DAZ.wochenschau

Praxisapotheker und die (Dancing) Queen

Stuttgart - 23.04.2016, 08:00 Uhr

Apotheker und Ärzte sollten sich nicht gegenseitig auf die Füße treten. (Foto: Mihai Blanaru / Fotolia)

Apotheker und Ärzte sollten sich nicht gegenseitig auf die Füße treten. (Foto: Mihai Blanaru / Fotolia)


Bis 2020 soll jede Allgemeinarzt-Praxis in England von einem Apotheker unterstützt werden. In Deutschland scheint es schon schwierig, Klinikapotheker auf Station zu etablieren. Pharmazeuten in Praxen? Verwegen! DAZ.online-Redakteurin und Apothekerin Celine Müller hat sich so ihre Gedanken gemacht.

Fortschritt und Tradition können offensichtlich nah beieinander liegen: „Großbritannien etabliert Praxisapotheker” und „Die Queen wird 90” - diese Schlagzeilen aus der zurückliegenden Woche standen ganz unter der englischen Flagge. Zwei Gründe zu feiern. Zumindest für die Briten. Denn angesichts der klinisch-pharmazeutischen Lage in Deutschland kommen mir manchmal eher die Tränen. 

Der Apotheker ist aufgrund seiner Ausbildung Fachmann im Bereich der Arzneimittelinformation. E-Funktionen zur Pharmakokinetik von Arzneistoffen haben wir im Studium rauf- und runtergerechnet, Tabletten gepresst, synthetisiert und analysiert wie die Weltmeister und, man höre und staune, ja, sogar Vorlesungen in Pharmakologie und Klinischer Pharmazie (seit 2005) hatten wir ab und an auf unserem Semesterplan.

Geht es um Dosisanpassungen bei Niereninsuffizienz, Interaktions-Checks bei Medikationsplänen, entsprechende Äquivalenzdosen bei Arzneimittelumstellungen oder einfach die nicht immer ganz so einfache, korrekte Anwendung von Arzneimitteln – unser „Tanzbereich”! Wie es so schön bei Dirty Dancing in den Achtzigerjahren hieß.

Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass ich um jeden Millimeter dieses Tanzbereichs pharmazeutischer Kompetenz kämpfen muss.

Schade ­– finde ich! Und so muss es nicht sein – Denn… 

… England zeigt: Es geht auch anders!

Bereits 2015 hat der britische Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) ein Modellprojekt initiiert. Apotheker sollen Ärzte unterstützen und kritische Schnittstellen bei der Patientenversorgung optimieren. In Praxen. An oberster Stelle steht die Patientensicherheit. Safety first.

Und nicht nur in England genießen Apotheker einen besseren Stand als hierzulande. Auch die Schweizer sprechen ihren Pharmazeuten weitaus größere Kompetenzen zu. Mit einer speziellen Impfweiterbildung dürfen Apotheker in den Kantonen Zürich, Bern, Solothurn, Freiburg und Neuenburg Patienten impfen.

„Der Apotheker trägt Verantwortung für eine gute Gesundheit der Bevölkerung – auch bei wichtigen Präventionsthemen wie dem Impfen”, heißt es in einer Medienmitteilung des schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse.

Schlaraffenland für deutsche Pharmazeuten! Oder eher noch Phantasialand!

Die Eidgenossen scheinen ihre Pharmazeuten sogar so ausreichend fähig zu beraten, dass eine erweiterte Abgabekompetenz verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung möglich ist.

Fortschrittlich und zukunftsweisend – finde ich!

Medizin ist nicht Pharmazie, ein Arzt kein Apotheker und auch nicht umgekehrt. Beide Berufsgruppen haben ihre Fähigkeiten und Daseinsberechtigung. Jede in ihrem „Tanzbereich”. Tanzen geht meist besser zu zweit!

Wünschenswert – finde ich!


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Praxis: Arzt und Apotheker

von Heiko Barz am 23.04.2016 um 13:14 Uhr

Diese albernen Sozialisierungspläne im Gesundheitssystem sind doch immer vom Geld abhängig!
Solche Pläne zum gemeinschaftlichen Handeln zweier unabhängiger, gesundheitspolitischer Protagonisten geht nur im Kommunismus. Wir hatten solche Systeme schon mal. Man erinnere sich!
Natürlich kann man überall Positives extrahieren, aber solange der Individual-Apotheker ein größeres Kapital aufwenden muss, um seine Selbständigständigkeit begründen zu können, ist jeder Sozialisierungsplan ausgehebelt.
Dann sollte man doch so ehrlich sein und die Verstaatlichung des Gesundheitssytems auf breiter Linie fordern.
Dann aber müssten auch die KKassen sozialisiert werden!!
Das infernale Geschrei derer Vorstände höre ich jetzt schon.
Alle begleitenden Funktionsträger wie Kammern, Verbände, Vereine, etc. werden überflüssig, wenn sie nicht in einen Pool der Gesundheitsgewerkschaft verpflichtet werden.
Dann beginnt endlich die sozialistische Planwirtschaft - hier im Gesundheitswesen - zu greifen.
Und wer wird sich dann noch freiwillig in diese Berufsgruppen vorkämpfen wollen?
Gab es da nicht einmal, das ist doch noch gar nicht so lange her, einen Stauferkaiser, der aus klarer Überzeugung das System Arzt und Apotheker getrennt hat?
War das wirklich so dumm?
Friedrich der Zweite!! ( 1194 - 1256 )
Ein Beruf mit solcher Tradition ist per es ein zu schützendes Element.

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Sehr guter Kommentar

von Philipp Jüttner am 23.04.2016 um 12:48 Uhr

Die Entwicklung in GB und in der Schweiz zeigt deutlich, wofür die jeweiligen Regierungen zukünftig bereit sein werden, Geld auszugeben (und wofür nicht mehr) bzw. wo sie den Apotheker sehen. Es geht eben nicht darum, Minderärzte, MM High-End Pharmazeuten oder ähnliches auszubilden. Wer das behauptet, hat schlicht nicht den Sinn der Klinischen Pharmazie verstanden.

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