Elmar Mand zu EuGH-Schlussanträgen

Das Ende des einheitlichen Apothekenabgabepreises?

Marburg - 02.06.2016, 16:00 Uhr


Was ist von den Schlussanträgen des Generalanwalts zum Rx-Boni-Verbot zu halten? Und was wäre, wenn der Europäische Gerichtshof ihnen folgen würde? Lesen Sie eine rechtliche Einschätzung von Dr. Elmar Mand, LL.M. (Yale).

Die Schlussanträge des Generalanwalts Maciej Szpunar können rechtlich nicht überzeugen. Zwar sehe auch ich eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) infolge des Festpreissystems für verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 78 Abs. 2 Arzneimittelgesetz). Denn speziell für Online-Apotheken wird der Marktzugang durch einen einheitlichen Apothekenabgabepreis unter Umständen erschwert. Und der Online-Vertrieb ist ein besonders geeignetes Mittel für ausländische Anbieter, den deutschen Markt zu erreichen.

Rechtfertigung der einheitlichen Apothekenabgabepreise

Doch ist diese Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Gesundheitsschutzes, insbesondere zur Sicherstellung einer flächendecken Versorgung mit pharmazeutischen Dienstleistungen, gerechtfertigt (Art. 36 AEUV). Die Ausführungen des Generalanwalts, mit denen er die insoweit entscheidenden Argumente zu entkräften versucht, überzeugen nicht.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum zuerkannt, auf welchem Niveau sie die Gesundheit schützen möchten und welche Maßnahmen sie hierzu implementieren wollen. Dabei steht ihnen eine Einschätzungsprärogative sowohl hinsichtlich der Gefahren als auch hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahmen zur Gefahrabwendung zu. Der Generalanwalt nimmt hierauf selbst in Rn. 65 seiner Schlussanträge Bezug und zitiert den EuGH auch selbst (Rn. 57): „[D]er Mitgliedstaat [muss], wenn eine Ungewissheit wegen des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die menschliche Gesundheit bleibt, Schutzmaßnahmen treffen können, ohne abwarten zu müssen, bis der Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht ist“.

Persönliche Vorlieben statt fundierte Argumente

Allerdings bringt der Generalanwalt diese Ausführungen erst nach der entscheidenden Prüfung, ob die deutsche Preisregulierung für Arzneimittel gerechtfertigt ist, um eine flächendeckende Versorgung mit pharmazeutischen Leistungen sicherzustellen. Er tut den Wertungsspielraum dabei als unbeachtlich ab, weil gar keine relevanten Unklarheiten hinsichtlich der Gefahren für die Gesundheit und hinsichtlich der geeigneten Abwehrmaßnahmen bestünden! (Rn. 68 ff. seiner Schlussanträge).

Dies ist doch sehr befremdlich. Denn die vorausgegangene Rechtfertigungsprüfung beruhte offensichtlich mehr auf persönlichen Vorlieben und Einschätzungen des Generalanwalts, denn auf fundierten Argumenten: Statt des demokratischen Gesetzgebers in Deutschland, sieht sich der Generalanwalt selbst berufen, die Gefahren für die Versorgungsdichte in Deutschland einzuschätzen und die geeigneten Maßnahmen zu ihrer Sicherheit vorzuschlagen.

Exemplarisch heißt es in Rn. 51 der Schlussanträge: „Die Verknüpfung zwischen der deutschen Maßnahme und dem behaupteten Ziel der gleichmäßigen Versorgung mit Arzneimitteln erscheint mir zu lose...“ Und weiter in Rn. 52: „Aus der Zahl der Apotheken [folgt] nicht automatisch, dass es in Deutschland flächendeckend eine gleichmäßige und umfassende Versorgung gibt. Wer kann sagen, ob es gerade die entlegenen Gebiete und/oder die Gebiete, in denen viele ältere Menschen leben, sind, die besser versorgt werden, wenn es mehr Apotheken gibt.“

Mit diesen Ausführungen ignoriert der Generalanwalt meines Erachtens den Kern der Einschätzungsprärogative der Mitgliedstaaten. Denn danach ist es ja ihre Sache, wie sie die Gesundheitsgefahren einschätzen und welche Maßnahmen sie zu ihrer Abwendung für geeignet und erforderlich ansehen!

Gernalanwalt übt sich als Politikberater

Noch deutlicher wird es dann in Rn. 53 der Schlussanträge: „Zweitens: Soweit es um verschreibungspflichtige Arzneimittel geht, sollte man weniger die Apotheken als vielmehr die Zahl der Ärzte in den Blick nehmen. Ursache des Problems ist sicherlich der „ländliche Ärztemangel“, das heißt der Mangel an Ärzten in entlegenen Gebieten, und nicht die Zahl der Apotheken.“ Hier übt sich der Generalanwalt in Politikberatung! Nicht mehr der Gesetzgeber, sondern der Generalanwalt identifiziert die Probleme und die zu seiner Lösung gebotenen gesetzgeberischen Maßnahmen! Dies verletzt eklatant Art. 168 Abs. 7 AEUV. Dort heißt es: „Bei der Tätigkeit der Union wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt.“

Wenn der Generalanwalt in Rn. 54 seiner Schlussanträge schließlich zur Notversorgung Stellung nimmt, gehen seine Ausführungen gänzlich am Problem vorbei. Die Notversorgung an Sonn- und Feiertagen sowie des Nachts betrifft nicht die flächendeckende Versorgung durch ein hinreichend dichtes Apothekennetz, sondern setzt dieses Voraus. Weiterhin wird der „Zuschlag“ für den Notdienst, von dem der Generalanwalt spricht, gerade als Teil der zwingenden Apothekenvergütung bezahlt, die der Generalanwalt selbst für unvereinbar mit der Warenverkehrsfreiheit erklärt hat. Was der Generalanwalt mit seiner Argumentation insoweit auszusagen beabsichtigt, bleibt entsprechend nebulös. Darf Deutschland etwa doch einen zwingenden Sonderzuschlag zugunsten der Apotheken beim Verkauf erheben, der dann zu einem Mindestpreis führt?

Fazit

Alles in allem sind die Schlussanträge wenig tragfähig. Ob ihnen der EuGH folgt, wie in etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle, bleibt abzuwarten. Ich bin recht guter Hoffnung, dass dem nicht so sein wird. Sollte der EuGH seinem Generalanwalt dagegen folgen, ist das bisherige Festpreissystem für Rx-Arzneimittel in Deutschland obsolet. Zwar müssen sich deutsche Apotheken auch weiterhin an das Preisrecht halten. Sie können sich mangels grenzüberschreitender Lieferung nicht auf die Warenverkehrsfreiheit berufen. Für ausländische Versandapotheken ist das Preisrecht aber nicht mehr anwendbar. Angesichts dieser eklatanten – aber rechtlich unangreifbaren – Inländerdiskriminierung wäre die Abschaffung des derzeitigen Preissystems wohl unvermeidlich.

Komplettes Versandverbot als Alternative?

Allerdings gibt es eine Alternative: Zu fragen ist, ob Deutschland nicht den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder ganz verbieten sollte. Ein solch generelles Rx-Versandverbot gilt – wenn ich recht sehe – noch immer in der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten. Seine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, einschließlich der Warenverkehrsfreiheit, hat der EuGH bereits festgestellt. Hieran zweifelt auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen nicht (Rn. 54 f.). Nachdem bereits mehrere Versuche einzelner Bundesländer gescheitert sind, über den Bundesrat den Versandhandel mit Rx-Arzneimitteln wieder verbieten zu lassen, dürften bei einer Entscheidung des EuGH gegen die derzeitige Arzneimittelpreisverordnung einem neuen Anlauf wohl größere Erfolgschancen beizumessen sein. Hierfür streitet noch ein weiterer Aspekt: Die eklatante Zunahme gefälschter Arzneimittel, die – trotz aller Bemühungen um eine sichere Identifizierung legaler und sicherer Versandapotheken – nahezu ausschließlich über dubiose Online-Apotheken vertrieben werden. Sollte es so kommen, wäre der Kampf von DocMorris um eine Abschaffung der deutschen Preisregulierung ein echter Pyrrhussieg.

Hier finden Sie die Schlussanträge des Generalanwalts im Wortlaut.


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Woran die Schlussanträge des General­anwalts haken

1 Kommentar

EU

von Frank ebert am 02.06.2016 um 16:55 Uhr

Was für eine Farce-----ein Pole zerstört die deutschen Apotheken. Und auch vielen Dank an Ulla Schmidt und den vielen Experten im Gesundheitswesen. Deutschland schafft sich ab.

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