Silk Roads hat allerdings nichts an der Attraktivität des Darknet geändert. Experten schätzen, dass sich das Angebot an Drogen im Darknet seitdem mehr als verdoppelt hat.
Von Lothar Klein, Berlin
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