Mibe zum Streit um das Umsonst-Kontrazeptivum

„Die AOK gefährdet unseren Ruf"

25.07.2016, 12:00 Uhr

Um diese Pille geht es: Derzeit kommen nur drei Prozent der Chlormadinon-Ethinylestradiol-Kontrazeptiva, die in Apotheken über den HV-Tisch gehen, von der Firma Mibe, (Foto: Mibe)

Um diese Pille geht es: Derzeit kommen nur drei Prozent der Chlormadinon-Ethinylestradiol-Kontrazeptiva, die in Apotheken über den HV-Tisch gehen, von der Firma Mibe, (Foto: Mibe)


Niedrigpreisangebote wie das der Firma Mibe, die der AOK einen Rabatt von fast 100 Prozent auf ein Kontrazeptivum angeboten hat, gefährden den Wettbewerb. Das findet zumindest der Chef der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann. Die Mibe GmbH sieht durch Hermanns Äußerungen ihren Ruf beschädigt, erklärt der Geschäftsführer gegenüber DAZ.online. 

Man habe der Sache nicht so viel Bedeutung beigemessen, sagt Stefan Grieving, Geschäftsführer der Mibe GmbH, gegenüber DAZ.online. Deswegen hatte man sich nicht schon im Vorfeld zu der Auseinandersetzung mit der AOK geäußert.

Es geht bei dem Streit um ein Chlormadinon-haltiges Kontrazeptivum. Mibe hatte die Pille der AOK im Rahmen von Rabattvertragsausschreibungen mit einem Nachlass von fast 100 Prozent angeboten. Die AOK wollte das Angebot nicht annehmen, wurde aber per Gerichtsbeschluss dazu gezwungen. Die Beweggründe der AOK hatte Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, im DAZ.online-Interview dargelegt. 

„Die AOK steht für fairen Wettbwerb"

Seit Anbeginn der Rabattverträge stehe die AOK für fairen Wettbewerb und Anbietervielfalt, erklärte Hermann. Dass sich diese Bemühungen inklusive vieler Rechtsstreitigkeiten mit etablierten Herstellern gelohnt haben, sieht er durch die nun herrschende Anbieter-Vielfalt im Generikamarkt bestätigt. Die habe es früher so nicht gegeben.

Dass nun ein Unternehmen Marktanteile über „absolute Dumpingangebote“ gewinnen will und dabei die Vergaberechtsprechung auf seiner Seite hat, hält Hermann für einen Schlag gegen den fairen Wettbewerb. Hermann kritisiert dabei insbesondere, dass Mibe die Pille unter Selbstkostenpreis anbiete und dabei auf in der Zukunft liegende mögliche Einnahmen spekuliert.

Selbstzahler einkalkulieren – bei der Pille ein legitimes Geschäftsmodell

Diesen Vorwurf kann Grieving nicht nachvollziehen. Im Bereich der Pille gibt es aufgrund der Erstattungsregelungen des SGB V einen großen Selbstzahlermarkt. Viele Frauen bleiben dann bei dem Präparat, das sie vor ihrem 20. Geburtstag auf Kassenkosten erhalten hatten. Diesen Selbstzahlermarkt bei einem Angebot für ein Rabattarzneimittel mit einzukalkulieren, ist in Grievings Augen ein legitimes Geschäftsmodell – zumindest in diesem besonderen Markt der Kontrazeptiva. Und genau diese Besonderheiten habe das Gericht bei seinem Urteil auch berücksichtigt. Bei einem anderen Wirkstoff wäre die Sache vermutlich anders ausgegangen, mutmaßt Grieving.


Mibe hat Stellung genommen

Mibe sieht durch Hermanns Äußerungen den guten Ruf, den das mittelständische Unternehmen nach eigener Aussage genießt, beschädigt – und hat nun Stellung genommen: 

Die AOK muss sich nicht zum Retter des Wettbewerbs in der Generikaindustrie aufschwingen. Die AOK hat an vorderster Front für die Art der Rabattverträge gekämpft, die nun den Generikamarkt dominieren und fördert durch die Art der Ausschreibungen, in denen es letztendlich nur um das Angebot mit der höchsten Ersparnis geht, den ruinösen Wettbewerb.

Dieses Ausschreibungsverhalten führt dazu, dass sich das Angebot ausdünnt. Viele Generikafirmen, insbesondere Mittelständler, treten zum Patentablauf nicht mehr in den Markt ein. Die Unternehmen verzichten von vornherein auf diese Märkte, da sie unprofitabel sind. Damit bleibt aber auch die Anbieterzahl zukünftig sehr überschaubar. 

Scheinheilige Argumentation

Äußerst unverständlich ist die Argumentation von Herrn Herrmann in Bezug auf die Angebotshöhe der mibe GmbH Arzneimittel im Fall Chlormadinon. Aus unserer Sicht wird hier eine scheinheilige Argumentation gegen die mibe konstruiert. Aus jahrelanger Erfahrung im Ausschreibungsgeschäft wissen wir sehr genau, wie hoch die Rabatte in den allermeisten Fällen für eine Zuschlagserteilung sein müssen. Es gewinnt grundsätzlich der Anbieter, der den niedrigsten Angebotspreis abgibt. Da es oft nur einen Gewinner gibt, wissen die Firmen, wie zu kalkulieren ist, um den Zuschlag zu erhalten – nämlich äußerst niedrig bis ruinös. Hinzu kommt, dass der Kontrazeptivamarkt, hier Chlormadinon, mitnichten gleichzusetzen ist mit der großen Masse der RX-Märkte. Im Gegensatz zu den anderen RX-Märkten ist der Kontrazeptivamarkt durch einen extrem hohen Selbstzahleranteil geprägt.

Im konkreten Fall bezüglich Chlormadinon / Ethinylestradiol stellt sich zudem die Frage, warum die AOK ein Ein-Partner-Modell gewählt hat? Die AOK hätte auch hier, wie bei anderen Wirkstoffen, ein 3-Partnermodell wählen können, das ggfs. dem dramatischen Preiskampf ein wenig entgegenwirkt. Die Antwort ist klar: in relativ kleinen Ausschreibungsmärkten ist die Wahrscheinlichkeit größer, im 1-Partnermodell einen höheren Rabatt erzielen zu können, als dies im 3-Partner-Modell möglich wäre.

Ausschreibung lief nach geltendem Recht

Ausschreibungen vollziehen sich in Deutschland nicht im rechtsfreien Raum. Die mibe GmbH Arzneimittel legt Wert darauf, dass das Angebotsverfahren nach geltendem Recht vonstatten gegangen ist. Beide Instanzen, die 2. Vergabekammer des Bundeskartellamtes als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf, haben ohne Einschränkung zugunsten der mibe entschieden. Es ist nun auch an der AOK, das Urteil zu akzeptieren.

Die Dermapharm-Gruppe, zu der die mibe GmbH Arzneimittel gehört, ist ein überaus leistungsfähiges und typisch mittelständisch geprägtes Familienunternehmen mit Sitz in Grünwald bei München. Insgesamt beschäftigt die Dermapharm-Gruppe ca. 1.200 Mitarbeiter in Deutschland. Ganz im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern, gerade den großen international agierenden Generikakonzernen, schlägt unser „Produktions- und Entwicklungsherz“ in Deutschland. Ein sehr großer Anteil des Gesamtumsatzes wird nach wie vor in Deutschland erzielt.

Stefan Grieving, Vorstand Dermapharm AG /Geschäftsführer mibe GmbH Arzneimittel

Grünwald, 18.07.2016

Marktanteil von Mibe könnte von 3 auf 10 Prozent wachsen

Mibe hat mit seiner Chlormadinon-Ethinylestradiol-Kombi, die unter dem Handelsnamen Madinette® 30 vertrieben wird, derzeit einen Marktanteil von rund drei Prozent. Dieser würde als AOK-Rabattpartner auf etwa zehn Prozent anwachsen, erwartet Grieving. Das größte Stück des Kuchens, nämlich 66 Prozent des Gesamtmarktes, teilen die beiden Marktführer Gedeon Richter und Meda unter sich auf. Betrachtet man nur den Rabattvertragsmarkt, so kommen diese beiden Firmen sogar auf 85 Prozent Marktanteil.

Insgesamt gibt es in Deutschland mehr als 15 Firmen sowie zahlreiche Importeure, die ihre Pille mit dieser Wirkstoffkombination anbieten. Zulasten der GKV wurden im Jahr 2014 rund 44 Millionen Tagesdosen Chlormadinon / Ethinylestradiol verordnet. Spitzenreiter ist hier mit großem Abstand (22,9 Millionen DDD) Gedeon Richters Belara®. Auf den weiteren Plätzen  folgen dann Bellissima® (Meda; 7,7 Mio. DDD), Chloee® (Zentiva; 6,2 Mio. DDD), Chariva® (Gedeon Richter ; 3,6 Mio. DDD), Monahexal® (Hexal; 1,9 Mio DDD) und Enriqa® (Jenapharm; 1,6 Mio. DDD).

Für Selbstzahler lohnt es sich hinzuschauen, welches der Präparate sie nehmen. So müssen sie für eine Sechs-Monatspackung von Gedeon Richters Belara® 65,91 Euro auf den HV-Tisch legen. Am günstigsten kommen sie mit Angiletta® von Purenpharma davon. Hier fallen im halben Jahr 39,59 Euro an. Mibes Madinette® liegt mit 46,89 Euro dazwischen (alle Preise Lauer-Taxe Stand 15.07.2016).



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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