Kossendeys Gegengewicht

Gemeinsam statt einsam

07.04.2016, 12:00 Uhr

Trügerische Idylle: Die Apotheken auf dem Land nicht vergessen, sagt Ann-Kathrin Kossendey-Koch. (Foto: Lunghammer / Fotolia)

Trügerische Idylle: Die Apotheken auf dem Land nicht vergessen, sagt Ann-Kathrin Kossendey-Koch. (Foto: Lunghammer / Fotolia)


Selbst in den Familienferien kann Ann-Katrin Kossendey-Koch das Nachdenken über die Zukunft der Apotheken in Deutschland nicht lassen. Den Anstoß gab eine vergessene Offizin in einem eigentlich ganz idyllischen Örtchen. Doch hinter dem Lamellenvorhang traf die reisende Pharmazeutin auf die grausame Realität. 

Ich war mit der Familie im Urlaub - am anderen Ende der Republik. Unser Hotel kenne ich noch von Reisen mit meinen Eltern, als ich noch ein Kind war. Der Ort ist klein, ähnlich wie mein Heimatdorf. Und was macht man als reisende Pharmazeutin? Richtig, man guckt sich Apotheken an. Auch ich gehöre zu dieser Spezies, die zwangsläufig zumindest einen kurzen Blick beim Kollegen ins Schaufenster wirft.

Uralt-Aspirin, verblichene Industriepappe

Was ich allerdings zwei Häuser weiter von unserem Hotel gesehen habe, hat mich traurig gemacht. Eine kleine Apotheke, am Marktplatz gelegen, in einem schön renovierten Haus mit zwei großen Schaufenstern. In der Eingangstür hing unübersehbar ein riesiges Plakat, auf dem von der Inhaberin darauf hingewiesen wurde, dass die Apotheke entgegen jeder Gerüchte nicht schließen würde und dass man sich freue, weiterhin für die Bevölkerung da zu sein. Daneben hing ein abgewetztes, von Aspirin vor Urzeiten gesponsertes Schild mit den Öffnungszeiten. Die Schaufenster lieblos vollgestellt mit verblichenen Industriepappen, der Blick in die Offizin versperrt von einem alten Lamellenvorhang.  

Meine Mutter brauchte Zahnseide, also konnte ich mir die Apotheke sogar von innen anschauen. Neben der Inhaberin war noch eine Mitarbeiterin anwesend, beide freundlich aber kurzangebunden. Die Offizin klein, die Regale der Freiwahl nur spärlich bestückt. Mitten auf dem HV-Tisch stand eine Registrierkasse- ich habe mir den restlichen Abend den Kopf zermartert, wie die Kollegen die Rabattverträge händeln? Wie funktioniert das in der heutigen Zeit?

 „Moderne Apotheke“ 

Im Laufe der Woche nutzte ich die Gelegenheit, den Hotelier nach der Bedeutung dieses Plakates in der Apotheke zu fragen. Er erzählte mir, dass es seit geraumer Zeit eine Filiale im Ort gebe, so dass seine Nachbarin unmittelbare Konkurrenz bekommen habe. Seitdem sei sie auch wieder netter zu den Kunden und eigentlich könne sie das Schild jetzt auch mal raus nehmen. 

(Foto: privat)
Ann-Katrin Kossendey-Koch

Ich kenne die näheren Umstände nicht und mir geht es hier in keiner Weise darum, die Kollegin vorzuführen. Ganz im Gegenteil- ich bin entsetzt, wo wir mit unserem Berufsstand angekommen sind. Natürlich gibt es tolle, moderne Apotheken - schaut man sich zum Beispiel die Lichtenberg-Apotheke in Berlin an. Man kann den Inhaberinnen zu ihrem klar durchdachten und gelebten Konzept nur gratulieren. Diese Apotheke hat den Deutschen Apotheken Award 2015 in der Kategorie „Moderne Apotheke“ zu Recht gewonnen. 

Was der Apotheker auf dem Land braucht

Aber Deutschland besteht nicht nur aus Großstädten, gerade die flächendeckende Versorgung schreiben wir uns doch so gerne auf unsere Fahne. Und ich widerspreche hier auch klar unserer Standesführung, die durch Friedemann Schmidt hat verlauten lassen, dass eine ABDA nicht für alle Apotheken Deutschlands da sein kann. Das kann sie nicht nur, das MUSS sie sogar. Es ist so einfach, sich mit den großen Flagschiffen zu brüsten und ansonsten durch schnelles Wegducken bloß nicht aufzufallen. Teure Imagekampagnen braucht man nicht auf dem Land - wo bin ich näher dran am Patienten als auf dem Dorf? In der kleinen Landapotheke mit fast ausschließlich Stammkunden!  

Die großen, medial aufgerüsteten Design-Apotheken findet man an potenten Standorten. Ich kann mich auch dafür begeistern, keine Frage- aber die Versorgung in ganz Deutschland können die wenigen Großen ohne die unzähligen kleinen Buden nicht leisten. In meinen Augen macht uns gerade diese Vielfalt stark, die Apotheke in einem Dorf geht in den meisten Fällen als letztes, wenn Schuhgeschäft und Videothek längst aufgegeben haben. 

Apothekenfreie Zone

In der von mir besuchten Apotheke war diese Hoffnungslosigkeit greifbar. Dieses „Sich- mit-den-politischen-Umständen-abgefunden-haben“. Ein „Ich-mach-das-jetzt-noch-ein-paar-Jahre-und-dann-Tür-zu“. Keine Kraft mehr, kein Idealismus mehr. Nach jahrelangem Arbeiten für immer weniger Entlohnung, kann man diese Art „Apotheken-Burnout“ so gut nachvollziehen.

Ständig neue, noch irrsinnigere Vorschriften, die man, obwohl konzipiert für die großen Player, als kleine Landapotheke genauso beachten muss. Aber können wir es uns als Berufsstand leisten, auf all die kleinen Apotheken zu verzichten? Oder sollten wir gerade den Kollegen an den nicht so lukrativen Standorten unterstützend zur Seite stehen? Nähe zum Patienten entsteht nicht  durch aufgehängte Plakate, sondern durch unser tägliches Tun in allen Apotheken Deutschlands. In meinem angeführten Beispiel sind die nächsten Apotheken, abgesehen von der kleinen Filiale des Mitbewerbers, acht bis 15 Kilometer entfernt. Für den Notdienst eine praktikable Entfernung, nicht aber für den Alltag der Dorfbevölkerung.  

Ich habe ernsthaft überlegt, die Kollegin anzusprechen und mich mit ihr auszutauschen, aber ich wollte ihr auch nicht zu nahe treten. Außerdem hätte vermutlich meine Familie rebelliert, zumindest der Urlaub ist theoretisch apothekenfreie Zone.  


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7 Kommentare

Kommentar

von Alexander Zeitler am 08.04.2016 um 4:44 Uhr

Ich mag Ihre Beiträge eigentlich. Aber den schwarzen Peter dieser kollegin zuzuschieben, finde ich nicht ok. Ich hatte selbst so ne Bude. Wann soll die Kollegin auch noch Schaufenster -Deko machen? Von der Industrie bekommen solche Apotheken nix mehr. Und Sie erwarten Hochglanz etc.
Wie weit die PC Ausstattung ist, erschliesst sich mir aus dem Beitrag nicht. Meine Bude hat ca. € 800 dafür ausgegeben. Und jetzt ist sie auch ohne "Filiale"(was auch immer damit gemeint ist) ZU.

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AW: Eben nicht...

von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 08.04.2016 um 22:05 Uhr

Lieber Kollege,
es liegt immer völlig fern, der besagten Kollege irgendwelche Schuld zu zuweisen- das steht mir gar nicht zu! Ich fand es traurig zu sehen, welche Außenwirkung diese Apotheke hatte. Und ich selber bin Budenbesitzerin...nur habe ich das Glück, mir aufgrund erst 10jähriger Demoralisierung des Systems noch einen Funken Idealismus bewahrt zu haben.

Ich widerspreche ....

von gabriela aures am 07.04.2016 um 10:36 Uhr

...AKK-K nur sehr sehr ungern :-), aber hier:
"Er erzählte mir, dass es seit geraumer Zeit eine Filiale im Ort gebe, so dass seine Nachbarin unmittelbare Konkurrenz bekommen habe. Seitdem sei sie auch wieder netter zu den Kunden "

scheint doch manches im Argen gelegen zu haben .
Auch ich kenne die Umstände nicht oder die "beteiligten Apotheken" und möchte niemnadem zu nahe treten,
ABER : warum wurde eine Filiale im Ort eröffnet ?
Einfach Lust am Geldverbrennen ?

Oder ist es - bei aller Sympathie und Verständnis für die kleine Landapotheke- doch so, daß die "alte" Apotheke nebst Inhaber/in und Personal sich auf den Lorbeeren ausgeruht haben, Weiterbildung, Service und Freundlichkeit wegen des Monopols für unnötig hielten ?

Es geht hier nicht die letzte Apotheke unter - es hat nur jemand die Chance ergriffen , (vermutlich oder vermeintlich ?) besser zu sein !
Das ist der Markt, in dem wir uns fast alle bewegen- wir müssen v.a. über Service, Fortbildung = Kompetenz und "Näher am Patienten" überzeugen , können uns nicht (mehr) auf dem Erfolg der vergangenen Zeiten ausruhen.

Daß es genug sinnlose und wahrhaft dämliche Anforderungen an Apotheken gibt, ist ein anderes Problem, dem sich allerdings die Filialapotheke genauso stellen muß(te).

Hat hier nicht vielleicht die alte, bestehende Apotheke einfach zuwenig Engagement gezeigt ?

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AW: Ich bin bei Dir...

von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 07.04.2016 um 16:09 Uhr

Gabriele, ich gebe Dir Recht. Zumal die neue Filiale zwar sehr klein, aber auch sehr fein ist. Die war sehr modern und toll gemacht. Wie schon geschrieben, ich kenne die näheren Umstände nicht, aber jeder ist seines Glückes Schmied und ich glaube auch, dass man mit Unfreundlichkeit keine Kunden gewinnt. Aber der Anblick dieser Apotheke war so deprimierend, furchtbar! Wir können nicht jeden retten, ein Mindestmaß an Initiative muss schon vorhanden sein ;) Nur kann ich nicht als Standesvertretung von Anfang an gewisse Apothekengrößen ausschließen. Dass es durchaus attraktive und auch erfolgreiche kleine Landapotheken gibt, zeigst ja unter anderem Du mit Deiner Apotheke eindrucksvoll.

8-15 km nicht praktikabel?

von Andreas Grünebaum am 06.04.2016 um 18:51 Uhr

Warum sollen denn eine Entfernung von 8-15km zur nächsten Apotheke für die Verbraucher nicht praktikabel sein, wenn der nächste Arzt, das nächste Einkaufszentrum etc. ebenfalls schon in die Nachbarortschaften abgewandert ist? In den verlassenen Kleinstgemeinden auf dem Land ist oft schon oft die Versorgung mit fließendem Wasser und Anschluss an die Kanalisation ein Problem: die Kosten übersteigen bei weitem das, was der verbliebene Dorfbewohner bezahlen könnte. Wer fordert, Apotheken in kleinen Gemeinden und sogar Stadtteilen müssten subventioniert werden, der muss auch den Bäcker, Fleischer, Milchladen etc. alimentieren.

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AW: Monetäre Unterstützung...

von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 07.04.2016 um 16:15 Uhr

...ist ja gar nicht gefordert. Wie schon Frau Aures richtig schrieb, befinden wir uns in einem Markt und ohne eigenes Engagement geht es nicht. Aber tatenlos zuschauen, wie die Landflucht immer mehr voranschreitet, kann auch nicht die Lösung sein.

Tja

von Nachdenker am 06.04.2016 um 18:09 Uhr

Ja, wie soll man das in Worte packen. Ich plädiere schon immer dafür, dass sich jede Apotheke für den Betreiber rechnen muss. Wie soll das funktionieren? Honorare erhöhen? Haben unsere "Lobbyisten" im Gegensatz zu den Lobbyisten der Arztkollegen leider keine Chance, jährliche Honoraranpassungen also wohl nicht drin. Wer aber verdient an den Medikamenten am besten? Schäuble, 19% leistungsloses Einkommen auf jedes Präparat das über den HV geht. Wird er nicht drauf verzichten, auch wenn wir in Europa die Ausnahme sind. Die Pharmaindustrie? Ja. Wie wäre denn der Ansatz unseren sowieso staatlich diktierten RX Einkaufspreis zu senken und den Verkaufspreis so zu belassen, quasi interne Honorarerhöhung? Wer regelmäßig die Festbeträge senkt sollte auch das hinbekommen. Andererseits, wie haben kleine Apotheken mit 80-100 Kunden vor dem RX Fixum existiert? Keine Ahnung. Noch eine Möglichkeit, Wegfall von Gewerbe und Einkommenssteuer für kleine Apotheken, also die bis 1,3 NU, für größere diesen Durchschnitt als Freibetrag anrechnen, alles darüber wie gehabt. Sind alles wohl nur Hirngespinste, aber irgendwas muss passieren.

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