- DAZ.online
- News
- Debatte & Meinung
- Wer schreibt, der bleibt...
Kossendeys Gegengewicht
Wer schreibt, der bleibt...
Ann-Katrin Kossendey-Koch ist jedesmal wieder aufs Neue fasziniert, was Apotheker alles dokumentieren dürfen - von der Temperatur im Schubladenschrank, im Keller, im Labor, im Kühlschrank, dazu Hygienepläne, Rezepturen, Defekturen... Bei jeder Revision kommt etwas Neues hinzu. Es zeigt ihr, woran der Berufsstand krankt.
Es gibt so einen Spruch: „Aurich ist traurig...“ Letzte Woche stimmte das so ganz und gar nicht. Wieder genesen war ich für 1,5 Tage in Aurich bei einem Seminar, zusammen mit einigen sehr netten Apothekenleitern, wir kennen uns von einer lokalen Kooperation. Wir diskutierten angeregt und kreuz und quer über die Themen, die uns selbstständigen Apothekern unter dem Aesculap-Stab brennen. Personalführung, Personalmangel, Kundenbindung und Zukunftsvisionen, moderiert von Emanuel Winkelhofer. Beim Mittagessen kamen wir auf das Thema „Revision“, wie sollte es auch anders sein, wenn mehr als zwei Pharmazeuten in einem Raum sind. Da kochten die Emotionen bei dem einen oder anderen schon mal hoch, wenn er oder sie von seiner letzten Erfahrung mit der standeseigenen Inquisition berichtete.
Der typisch vorauseilende Gehorsam unseres Standes sorgt auch für einen übernatürlichen Respekt vor den Herren und Damen Pharmazierat. Ich versuchte es scherzhaft mit einem „Hey, das sind Kollegen und nicht das SEK“, aber damit sollte ich nicht wirklich durchdringen.
Jeder lauschte bei Erzählungen von überstandenen Besichtigungen, in der Hoffnung etwas zu erfahren, was dann in der eigenen Apotheke schon mal nicht beanstandet werden kann. Dabei ist es bei den Kollegen der Revision doch nicht anders als beim Finanzamt - irgendwas müssen die finden!
Vielleicht ist es auch unser verschultes Studium, das uns darauf getrimmt hat, möglichst nur mit Einsern abzuschließen. Da treibt es uns Apothekenleitern schon Schweißperlen auf die Stirn, wenn ein Bereich der eigenen Apotheke mit einer 2 benotet wird, bei einer 3 sehen wir uns schon frierend und hungernd vor der geschlossenen Apothekentür sitzen.
Angemeldetes Kommando
Ich hatte auch etwas zu dem Mittagsplausch beizutragen, bei mir war die Revision Ende November letzten Jahres. Mittlerweile melden sich die Pharmazieräte in Niedersachsen ja vorher an, man ist also weg vom plötzlichen Überfall-Kommando. Die wichtigsten Ordner stehen bereit, alle Unterlagen sind nochmal durchsortiert und das QMS-Handbuch wurde entstaubt. Und dann kommen ein oder zwei Kollegen und ehe man sich versieht, ist man mitten in einer Diskussion um die Funktionalität seines eigenen Unternehmens, die an der einen oder anderen Stelle absurde Formen annimmt.
„Darf ich Ihre Notdienstklingel sehen?“ Gerne, links oben neben der Apothekentür ist ein Klingelknopf. Im Notdienst hängt ein Schild in der geschlossenen Tür, was auf die Lage des Knopfes hinweist und auch die Bedienung erklärt, denn meine Notdienstklingel ist auf die Telefonanlage geschaltet, so dass ich mit dem Patienten sprechen kann, sobald die Klingel betätigt wird. „Was ist mit Rollstuhlfahrern?“ Diese Frage machte mich doch tatsächlich sprachlos. Grundsätzlich eine berechtigte Frage - dieser Fall ist bei uns in 47 Jahren nur noch nicht vorgekommen. Und wurde auch in den vergangenen Revisionen noch nie beanstandet.
Innerlich fragte ich mich sofort, ob es überhaupt erlaubt sei, mein Hinweisschild in der Tür nur in Deutsch aufzuhängen - politisch korrekt müsste ich doch eigentlich noch in 47 anderen Sprachen über den Gebrauch der Notdienstklingel informieren. Was ist, wenn der Rollstuhlfahrer Kisuaheli spricht... oder noch schlimmer nur lesen kann, weil er taubstumm ist und mir so auch gar nicht an der Gegensprechanlage antworten kann? Ich sah mich schon mit einem Bein im Knast und konnte gar nicht glauben, dass mich eine einfache Funkklingel auf Hüfthöhe retten sollte.
Faszination Revision
Abgesehen von weiteren Kleinigkeiten, bin ich bei jeder Revision wieder fasziniert, was wir alles dokumentieren dürfen - jedes Mal kommt etwas dazu. Die Temperatur im Schubladenschrank, im Keller, im Labor, im Kühlschrank (wo wir uns natürlich Dummies basteln, in dem wir Temperaturfühler in Leerpackungen fummeln, um authentischere Bedingungen zu haben), in der Warenschleuse, der Hygieneplan für das Labor, die sanitären Einrichtungen, wer hat was wann womit warum mit wem gereinigt, Rezepturen, Defekturen, Plausibilität, Herstellung, Freigabe - und das in einem Fünf-Mann-Team!
Ich frage mich ja immer, wann wir endlich die komplette Beratung, jeden Kundenkontakt dokumentieren und vom Patienten gegenzeichnen lassen müssen, um die Qualität auch zu garantieren. Und Pläne im Pausenraum aufhängen müssen, welcher Mitarbeiter wann was gegessen und getrunken hat, um auch hier einen lückenlosen Nachweis gegenüber der Berufsgenossenschaft zu haben.
Bürokratie statt Sicherheit und Menschenverstand
Die offiziellen Besichtigungen zeigen uns so eindrucksvoll, woran unser Berufsstand krankt. Immer mehr Arbeit, immer mehr Auflagen und immer mehr Bürokratie für immer weniger Entlohnung, immer weniger unternehmerische Sicherheit und immer weniger gesunden Menschenverstand. Das pharmazeutische Personal hat sehr gute Ausbildungen und arbeitet auf einem hohen Niveau und trotzdem meinen wir, dass wir die Qualität unserer Arbeit durch das 10. Protokoll sichtbar machen und beweisen können. Um endlich ein Verhandlungspfand zu haben.
„Seht her, wir kontrollieren den kontrollierten Ausgangsstoff und dokumentieren schriftlich in doppelter Ausfertigung - bekommen wir jetzt endlich mal einen Pfennig mehr? Und ein Fleißbienchen?“ Wir diskutieren uns tot, haken alles penibel ab und verlieren unser Ziel aus den Augen: Ein selbstbewusster Experte im Gesundheitswesen zu sein.
Gebraucht werden wir nämlich vorne im HV, am Kunden - denn da wird Politik gemacht.
13 Kommentare
Nötige Wende des DAV
von Wolfgang Müller am 18.02.2016 um 11:13 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Bei...
von Bernd Jas am 18.02.2016 um 15:04 Uhr
Schade...
von Thorsten Dunckel am 18.02.2016 um 9:15 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Jau
von Bernd Jas am 18.02.2016 um 9:25 Uhr
AW: "Schade"
von Elisabeth Dötz am 18.02.2016 um 16:36 Uhr
Drum prüfe, wer sich ewig bindet . . .
von Uwe Hansmann am 18.02.2016 um 8:58 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: Give More Paper
von Sven Gallinat am 18.02.2016 um 10:03 Uhr
AW: @sven gallinat
von Uwe Hansmann am 18.02.2016 um 10:16 Uhr
AW: QM in Inndustrie und Apotheke
von Wolfgang Müller am 18.02.2016 um 12:00 Uhr
Kamillenblütentee
von Stefan Siebert am 18.02.2016 um 8:17 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Übers Ziel geschossenen
von Sabine Ergezinger-Dettmeier am 17.02.2016 um 22:32 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Ende...
von gabriela aures am 17.02.2016 um 19:28 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Dokumentationswahn
von Wolf am 17.02.2016 um 18:34 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.