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EuGH - die Verhandlung
Hitziger Schlagabtausch zum Preisrecht
Die Argumente sind ausgetauscht: Über zwei Stunden ging es am EuGH um die Frage, ob die deutsche Regelung, die es EU-ausländischen Versandapotheken verbietet, Boni zu gewährleisten, zulässig ist. Die Pro-Boni-Vertreter nannten es harmlose „kleine Rabatte“, die Gegenseite von einem „gefährlichen Dammbruch“. Kirsten Sucker-Sket berichtet.
Knapp zweieinhalb Stunden wurden am Donnerstag vor der Ersten Kammer des Gerichtshofs in Luxemburg die Argumente ausgetauscht: Ist die 2012 erlassene deutsche Regelung (§ 78 Abs. 1 Satz 4 AMG), die es EU-ausländischen Versandapotheken verbietet, von der Arzneimittelpreisverordnung abzuweichen – sprich Boni bei der Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu gewähren – ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in den EU-Binnenmarkt? Oder hat Deutschland mit dem Verbot lediglich seinen Wertungsspielraum ausgenutzt, um den Gesundheitsschutz im eigenen Land sicherzustellen?
Nur harmlose „kleine Boni“?
Vertreter der Deutschen Parkinson Vereinigung – die Partei im Düsseldorfer Ausgangsverfahren dieser Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist – und der Europäischen Kommission plädierten pro DocMorris. Vertreter der Wettbewerbszentrale und Apothekerschaft sowie der Bundesregierung hielten dagegen.
Die Plädoyers griffen die zuvor abgegebenen Stellungnahmen – sowohl die eigene als auch die der Gegenseite – auf. Sie vertieften ihre eigenen bekannten Argumente und wiesen die des jeweils anderen zurück.
Die grobe Linie der Pro-Boni-Vertreter:
Es gehe Deutschland gar nicht um einen Gesundheitsschutz, sondern um eine protektionistische Marktabschottung zugunsten der deutschen Apotheken. So „kleine Boni“, wie sie DocMorris biete, könnten sicher keine Kettenreaktion auslösen, die zu einer Marktverdrängung deutscher Apotheken führe und das gesamte Gesundheitssystem in Gefahr bringe. Andere Maßnahmen, die geeigneter und angemessener wären, habe die Bundesregierung gar nicht in Erwägung gezogen.
Experimentiergesetzgebung keine Alternative
Die Fürstreiter der bestehenden Regelung verwiesen hingegen
auf den Wertungsspielraum, der den Mitgliedstaaten im Bereich der
Gesundheitsversorgung auf EU-Ebene zugestanden werde. Das deutsche System der
Arzneimittelversorgung stehe im Einklang mit der bisherigen EuGH-Rechtsprechung.
Man könne von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge „keine
Experimentiergesetzgebung“ verlangen.
Richter haken nach
Im Anschluss stellten Richter sowie der Generalanwalt Nachfragen, die allerdings noch nicht auf eine klaren Ausgang des Verfahrens schließen lassen.
Der Berichterstatter der Kammer, Eugene Regan, startete mit Fragen an den Vertreter der Kommission, die zunächst den Eindruck machten, als habe er großes Verständnis für die deutsche Regelung. Er zeigte sich irritiert darüber, dass die Kommission in ihrer Stellungnahme schreibe, die ausländischen Versandapotheken hätten zusätzliche Kosten zu tragen und seien deshalb Vor-Ort-Apotheken gegenüber im Nachteil. „Wie kann man bei diesen Extrakosten noch niedrigere Preise bieten?“, fragte er. Der Vertreter der Kommission erklärte etwas diffus, das habe wohl etwas mit den Gewinnspannen zu tun. Und wer höhere Kosten habe, sei auf mehr Absatz angewiesen, der wiederum nur über niedrigere Preise zu erreichen wären.
Rx-Versandhandelsverbot zulässig – Fixpreise als geringerer Eingriff
Sodann nahm Regan Bezug auf das Versandhandelsurteil aus dem Jahr 2003: Wenn der EuGH damals schon entschieden habe, ein Mitgliedstaat könne aus Gründen des Gesundheitsschutzes den Rx-Versand gänzlich verbieten – wie könne dann eine weit weniger einschneidende Maßnahme wie die hier streitige gerechtfertigt sein? Der Vertreter der Kommission verwies hier auf eine Regelung im Humanarzneimittelkodex. Mache ein Mitgliedstaat nicht von der Möglichkeit der Gebrauch, den Versandhandel einzuschränken, sei eine „Parallelwertung“ möglich. Genau die gleiche Frage wurde der Kommission sodann auch vom Generalanwalt gestellt.
Komplexes Regelungssystem
Eine weitere Frage des Berichterstatters nahm auf die Aussage der Bundesregierung Bezug, die Preisregeln seien im Kontext mit anderen Regelungen zu sehen – etwa dem Fremdbesitz, der Apothekenpflicht und den Notdienstregelungen. Wie relevant sei dies?
Hierzu erklärte der Kommissions-Vertreter, es sei in sich widersprüchlich, die geografische Verteilung der Apotheken über den Preis regeln zu wollen. Der Preis spiele keine Rolle, wo sich Apotheker niederließen, sie gingen eher in Ballungsräume mit viel Kundschaft als aufs Land. Wenn die Bundesregierung sage, es sei nicht ihr Ziel, mit den bestehenden Regelungen Neuansiedlungen zu befördern, sondern Apotheken auf dem Land zu erhalten, so sei dies ein „gekünsteltes Argument“. Da gebe es keinen Unterschied, schließlich müssten Apotheken auf dem Land schließen, wenn sie keinen Nachfolger finden.
Manche Frage bleibt unbeantwortet
Vom Vertreter der Bundesregierung wollte der Berichterstatter wissen, ob die im Verfahren von 2003 vorgetragenen Argumente zur Rechtfertigung des Versandhandelsverbots – die heute wieder auftauchten – heute überhaupt noch einschlägig seien. Oder bezögen sie sich nicht nur auf ein durchgängiges Verbot?
„Warum sollte ich diesen Argumenten folgen?“, fragte Regan. Eine spontane Antwort fand der Regierungsvertreter hierauf nicht. Erst in seiner Replik am Ende der Verhandlung erklärte er, die Argumente damals seien teilweise anders gewesen. Das Ziel sei aber damals wie heute der Gesundheitsschutz. Man müsse es schaffen, dass die Versorgung auf dem Land erhalten bleibt. Keine klare Antwort erhielt Regan auch auf die Frage, ob hinter der deutschen Regelung nicht vielleicht wirklich eher wirtschaftliche Interessen und protektionistische Überlegungen stünden als der Gesundheitsschutz.
Der Generalanwalt fragte sodann die Bundesregierung, wie es um die Akutversorgung und den Notdienst in Deutschland bestellt sei. Sei es wirklich so, dass man in Deutschland auch in der Nacht und auf dem Land Zugang zu Apotheken habe? Der Regierungsvertreter erläuterte das Notdienstsystem und dass Landapotheken durch Notdienste stärker belastet seien als solche in Ballungsgebieten.
Deutschland habe den Markt zugemacht
Ein weiterer Richter, Siniša Rodin, wollte wissen, wie es eine Gefahr für die Krankenversicherung sein könne, wenn Patienten Boni gewährt werden. Die Versicherer müssten hierdurch doch eher profitieren. Darauf bemühte sich der Regierungsvertreter das Sachleistungssystem der GKV dazulegen. Die Boni seien lediglich ein Anreiz für den Patienten, die Krankenkasse profitiere davon nicht. Weiterhin wollte Richter Rodin wissen, ob Apotheken auf dem Land nicht vielleicht andere Vorteile hätten: Geringere Miet- oder Personalkosten beispielsweise. Oder gebe es eine Höchstmiete, die Apotheken zahlen dürften oder überall gleiche Gehälter? Der Regierungsvertreter räumte möglicherweise geringere Mieten ein – doch dafür gebe es auch weniger Kunden. Höchstmieten gebe es nicht, aber Tarifverträge, wobei auch übertariflich gezahlt werde.
Abschließend hatten alle Vertreter nochmal Gelegenheit für eine kurze Replik. Ein Vertreter der Parkinson Vereinigung betonte, dass es für eine Versandapotheke ein erhebliches Problem sei, wenn sie – wie DocMorris – nach 2012 80 Prozent weniger Neukunden zähle. Dies zeige, dass Deutschland den Markt zugemacht habe. Natürlich, räumte er ein, habe Deutschland einen Wertungsspielraum.
Aber: Früher hieß es, der Versandhandel sei „ganz schlimm“ – doch man habe seine Haltung geändert, heute verteidige die Bundesregierung die Öffnung. Nun sei es der grenzüberschreitende Versandhandel, der schlimm sei. Tatsächlich habe der Versandhandel aber die Vor-Ort-Apotheken bedroht. Vielmehr hätten diese den Vorteil, wirklich vor Ort zu sein.
Von wegen „kleine Rabatte"
Claudius Dechamps, der schon im EuGH-Fremdbesitzverfahren für die ABDA sprach, widersprach, dass der Zusammenbruch des Neukundengeschäfts bei DocMorris auf das Boni-Verbot zurückzuführen sei. Es handele sich hier lediglich um ein langsameres Wachstum, für das es viele Gründe gebe, etwa einen gesättigten Markt.
Irreführend sei zudem das Argument der Parkinson Vereinigung, es handele sich lediglich um „kleine Rabatte“, die das deutsche Gesundheitssystem nicht gefährden könnten. Es sei vielmehr ein „Dammbruch“, wenn Apotheken im Ausland, die nach Deutschland versenden, ihre Preise selbst festlegen könnten. Auch er betonte, dass die Argumente der Rechtfertigung heute anders sein als noch 2003. Damals sei es um die Beratung vor Ort, den persönlichen Kontakt gegangen, die die Versender nicht bieten können. Dies sei heute kein Thema. Es gehe um den Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Kranke müssten geschützt werden, nach der günstigsten Apotheke suchen zu müssen. Und Krankenkassen sollen weiter zentral abrechnen können als zahlreiche Einzelverträge mit Apotheken schließen zu müssen.
Schlussanträge am 2. Juni
Nun bleibt dem Gericht und dem Generalanwalt Zeit für Überlegungen. Für den 2. Juni sind nun die Schlussanträge des Generalanwalts terminiert. Er wird seine Empfehlung an das Gericht geben. Dieses wird allerdings am Ende unabhängig entscheiden.
Vertreter der Wettbewerbszentrale und von DocMorris wollten sich nach der Verhandlung keine Prognose abgeben. Es stehe „Fifty-fifty“, sagte Walter Oberhänsli, Chef der Zur Rose Gruppe, zu der DocMorris gehört. „Es sind alle Argumente vorgetragen, jetzt müssen wir abwarten“, sagte Christiane Köber von der Wettbewerbszentrale.
Wer noch mehr Eindrücke aus der Verhandlung bekommen möchte, wird am Freitag, dem 18. März, auf dem ApothekenRechtTag in Berlin am rechten Platz sein. Dr. Bettina Mecking, stellvertretende Geschäftsführerin und Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein wird in ihrem Vortrag Preisbindung bei Rx-Arzneimitteln – Was gibt es Neues? Was sagt der EuGH? sicherlich einiges zu berichten wissen.
4 Kommentare
Unlauterer Wettbewerb
von Heiko Barz am 18.03.2016 um 0:52 Uhr
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Doc Morris
von Dr.Diefenbach am 17.03.2016 um 20:40 Uhr
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....
von Christiane Patzelt am 17.03.2016 um 19:26 Uhr
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zusätzliche Kosten der Versender...
von Rolf Lachenmaier am 17.03.2016 um 18:32 Uhr
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