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In dieser Woche und am Tag der Arbeit: die gesamte Schönheit unseres Berufes! Tausend Baustellen, kaum Zukunftsideen, Apothekers als Kassenpolizisten und zwei beleidigte Gesundheitspolitikerinnen, die mit einem Honorardeckel für Apotheker ihren Frust raus lassen. Oh Apothekerberuf, ick liebe Dir!
25. April 2016
Nicht nur der schleswig-holsteinische Verbandschef Froese will es. Auch die Berliner Gesundheitspolitikerinnen denken darüber nach, wie Apotheken auf dem Land erhalten werden können. O.k., noch ist der Niedergang der Landapotheke nicht dramatisch. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht und Landapotheker keine Nachfolger finden, gehen die Lichter in Landapos bald aus. Mein liebes Tagebuch, da sollte man sich in der Tat etwas einfallen lassen. Froese denkt an Fördermaßnahmen für Ärzte und Apotheken, wenn sie auf dem Land bleiben oder sich dort niederlassen. Förderung, nicht unbedingt mit Cent und Euro, er kann sich auch bessere rechtliche Rahmenbedingungen vorstellen. Konkretes hat er noch nicht entwickelt. Wie wär’s mit einem Landapothekenfonds? 20 Cent mehr auf die Packung und monatliche Ausschüttung nur an Landapos? Nee, auch nicht das Gelbe vom Ei. Tja, da müsste man dann auch erst mal klären: Was ist eine Landapotheke? Mein liebes Tagebuch, vielleicht müssen wir in fünf bis zehn Jahren doch die Busse fahren lassen, die Videokabinen mit Kommissionierer-Abgabestelle einrichten oder uns zur Light-Apotheke bekennen? Aber bis es so weit ist, gibt’s ja noch die Rezeptsammelstellen und die Zustellung durch Boten im Einzelfall – wobei sich die Einzelfälle dann eben ein bisschen häufen, gell?
Ist das nun beruhigend oder eher nicht, wenn es heißt, dass CDU-Fraktionsvorsitzender Kauder – vor dem Hintergrund der Digitalisierung – die Apotheker nicht ersetzen will? Also, mein liebes Tagebuch, ich weiß nicht, klingt eher euphemistisch als beruhigend. Wenn überhaupt schon darüber nachgedacht wird, ob man uns noch braucht! Und wenn er dann noch sagt, dass das E-Health-Gesetz „eine unglaubliche Wirkung entfalten“ werde, na dann finden wir uns bald im Schlund eines schwarzen Cyber-Lochs wieder. Hört man Zukunftsforscher wie beispielsweise auf dem Wirtschaftsforum, dann kommt mit Big Data, Vernetzung, Digitalisierung und dem Internet der Dinge sowieso eine „Devaluation des Expertentums“ auf uns zu, auf deutsch: Man vertraut dem Internet, der Digitalisierung mehr als dem Experten, dem Menschen. Das könnte auch den Ärzten und Apothekern passieren, wenn der Patient seine Diagnose-App in der Tasche hat, gespeist und gefüttert von Super-Datenbanken. Für den Apotheker bleibt dann nur noch das Menschliche: Vielleicht eine liebevolle Umarmung des Patienten, nachdem er ihm den Code zum Ausdrucken seines Arzneimittels zu Hause auf dem 3D-Drucker mitgegeben hat? Mal im Ernst: Selbst wenn die Politik heute so liebe Worte sagt und uns nicht ersetzen will: Die normative Kraft der faktischen Digitalisierung wird sagen, wo’s lang geht. Da wird auch die Politik nicht viel richten können. Die netten Anstrengungen, den Papier-Medikationsplan zum Laufen zu bringen und irgendwann mal auf eine elektronische Version umzustellen, wirken dagegen richtig putzig. Mein liebes Tagebuch, wir sollten unsere Zukunft selbst machen. Und damit meine ich nicht das brave Perspektivpapier, das unser Heute auf 2030 hochrechnet. Wo sind die ABDA-Ideen für unsere digitale Zukunft?
26. April 2016
Das ist ja wohl das Letzte: Hersteller kontingentieren ihre Lieferungen an den Großhandel, vor allem bei hochpreisigen Arzneimitteln. Bestellt die Apotheke direkt, dann sind die Präparate plötzlich „in jeder Menge“ lieferbar. Was steckt hier dahinter? Warum tun das Hersteller? Einer dieser Kandidaten ist z. B. Biogen mit seinem Präparat TecFidera (rund 1255 Euro pro Packung). Theo Hasse, Chef des Apothekerverbands Rheinland-Pfalz, ist der Kragen geplatzt: Er geht jetzt an die Öffentlichkeit und macht auf diese Zustände aufmerksam. Mein liebes Tagebuch, das ist gut so. Endlich! Hasse schrieb einen geharnischten Brief an Biogen, um zu erfahren, warum man den Großhandel nicht ausreichend beliefere. Immerhin besteht für pharmazeutische Unternehmer die Pflicht, Großhandlungen kontinuierlich zu beliefern. Biogen hat sich dazu noch nicht geäußert. Klar, wieso auch, die Nichtbelieferung zieht keine rechtlichen Konsequenzen nach sich. Mein liebes Tagebuch: Wir raten Biogen, vielleicht mal seine Seite zu seinem „Ethischen Geschäftsverhalten“ durchzulesen. Da steht: „Dass wir uns in unserer täglichen Arbeit ethisch korrekt und verantwortungsbewusst verhalten, ist entscheidend für unseren Erfolg. … Wir erwarten von allen Mitarbeitern bei Biogen ein ethisch einwandfreies Verhalten bei unseren gemeinsamen Bemühungen im Hinblick auf unser Ziel:… Bereitstellung innovativer Therapien.“ Tja, liebes Führungsteam von Biogen, wenn das nicht nur billiges Marketingsprech sein soll, müsst ihr was ändern! Mit Kontingentierung wird’s nichts.
27. April 2016
Wie geht’s den Apotheken? Kommt drauf an, wie man‘s sieht. Der Deutsche Apothekerverband stellte auf seinem Wirtschaftsforum die Zahlen dazu vor. Und die zeigten: Es kommt wirklich darauf an, von welcher Warte man aus drauf schaut. Die durchschnittliche Apotheke macht 2,1 Mio. Umsatz, aber 61 Prozent der Apotheken liegen eben unterm Durchschnitt. Das steuerliche Betriebsergebnis liegt bei 6,5 Prozent vom Netto-Umsatz (0,1-Prozentpunkt weniger als im Vorjahr). Die Zahl der Apotheken hat weiter abgenommen, 200 weniger als ein Jahr zuvor: Ende 2015 waren es 20.250 Apotheken. Keine Filiale haben rund 12850 Apotheken. Schaut man auf die Zahl der Hauptapotheken (mit 0, 1, 2 oder 3 Filialen), so gibt es nur noch rund 16.000 – und damit taucht die Zahl auf, die vor etwa zehn Jahren durch die Landschaft geisterte: „Wir werden bald nur noch 16.000 Apotheken haben.“ Na ja, stimmt nicht ganz. Durch die Filialisierungsmöglichkeit haben wir noch rund 4250 Apotheken mehr. Aber es gibt mehr Personal in Apotheken, insgesamt beschäftigen die Apotheken rund 154.500 Mitarbeiter (ein Jahr zuvor 152.750). Das heißt: Es gibt mehr zu tun. Und: der Frauenanteil liegt bei 89,1 Prozent. Mein liebes Tagebuch, Apotheken sind weiblich. OHGs sind im Aufwärtstrend (derzeit 662), die Filialisierung steigt nur noch geringfügig an. Wie geht’s weiter? Bei Rx wird es ein geringes Wachstum geben, OTC bleibt weitgehend unverändert. Einkaufskonditionen verschlechtern sich, Lohnkosten nehmen zu. Vielleicht, aber wirklich nur vielleicht gibt’s ein paar Cent mehr BtM-Gebühr und 8,35 Euro für die Abgabe von Rezepturen – und dann fällt uns womöglich der Hochpreiser-Deckel auf den Kopf oder das BMWi-Gutachten zieht uns den Boden untern den Füßen weg – nein, mein liebes Tagebuch, wie’s weiter geht, lässt sich nicht seriös vorhersagen. Unsere Branchenlage bleibt „politikgetrieben“ und das ist gar nicht schön.
Da sind sie, nahezu alle Probleme und Schwierigkeiten, denen wir Apothekers derzeit ausgesetzt sind: DAV-Chef Fritz Becker hat sie in seinem politischen Lagebericht fürs Wirtschaftsforum zusammengestellt. Ein langer Baustellen-Katalog. Zum Beispiel: Noch keine Honoraranpassung, noch keine Erhöhung von BtM-Gebühr und Rezepturpreisen, BMWi-Gutachten, Nullretax, Importförderklausel, Lieferengpässe, Hochpreiser, Rabattverträge, Zytoausschreibungen, Medikationsplan, ARMIN, elektronische Gesundheitskarte, Entlassrezept, Präqualifizierung. Mein liebes Tagebuch, reicht’s schon? Nein? Also gut, es gibt noch die Re-Präqualifizierung. Und ich fordere die Ante-Re-Pro-Präqualifizierung, bis die Präpositionen der lateinischen Sprache am Ende sind. Mein liebes Tagebuch, welch schönen Beruf wir doch haben! Und dann kommen da noch zwei Damen aus der Gesundheitspolitik, die glauben, sie müssten uns mit einem Honorardeckel auf den Kopf schlagen. Und wir kriechen am Boden, küssen allen die Füße und lecken uns die Wunden. Nein, nicht mit Fritz Becker. Er schäumte: „Nicht mit uns! Wir werden uns mit allen Mitteln dagegen wehren.“ Mein liebes Tagebuch, hoffentlich bleibt’s dabei. Und überhaupt wär’s gut, wenn nicht nur einmal anlässlich des Wirtschaftsforum Tacheles geredet würde, sondern auch unterm Jahr öfter mal auf den Putz geschlagen würde. Rezepturpreise, Lieferengpässe, Nullretax – die Politik versteht nur eine laute und deutliche Aussprache.
28. April 2016
Ob sich Thomas Ballast, Chef der Techniker Krankenkassen, das wirklich gut überlegt hat? Auf dem Wirtschaftsforum überraschte er mit dem Vorschlag, die Apotheker quasi als „Sparschranke“ zu etablieren. Und das soll so gehen: Der Arzt soll bittschön die Diagnose (verschlüsselt) aufs Rezept schreiben, damit sie der Apotheker einsehen kann. Und jetzt kommt’s: Vor der Abgabe soll dann der Apotheker mitentscheiden, ob das verordnete Arzneimittel überhaupt für diesen Patienten geeignet ist, und vor allem soll er den Zusatznutzen des Arzneimittels überprüfen. Hat das Präparat keinen Mehrwert für den Patienten, soll der Apotheker die Abgabe verweigern und das Rezept zur weiteren Prüfung direkt an die Kassen schicken. Und dafür zahlt ihm die TK ein Honorar. Mein liebes Tagebuch, super, oder? Der Apotheker soll seinen Arzt verpetzen und dafür gibt’s Kohle, so eine Art Judas-Lohn. Na, das fördert die gute Zusammenarbeit der Heilberufe, oder? Ist ja nett, Herr Ballast, dass Sie unsere Kompetenz nutzen und honorieren wollen, aber bitte nicht als Kassenpolizisten. Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas Anderes ein, wie man uns Apotheker einsetzen und extra honorieren könnte. Wir können Ihnen da gerne ein paar Tipps geben.
29. April 2016
Ja, was nun? Bekommen wir in diesem Jahr noch eine Erhöhung der BtM-Gebühr und unser Apothekerhonorar für Rezepturen oder nicht? Mein liebes Tagebuch, du glaubst es nicht, in welch seltener Einigkeit die beiden Gesundheitspolitikerinnen von CDU und SPD, Michalk und Mattheis, auf dem Wirtschaftsforum bei dieser Frage herumgeeiert sind: Ja, irgendwie müsse da was kommen, vielleicht, da sind wir überzeugt, wahrscheinlich vielleicht, mal sehen, lauteten die Antworten. Und das Schärfste: Irgendwie wollen sie das im Zusammenhang mit ihrem Honorardeckel bei Hochpreisern sehen, den sie in ihr Positionspapier geschrieben haben. Also, wenn gedeckelt werden sollte, sollten die Apotheker unterm Strich trotzdem nicht weniger bekommen: Schließlich habe man sich bei der BtM-und Rezepturpreisgebühr für eine Erhöhung ausgesprochen. Mein liebes Tagebuch, die beiden Damen sind echt gut drauf, oder? Ihr Motto: Die Apothekers finanzieren ihre Honorarerhöhung selbst. Und unterm Strich haben wir dann nicht mehr und nicht weniger. Ich glaub, mein Schwein pfeift. Das Allerschärfste: Dieses unsägliche Positionspapier mit dem Honorardeckel haben die beiden nur geschrieben, weil sie nicht beim Pharmadialog mitspielen durften und weil der Bundeswirtschaftsminister eigenmächtig beim Apothekerhonorar ein Gutachten angefordert hat. Stark, oder? Da spielen die beiden die beleidigte Leberwurst und wir Apothekers müssen dafür büßen. Das ist Gesundheitspolitik 2016!
15 Kommentare
Wer soll das noch ertragen?
von Karl Friedrich Müller am 01.05.2016 um 23:07 Uhr
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Durchschnitt
von Reinhard Rodiger am 01.05.2016 um 16:54 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 4 Antworten
AW: 2,1 Mio. stimmen (leider?) ...
von Reinhard Herzog am 01.05.2016 um 18:05 Uhr
AW: Was stimmt? (ev.leider)
von Reinhard Rodiger am 01.05.2016 um 20:15 Uhr
AW: TIP (ohne Doppel-TT) oder Heute steht der Ami vor der Türe
von Bernd Jas am 01.05.2016 um 23:40 Uhr
AW: Plausibilität der Daten
von Reinhard Herzog am 01.05.2016 um 23:46 Uhr
Guten Morgen, meine Lieben !
von gabriela aures am 01.05.2016 um 13:27 Uhr
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AW: Verantwortungslos....
von Reinhard Rodiger am 01.05.2016 um 15:15 Uhr
DAV und nun? - Nur gemeinsam wären wir stark!
von Kerstin Kemmritz am 01.05.2016 um 12:59 Uhr
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AW: PR-Arbeit
von gabriela aures am 01.05.2016 um 13:40 Uhr
Nur die heile Welt heilt ?
von Reinhard Rodiger am 01.05.2016 um 11:48 Uhr
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Retax
von Dr. radman am 01.05.2016 um 11:40 Uhr
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Retro Landapotheke
von Ulrich Ströh am 01.05.2016 um 10:08 Uhr
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Tacheles reden, auf den Putz hauen ...
von Reinhard Herzog am 01.05.2016 um 9:32 Uhr
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Düstere Aussichten
von Dr. Jochen Pfeifer am 01.05.2016 um 9:04 Uhr
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