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Apothekers im Hamsterrad – es dreht sich, aber es bewegt sich nichts. Bei Lieferengpässen machen Ärzte die Politik, Kassen ignorieren Apothekerverträge, Retaxstreit ohne Ende, ABDA ohne E-Health-Konzepte. Und so mancher Apotheker kuscht vor Ärzten. Sonntag ist Tagebuch-Tag!
4. April 2016
Die Ärzte haben die ständigen Lieferengpässe leid. Ihre Forderung: Das Arzneimittelgesetz müsse so geändert werden, dass bei unüberbrückbaren Lieferausfällen rasch entsprechende Schritte für die Sicherung der Versorgung eingeleitet werden können. Ihr Vorschlag: Es müsste gesetzlich verankert werden, dass die zuständige Behörde Regelungen zum Vertrieb und zur Belieferung von vollversorgenden Arzneimittelgroßhandlungen und Apotheken treffen kann, um die Verfügbarkeit der betreffenden Arzneimittel zu gewährleisten. Mein liebes Tagebuch, da fragt man sich doch: Und was tut unsere ABDA? Ein bisschen mehr Initiative beim Thema Lieferengpässe haben wir von unserer Berufsvertretung in den letzten Monaten schmerzlich vermisst! Wenn es nicht Haru Diefenbach gäbe, der unermüdlich Defektlisten sammelt – Außenstehende könnten denken, den Apotheken sei es egal, ob sie liefern können oder nicht. Also: Danke, liebe Ärzte für Euren Vorstoß!
5. April 2016
Immer Ärger mit den Kassen. Dieses Mal trifft’s den Hamburger Apothekerverein (HAV), der sich mit der AOK Rheinland/Hamburg zoffen muss. Grund: Die AOK will die Regelung zur Spezial- und Sondennahrung im Arznei-Liefervertrag Knall auf Fall streichen. Die AOK argumentiert: Die Regelung im Arznei-Liefervertrag sei nichtig, denn andere Leistungserbringer als Apotheken könnten nicht an ihr partizipieren, weil sie nicht dem Liefervertrag beitreten könnten. Andere Leistungserbringer würden dadurch diskriminiert. Versorgende Apotheken könnten ja einem neuen Vertrag beitreten – natürlich zu schlechteren Konditionen. Klar, für den HAV ist das eindeutig Vertragsbruch. Mein liebes Tagebuch, kein Wunder, wenn bei einer solchen Argumentation HAV-Chef Jörn Graue an die Decke geht. Seine Auffassung: Ein Liefervertrag müsse ordentlich gekündigt werden. Was die AOK da mache, sei ein klarer Rechtsbruch. Stimmt! Es ist unglaublich, wie manche Kassen meinen, nach Gutsherrenart Verträge einfach so ignorieren zu können. Und zum andern: Was heißt hier andere Leistungserbringer könnten nicht partizipieren? Die Kasse hatte diesem Vertrag seinerzeit zugestimmt. Und: Soll sie doch mit anderen Leistungserbringern einen eigenen Vertrag abschließen.
6. April 2016
Huhu, am kommenden Montag geht’s zur Sache beim Retaxstreit. Unter Leitung des Schiedsstellenvorsitzenden Rainer Hess werden sich der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband treffen und den Vorschlag von Hess zur Lösung des Null-Relax-Streits diskutieren. Mamma mia, das wird nicht lustig, mein liebes Tagebuch. Die Vorstellungen beider Lager liegen naturgemäß weit auseinander. Zwischen der Apothekerforderung nach einem grundsätzlichem Retaxverbot bei Formfehlern und einem Kommt-gar-nicht-in-die Tüte von Seiten der GKV liegen Welten. Da braucht’s einen starken Rainer Hess, der dem gesunden Menschenverstand zum Durchbruch verhilft: Retax bei Formfehlern geht gar nicht – sollte die Devise lauten. Basta. Alles andere wäre absurd. Mein liebes Tagebuch, wir drücken die Daumen.
7. April 2016
Schön ist das nicht, was in Italien abläuft: Seit rund zehn Jahren dürfen dort OTC-Arzneimittel außerhalb von Apotheken in OTC-Shops, den Parafarmacien, verkauft werden. Jetzt hat der Besitzer einer Parafarmacie in Florenz beantragt, mit dem grünen Kreuz werben zu dürfen, das bisher den Apotheken vorbehalten ist. Ein Gericht hat ihm nun Recht gegeben: Weil die von den OTC-Shops angebotenen Waren „ähnlich wichtig“ wie die der Apotheken seien, sollten auch Parafarmacien in den historischen Stadtzentren mit dem grünen Kreuz werben dürfen, so das Urteil. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, die Stadtverwaltung kann in Revision gehen. Aber, mein liebes Tagebuch, wenn ein Gericht Nicht-Apotheken, die OTC verkaufen, als ähnlich wichtig wie Apotheken einschätzt, dann wird’s langsam eng für die Apotheken. Man kann nur hoffen, dass sich andere Länder davon nicht anstecken lassen. Man sieht daran auch: Wenn OTC erstmal aus der Apotheke draußen sind, dann sind sie weg – wie der Geist aus der Flasche, den man nicht mehr hineinbekommt. Also, mein liebes Tagebuch, „was lernt uns das“? Vielleicht das: Lasst uns hier in Deutschland das OTC-Geschäft weiterhin mit dem nötigen Impetus betreiben. OTCs brauchen den Apotheker, seine Beratung, seine Kompetenz. Auch OTCs können Neben- und Wechselwirkungen haben. OTCs sind keine Bonbons. Schade, dass die ABDA den Apothekertagsantrag nicht umsetzen will, der eine Datenbank zur evidenzgerechten Beurteilung von OTCs forderte. Wer weiß – das könnte sich rächen.
Wir werden umdenken müssen, mein liebes Tagebuch. Vielleicht schneller als uns lieb ist. Was und wie seit einiger Zeit im Silicon Valley bei Apple und Google geforscht wird, wird unsere Arbeits- und Lebensstrukturen umkrempeln. Nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon recht bald. Apple entwickelt beispielsweise ein CareKit, eine Plattform für Gesundheits-Apps, die zusammenarbeiten und jede Menge Daten liefern. Beispielsweise soll die App CareCard helfen, ärztliche Anweisungen wie die Arzneimitteleinnahme einzuhalten. Apple arbeitet auch daran, eine Plattform für Ärzte und Apotheker zu schaffen, über die gemessene und erfasste Gesundheitsinfos ausgetauscht werden können. Auch Google ist ungeheuer fleißig und hat schon Koryphäen an Wissenschaftlern auf allen Gebieten eingestellt. Nur ein Datum: Insider bei Google gehen davon aus, dass bereits im Jahr 2030 Computer ziemlich nah an dem Können dran sind, was Menschen können. Und sie können schneller lernen als wir, z. B. Sprachen. Oder Diagnosen stellen – indem sie auf das Wissen aus allen verfügbaren Studien zugreifen können. Im Prinzip werden Computer – davor darf man nicht die Augen verschließen – schon in wenigen Jahren Arzneimittel aussuchen können, nach allen Regeln der pharmazeutischen und medizinischen Kunst einschließlich der Berücksichtigung aller Neben- und Wechselwirkungen. Was bleibt dem Menschen Apotheker? Klar, das letze Wort und das endgültige OK. Vielleicht aber auch die Empathie, das Menschliche, das „Näher-ran-an-den-Patienten“ von Mensch zu Mensch. Das kann kein Computer.
Selbst wenn nicht alles kommt, was heute angedacht wird: Es wäre nicht verkehrt, wenn wir Apotheker, sprich die ABDA, einen Thinktank einrichten würden, in dem wir uns mit Wissenschaftlern aus IT und Zukunftsforschung, aber auch mit Leuten von Google und Apple austauschen würden. Die kleine IT-Arbeitsgruppe von ABDA-Mitgliedern, die sich ab und an trifft, um mal über IT nachzudenken, wird’s nicht richten. Das ist mehr Tank als Think. Kleiner Lesetipp: Wer wissen möchte, wie Google tickt und wie in dieser Organisation gedacht, geforscht, geplant wird, dem kann ich das Buch „Was Google wirklich will“ von Thomas Schulz empfehlen. Und da geht es nur am Rande um eine Suchmaschine, die das Geld bringt. Google ist schon lange weit mehr. Und das ist kein Science Fiction, sonder Science Reality.
8. April 2016
Da hat der liebe Herr Apothekerkollege Pfeifer in der Ärzte Zeitung mal so einen richtigen Kracher gezündet: Dispensierrecht für Ärzte im Notdienst – das könnte er sich gut vorstellen, schreibt er da. Superidee, oder? Mal so richtig quer gedacht, unkonventionell, erfrischend anders und natürlich ganz im Sinne des Patienten. Von wegen! Mein liebes Tagebuch, man kann ja wirklich alles mal durchspielen. Aber irgendwie ist das nicht quer gedacht, sondern verquer. Vor allem, wenn Pfeifer meint, dass das eine Art Deal sein soll: Die Ärzte dürfen im Notdienst dispensieren, dafür dürfen wir Apotheker die Patienten pharmazeutisch betreuen. Gib mir die rote Murmel, dafür kriegst du von mir die blaue. Irgendwie niedlich, oder? Ene, mene, Muh und raus bist du. Ach, lieber Herr Pfeifer, Sie haben doch früher immer ganz selbstbewusst die Fahne der Pharmazeuten hochgehalten. Warum jetzt so unterwürfig? Warum sollen wir vor den Ärzten kuschen und Ihnen ein Dispensierrecht einräumen, um unseren Job, den nur wir so können, machen zu dürfen? Dabei ist das nur auf den ersten Blick pro Patient gedacht, denn es hat gute Gründe, warum die Verordnung von Arzneimitteln von der Abgabe/vom Verkauf getrennt ist. Und außerdem: Selbst die Mehrzahl der Ärzte hat kein gesteigertes Interesse, ein Arzneimittellager für den Notdienst aufzubauen, wie eine Umfrage zeigt. Und, mal Hand aufs Herz, die gesamte Rabattarzneimittel-Schose samt Retax wünschen wir selbst unseren Ärzten nicht wirklich, oder, was meinen Sie, Herr Pfeifer? Mein liebes Tagebuch meint: Der Pfeifersche Vorschlag war ein putziger Diskussionskracher, uns Apothekers zum Nachdenken anzuregen. Ernst nehmen kann man das nicht. Wir Apothekers haben zwar bisweilen nicht das allergrößte Selbstbewusstsein, aber für die pharmazeutische Betreuung reicht es. Herr Pfeifer, wir schaffen das!
18 Kommentare
Defektlisten
von Bernd Jas am 10.04.2016 um 15:01 Uhr
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AW: Auch sehr ärgerlich: Kontingente und Skontistreitereien
von Kerstin Kemmritz am 10.04.2016 um 15:07 Uhr
AW: Defeke durch Kontingente und Skontistreitereien
von Bernd Jas am 10.04.2016 um 18:45 Uhr
Themen, die auf der Straße liegen
von Kerstin Kemmritz am 10.04.2016 um 14:54 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Durchdachteres
von Reinhard Rodiger am 10.04.2016 um 19:33 Uhr
Diverses
von Dr.Diefenbach am 10.04.2016 um 13:03 Uhr
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Tut mir leid....
von Reinhard Rodiger am 10.04.2016 um 11:29 Uhr
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Notdienstapothekerärzte
von Ulrich Ströh am 10.04.2016 um 10:26 Uhr
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AW: Den Artikel....
von gabriela aures am 10.04.2016 um 10:40 Uhr
AW: Dispensierrecht
von Dr. Jochen Pfeifer am 10.04.2016 um 11:27 Uhr
AW: Zugang ...
von gabriela aures am 10.04.2016 um 11:36 Uhr
nö!
von Christian Giese am 10.04.2016 um 10:19 Uhr
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Übers ...
von gabriela aures am 10.04.2016 um 10:16 Uhr
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Ganz frisch weitergedacht....
von gabriela aures am 10.04.2016 um 10:04 Uhr
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AW: Außer dem...
von Bernd Jas am 10.04.2016 um 14:56 Uhr
AW: Noch ist...
von gabriela aures am 10.04.2016 um 15:55 Uhr
Ärzte als Notdienstapotheker
von Ulrich Ströh am 10.04.2016 um 8:54 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Dispensierrecht
von Dr. Jochen Pfeifer am 10.04.2016 um 9:19 Uhr
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